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Ingeborg Bachmann / Max Frisch: DER BRIEFWECHSEL

12.10.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Ingeborg Bachmann / Max Frisch 
DER BRIEFWECHSEL
„WIR HABEN ES NICHT GUT GEMACHT“
Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann.
1039 Seiten.  Suhrkamp Verlag. 2022

 Schon im Vorjahr erschienen, aber nun, angesichts des 50. Todestages und des Films, der in die Kinos kommt, besonders interessant: der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, eine „Dichterliebe“, die an den Dichter-Egos scheiterte, aber für die Nachwelt Hunderte  Seiten ihrer Brief-Prosa hinterlassen hat.

Wenn zwei Berühmtheiten sich finden, ob Caesar und Cleopatra, ob Elizabeth Taylor und Richard Burton, ist das für die Mitwelt und immer auch noch für die Nachwelt besonders spannend. Bachmann / Frisch waren eine solche Power-Paarung, sie selbst sagte es einmal: „Wir sind halt ein berühmtes Paar gewesen, leider.“

Beide hochrangige Namen in der A-Klasse-Literaturwelt, beide gleich stark in ihrem Selbstbewusstsein. Sie hätten von Anfang an wissen müssen, dass das nicht gut gehen konnte. weil – weit eher durch ihre Vorbehalte als seine – eine richtige Paar-Gemeinschaft zwischen ihnen einfach nicht funktionierte.

Ingeborg Bachmann war 32, als sie Frisch 1958 in Paris begegnete und hatte mehrere Beziehungen hinter sich. Max Frisch war 47, noch verheiratet, Vater dreier Kinder. An Berühmtheit konnten sie sich das Wasser reichen, sie, die gefeierte Lyrikerin, die es 1954 auf das Cover des „Spiegel“ gebracht hatte (das bedeutete damals noch etwas), er, der mit Theaterstücken und Romanen bereits berühmt  und anerkannt war. Und tatsächlich entschlossen sie sich schon wenige Monate nach dem ersten Treffen, gemeinsam in Zürich zu leben.

Wieso gibt es dennoch so viele Briefe (rund 300 überlieferte und sicher eine Menge verlorene, weil von der Bachmann zerstörte)? Weil es tatsächlich eine Hop-On, Hop-Off Beziehung war, nicht zuletzt, weil beide ihre Literaten-Tätigkeit ernst nahmen, für Vorlesungen, Interviews, Preise, Symposien, Verlagsverhandlungen, er auch für die Aufführung seiner Stücke, stetig unterwegs waren,

Der bemerkenswerte Briefband füllt 581 Seiten mit den  Briefen, 357 Seiten (!) mit den Kommentaren der vier Herausgeber, Diese sorgten auch noch für den ausführlichen Anhang, mit Werkregister der beiden Protagonisten, einem Personenregister, eigenen Interpretationen und einem Bildteil (mit dem einzigen bekannten Foto der beiden, wo Frisch, die Pfeife im Mund, im Zentrum steht, die Bachmann, halb abgeschnitten, rechts von ihm – es lag wohl an ihr, nicht mit Frisch als „Paar“ abgelichtet zu werden).

Wichtigstes Element dieses Anhangs ist aber die 37seitige Zeittafel, unentbehrlich für den Leser, der sich innerhalb der Briefe, die unkommentiert im Text stehen (ohne Einleitung der Herausgeber, die dann im Anhang Kommentare zu Einzelpunkten der Briefe liefern) orientieren will. In drei Spalten ist links das Leben der Bachmann, rechts jenes von Frisch und in der Mitte das gemeinsame Leben aufgezeichnet – und da erst wird klar, wie wenig sie eigentlich zusammen waren, nicht in der Schweiz und auch nicht in Rom, wohin er dann ihr zuliebe mit ihr übersiedelte. Jeder hatte, wie erwähnt, sein eigenes Literatenleben, die Bachmann auch noch ihr Liebesleben neben Frisch – mit Hans Magnus Enzensberger und dem italienischen Germanistin Paolo Chiarini. Auch Frisch begann schon während seiner Zeit mit Ingeborg Bachmann die Beziehung zu der um 28 Jahre jüngeren  Marianne Oellers, die er später heiratete.

Was erzählen die Briefe nun? In erster Linie sind es spürbar die Briefe von Literaten, die – selbst wenn sie von ihrem Alltag berichten – in hohem Sinne „schreiben“: „Beide Briefe sind heute früh gekommen, und ich habe sie in der Morgensonne draussen gelesen, zur letzten Tasse Tee von meinem Frühstück, als könnt das Strahlende rundherum die erste Traurigkeit abfangen.“ (Ingeborg Bachmann, Neapel, den 28. Juli 1958)

Dafür, dass die Beziehung ziemlich bald stressreich und dann quälend wurde, war sie zu Beginn, da Frisch die Bachmann „hochstrahlend und hold“ nennt, voll gegenseitiger Faszination und überschwänglicher Zuneigung. Aber all das zerbröckelte, Frisch trank wohl zu viel, die Bachmann nahm zu viele Medikamente und erschreckte ihn oft durch ihre Zustände, und je mehr sie einander entglitten, umso quälender wurden ihre Forderungen. Am Ende wechselten sie nur noch kühle Geschäftsbriefe über Besitztümer oder Literatur (sie verlangte Eingriffe in seinen Roman „Mein Name sei Gantenbein“, dessen Titel sie unmöglich fand…) Tatsächlich lässt sich nach der Kenntnis dieser Briefe die berühmte Saga von Frisch, der die Bachmann zerstört habe (ein Mythos, an dem sie aus seelischer Verletztheit selbst arbeitete), kaum aufrecht erhalten. Sie ist es, die in dieser Beziehung weit zerstörerisch (und weniger sympathisch) wirkt.

Am Ende haben sich beide so verhalten, wie es ihnen ihr innerstes Wesen vorgab: Sie haben aus ihrer Beziehung Literatur gemacht, er vielleicht noch ein wenig schamloser als sie. Dass er auch an ihrer künstlerischen Stärke und an ihrem Ruhm gescheitert ist, steht immer im Raum – nicht jedes Alpha-Tier verträgt eine gleichwertige, vielleicht sogar einen Kick über ihm rangierende Partnerin.

„Wir haben es nicht gut gemacht“, lautete die Erkenntnis von Max Frisch in einem Abschiedsbrief, und diesen Titel haben die Herausgeber dem Buch gegeben. Wenn es als Kampf um eine Beziehung gelesen werden will, ist es die schmerzliche Geschichte einer großen Vergeblichkeit. Bedenkt man, wie viel „Literatur“ daraus geworden ist, nimmt man es als psychologischen Begleittext, als unmittelbare Dokumente des Lebens, das Stoff wird, als Material und nötige Erfahrung – und man überlegt, was der Literatur verloren gegangen ist, seitdem niemand mehr Briefe schreibt, sondern nur WhatsApp- Kürzel-Nachrichten versendet…

Renate Wagner

 

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