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Im Portrait: Timoor Afshar/ Solotänzer im Wiener Staatsballett

Im Portrait: Timoor Afshar

Berührend als Armand Duval und grandios als Prinz Siegfried: Timoor Afshar begeistert das Publikum mit seinen intensiven Rollengestaltungen ebenso wie mit seiner feinen Technik. Der gebürtige Amerikaner ist seit der Saison 2023/24 im Wiener Staatsballett als Solotänzer engagiert.

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Timoor Afshar als Prinz Siegfried in Rudolf Nurejews „Schwanensee“ © Ashley Taylor

Geboren in Indianapolis und aufgewachsen in Fishers im Bundesstaat Indiana, ließen ihm seine Eltern die Freiheit, sich in vielen Sportarten zu erproben, da er ein sehr aktives Kind war. Seine kunstsinnige Mutter war Chemikerin und folgte nach ihrer Karriere in der Pharmaindustrie ihrer künstlerischen Begabung. „Sie malt seither Aquarelle und hat damit ihre eigentliche Berufung gefunden. Sie hat mich mit ihrem Interesse an Kunst sehr geprägt und ich habe eine besondere Beziehung zu ihr. Mein Vater beschäftigte sich als Mathematiker mit Zahlen und hat den binären Code 0-1 im Kopf“, beschreibt Timoor Afshar seine Eltern. So spielte er als Kind Fußball, war Landesbester in 50 Meter Freestyle-Schwimmen und spielte Klavier. Er probierte auch Ballett, aber das war ihm zu steif und mit den vielen Übungen an der Stange zu langweilig – er wollte rennen, springen, sich bewegen. Als seine jüngere Schwester mit Ballettunterricht begann und er eine Aufführung ihrer Ballettschule besuchte, in der sie auftrat, wusste er plötzlich, dass Ballett genau das war, was er ab nun machen wollte: er wollte es nochmals mit Ballett versuchen. Die ersten Jahre waren als Hobby am Indiana Ballet Conservatory, wo er seine tänzerische Ausbildung begann. Er hatte jedoch großes Talent und so wechselte er 2011 ans Harid Conservatory in Florida. Obwohl fern der Familie, empfand er diese Zeit als sehr schön, weil er viele Gleichgesinnte kennengelernt hat, die denselben Traum hatten. Seine Pädagogin war Victoria Schneider, sie hat ihren Schülern zusätzlich zum Ballettunterricht auch andere Künste nahe gebracht, was ihn bis heute beeinflusst hat.

Während seiner Ballettausbildung nahm er auch an Wettbewerben des Youth America Grand Prix (YAGP) teil und erreichte mehrmals das Finale in New York. 2011 gewann er den Indianapolis Regionals Youth Grand Prix. Nach einem  YAGP-Wettbewerb, in dessen Rahmen er auch eine Masterclass bei Tadeusz Matacz, dem Direktor der John Cranko Schule, besucht hatte, wollte es der Zufall, dass Timoor Afshar auf dem Flughafen am Gate beim Einchecken Tadeusz Matacz traf. „Ich habe mich ihm vorgestellt – er hat mich in der Masterclass gesehen und stellte mir ein Stipendium für das nächste Jahr in Aussicht“, so Timoor Afshar über seine weichenstellende Begegnung mit dem Direktor der John Cranko Schule. Nach einem Jahr im Harid Conservatory schickte er seine Videos nach Stuttgart und erhielt nach 24 Stunden die Antwort, dass er einen Ausbildungsplatz bekommt. So wechselte Timoor Afshar nach Stuttgart in die berühmte Ballettausbildungsstätte. In New York hatte er die Klasse von Petr Pestov gesehen und war fasziniert davon gewesen, wie hier über die Technik hinaus gegangen wurde, die er bislang gekonnt und gekannt hat. „Ich habe den roten Faden der Übungen gesehen, ich wusste sofort, da will ich hin, das will ich so lernen“, erinnert er sich an seinen ersten Anknüpfungspunkt mit Stuttgart. Er war begeistert von der Schule, hat dort in den vier Jahren sehr viel gelernt. Gegen Ende seiner Ausbildungszeit bewarb er sich bei anderen Compagnien – ihm kam eigentlich nie in den Sinn, dass er in Stuttgart in der Compagnie tanzen würde – bis er für die Spielzeit 2016/17 einen Eleven-Vertrag bekam und so für das Stuttgarter Ballet unterschrieb. Jason Reilly kannte er bereits von Vorstellungen „Gala der Stars“ in Indiana, von ihm hat er auch viel gelernt, aber die Compagnie selbst war ihm nur von den Vorstellungsbesuchen während seiner Ausbildung bekannt. Das änderte sich rasch, denn er fühlte sich im Ensemble sehr wohl und war glücklich im Stuttgarter Ballett zu sein. „Ich habe viel gelernt und viel getanzt. Als ich noch jünger war, dachte ich, es gibt nur einen Weg sein Ziel zu erreichen, aber mit der Zeit habe ich festgestellt, dass man an den Aufgaben wächst und dass es mehrere Wege gibt, um etwas zu erreichen“, erinnert er sich an seine Anfänge im Stuttgarter Ballett. Im Anschluss an sein Jahr als Eleve wurde Timoor Afshar ins Corps de ballet engagiert; mit der Spielzeit 2019/20 avancierte er zum Halbsolisten. Er tanzte solistisch u.a. in den Piecen von George Balanchine, Maurice  Béjart, John Cranko, Andreas Heise, Johan Inger, Jiří Kylián, Hans van Manen, Roman Novitzky, Christian Spuck und Demis Volpi. Zu den größeren Partien zählten hier u.a. Drosselmeier in Edward Clugs „Der Nussknacker“; Prinz des Westens, Ali Baba sowie Blauer Vogel in Marcia Haydées „Dornröschen“; Benvolio und Faschingstanz in John Crankos „Romeo und Julia“ und Benno in John Crankos „Schwanensee“ sowie Ungarischer Offizier in Kenneth MacMillans „Mayerling“.

