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Hubert Wolf: DIE GEHEIMEN ARCHIVE DES VATIKAN

Hubert Wolf: DIE GEHEIMEN ARCHIVE DES VATIKAN

15.01.2025 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Hubert Wolf
DIE GEHEIMEN ARCHIVE DES VATIKAN
UND WAS SIE ÜBER DIE KIRCHE VERRATEN
243 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2024

84 Kilometer an Akten…

Religion gehört zu den wichtigsten Themen in der  Geschichte des Menschen. Natürlich ist die Betrachtung, die ihr zuteil wird,  nicht grundsätzlich nur demütig und gläubig. Die Katholische Kirche hat sich von Kritikern viel anhören müssen – gerade, weil man ihr nachsagt, eigenes Fehlverhalten gern unter den Tisch zu kehren.

Die „Archive des Vatikan“, unzugänglich für den Normalmmenschen, voll von Informationen, die man gerne hätte, aber meist nicht bekommt. haben die Neugierde immer gereizt. Aber ganz so verschlossen, wie man glaubt, sind sie nicht.

Tatsächlich hat die partielle Öffnung schon im 19. Jahrhundert begonnen, und seither haben fast alle Päpste immer weitere Teilbereiche geöffnet. Um in den Archiven des Vatikans zu arbeiten, muss man allerdings seine wissenschaftliche Kompetenz nachweisen – und damit hatte der heute in Münster tätige deutsche Professor (und frühere Priester) Hubert Wolf natürlich noch nie Probleme. Tatsächlich forscht er seit vielen Jahren in den Archiven, wobei er im Vorwort geradezu launig die Schwierigkeiten schildert, die mit dieser Unmasse von Material (und großteils altmodischen Such-Möglichkeiten) verbunden sind. Er verrät aber zusätzlich, dass in einer aufgelassenen Kapelle „in einer Cafeteria einer der besten Cappuccini Roms serviert“ wird. Vor allem aber geht es um das Forscherglück, wenn man etwa die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther in Händen hält oder auf die Inquisitionsakten gegen Galileo Galilei blickt. Der Zauber der Geschichte, das Wunder der Dokumente.

Im allgemeinen aber erzählen diese nichts Schönes. Hubert Wolf hat zu einigen Themen, die er hier behandelt, schon ausführliche Bücher geschrieben, liefert also eine Art Reader’s Digest seiner eigenen Arbeiten.

Da die Themen aber geradezu klassisch interessant sind. Finden sie ihr Publikum  – das laut Wolf fälschlich postulierte Zölibat, die in unsere Welt so anzuzweifelnde „Unfehlbarkeit“ des Papstes, Bücher am Index, die unterdrückte Rolle der Frau in der Kirche, Pius XII und der Holocaust und schließlich, als schreckliches „Schmankerl“, die Sittenlosigkeit im Nonnenkloster )ehrllich: de Sade ist nichts dagegen)… Das lesen alle, die der Katholischen Kirche kritisch gegenüber stehen (wie auch der Autor in vielen Fragen, ohne jemals gehässig zu werden) immer wieder gerne.

Das Buch beginnt mit dem Thema, dem der deutsche Dramatiker Rolf Hochhuth mit seinem Stück „Der Stellverteter“ jene Brisanz verliehen hat, die dem Sachverhalt noch heute innewohnt: Hätte Papst Pius XII etwas zur Rettung der von den Nationalsozialisten verfolgten  Juden tun können?

Schon allein die Überschrift greift ans Herz: „Heiliger Vater, retten Sie uns!“ Tausende Briefe von Juden, die sich hilfesuchend an den Vatikan gewandt haben, sind erst seit kurzer Zeit zugänglich. Was nicht heißt, dass ein Mensch imstande wäre, dieses Thema je aufzuarbeiten – unter den 84 Kilometern an Akten, die sich in den Archiven des Vatikans befinden, befassen sich allein für das Pontifikat von Pius’ XII. (1939–1958) vierhunderttausend (!!!)  Schachteln mit bis zu eintausend Blatt. Wer kann sich durch vier Millionen Blatt Papier durcharbeiten?

Allein – die jüdischen Briefe sind da, der Papst hat nicht gehandelt, aber Hubert Wolf will ihn nicht bedingungslos verurteilten. Es ist möglich, dass vieles davon gar nicht zu Pius XII. durchdrang, dass die Bearbeiter die Briefe absichtlich in der Vatikanischer Bürokratie verkommen ließen, möglicherweise auch durch latenten Antisemitismus katholischer Geistlicher bedingt, denen Judenschicksale nicht wichtig genug waren, um den Vatikan