Choreografen wie Fabio Adorisio, Nanine Linning, Roman Novitzky und Martin Schläpfer kreierten Rollen für ihn; Edward Clug, Alessandro Giaquinto, Vittoria Girelli, Marco Goecke und Louis Stiens schufen gleich mehrere Partien für Timoor Afshar. „Die Arbeit mit einem Choreografen ist für mich wie ein Miteinander modellieren. Der Körper ist das Instrument, um die Schritte oder die Bewegungen zu entwickeln, es ist wie Energie geben und die Ideen des Choreografen im Schaffensprozess umzusetzen bis das Stück fertig ist“, erläutert er, wie er so eine Entwicklungsarbeit empfindet.

Zu choreografieren ist auch für Timoor Afshar ein Thema, das er weiter verfolgen will, hat er doch in Stuttgart für die „Noverre: junge Choreografen“-Schiene bereits viermal die Gelegenheit bekommen, sich auszuprobieren, was er mit sehr unterschiedlichen Zugängen nutzte. Für sein Debut „B-Side“ (2019) meint er im Nachhinein, das er wahrscheinlich zu viele Ideen hatte, die er alle unterbringen wollte. Sein zweites Werk „Deltangi“ (2021) nannte er nach einem persischen Begriff, der literarisch Sehnsucht beschreibt in der Bedeutung jemanden im Herzen zu vermissen. Hier beschäftigte er sich thematisch mit seinem Vater und dem nostalgischen Verlangen nach Menschen, die nicht da sind. Seine dritte Kreation „Zeitorgan“ (2022) war geprägt vom Roman „Zauberberg“ von Thomas Mann, in dem es um die Frage der Zeit geht. Seine zweite und dritte Choreografie sieht er für sich persönlich als sehr wichtig an, steckt doch hier viel von ihm selbst drinnen. Mit seinem vierten Stück „The Monster under the Bed“ (2023) wollte er zur Abwechslung etwas Humorvolles kreieren.

Martin Schläpfer hat er 2020 in Stuttgart bei der Erarbeitung der Uraufführung von „Taiyō to Tsuki“ kennengelernt. „Seine Menschlichkeit hat mich sehr beeindruckt“, erinnert sich Timoor Afshar an die damalige choreografische Arbeit. Als Martin Schläpfer dann Ballettdirektor in Wien wurde und sich durch das Sabbatical von Denys Cherevychko die Gelegenheit einer freien solistischen Stelle im Wiener Staatsballett ergab, wechselte Timoor Afshar nach Wien. „Wien hat viel Tanzgeschichte, auch wenn Wien mehr als Musikstadt bekannt ist“, freute sich Timoor Afshar über das Engagement. Obwohl es bereits Juni war und damit ziemlich spät für einen Wechsel, da ja die nächste Saison in Stuttgart eigentlich schon fixiert war, übersiedelte er dennoch nach Wien. „Ich kannte die Stadt von früheren Besuchen ein wenig, und da vor allem die Museen, aber nun sollte ich herkommen, um hier zu leben und zu arbeiten!“ Seit Beginn der vorigen Spielzeit ist Timoor Afshar nun als Solotänzer in Wien unter Vertrag. Sein Wien-Debut gab er in den „Goldberg-Variationen“ von Heinz Spoerli, er tanzte auch u.a. den Blauen Vogel in Martin Schläpfers „Dornröschen“ sowie solistische Partien in Michel Fokines „Les Sylphides“ und George Balanchines „Symphony in C“.

Bekannt wurde Timoor Afshar dem breiteren Ballettpublikum jedoch durch seine Verkörperung des Armand Duval in der umjubelten Premiere von „Die Kameliendame“ mit Ketevan Papava in der Titelrolle. Die Arbeit mit John Neumeier hat Timoor Afshar sehr geschätzt. „Er hat uns seine Intention zum Werk erklärt, er ist der Erfinder dieser Bewegungssprache, die sehr leidenschaftlich ist und in der der Mensch zuerst kommt und dann das, was der Mensch möchte und damit in der Umsetzung tatsächlich sehr an einen Film erinnert“, erläutert Timoor Afshar diese Phase der Einstudierung. Für ihn sind John Neumeier, George Balanchine und John Cranko besondere Persönlichkeiten und mit ihren jeweiligen Entwicklungen für das Ballett wichtige Meilensteine in der Ballettgeschichte. „Ich habe damals als Armand zum ersten Mal diese emotionale Tiefe gespürt, die ich dann auch in „Schwanensee“ einfließen lassen konnte“, ist er sehr reflektiert über seine persönliche Weiterentwicklung als Tänzer.

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Beglückt liebend: Timoor Afshar als Armand Duval und Ketevan Papava als Marguerite Gautier © Ashley Taylor

Mit dem im Juni erfolgten Debut in Rudolf Nurejews „Schwanensee“ hat sich Timoor Afshar in kürzester Vorbereitungszeit eine für Wien wichtige Rolle angeeignet, liegt doch für ihn die Bedeutung von Nurejew vor allem darin, die Männerpartien im klassischen Ballett entscheidend aufgewertet zu haben.

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Von Odile (Olga Esina) betört: Timoor Afshar als Prinz Siegfried © Ashley Taylor

Auch jetzt im Herbst tanzte Timoor Afshar wieder zum 60-Jahre Jubiläum in diesem für das Wiener Ballett geschaffenen Werk den männlichen Hauptpart. Neben seiner technischen Souveränität ist hier vor allem seine emotionale Ausdrucksstärke hervorzuheben, die den Vorstellungsbesuch im  intensiven Miteinander mit  Partnerin Olga Esina für das Publikum zu einem besonderen Erlebnis machte. „Ich liebe die Kompositionen von Tschaikowski, darin liegt so eine besondere Kraft, die sich im Körper fortsetzt – und dann geht es beim Tanzen los. Ich konnte die Schwanensee-Aufführungen richtig genießen, beim Tanzen wie in der Intensität des Ausdrucks. Die letzten beiden Vorstellungen tanzte ich mit Ioanna Avraam, dafür hatten wir nur sehr wenig Zeit uns aufeinander einzustimmen, aber auch da ist es uns gelungen, sehr harmonisch und emotional zu sein“, beschreibt er diese Auftritte.  

Ende November gastiert er in „Nussknacker“-Vorstellungen beim Indiana Ballet Conservatory – dort, wo er seine tänzerische Ausbildung begann.   

Wenn er nicht trainiert, probt oder auf der Bühne tanzt, dann liest er viel, denn als Tänzer muss man auch Gesamtkünstler sein, wie er meint, da man sich viel Inspiration aus Büchern, aus Ausstellungsbesuchen oder aus Kinofilmen holen kann. Timoor Afshar schreibt gern seine Gedanken über alles nieder, was ihm so in den Sinn kommt. Wichtig ist es ihm auch seine Freunde zu treffen und mit ihnen Zeit zu verbringen. Außerdem interessiert er sich sehr für Musik, die er sich am liebsten auf Schallplatten anhört. So oft es ihm möglich ist, besucht er seine Freundin in Stuttgart, die auch Tänzerin ist und mit der er derzeit eine Fernbeziehung führt.

Aktuell bereitet er sich auf „The Winter´s Tale“ von Christopher Wheeldon vor. Nach der Lektüre von „Der widerspenstigen Zähmung“, „Romeo und Julia“ und „Ein Sommernachtstraum“ hat Timoor Afshar nun einen neuen Zugang zu den Werken Shakespeares für sich entdeckt. So machen sich Elena Bottaro als seine Partnerin im Stück und er ihre persönlichen Notizen in ein gemeinsames Exemplar von Shakespeares „Wintermärchen“ als Studienbuch für die Herangehensweise an ihre Partien, um sich so miteinander auf dieses Werk einzustimmen.

Man darf gespannt sein auf weitere tänzerische Begegnungen mit Timoor Afshar! 

Ira Werbowsky

 

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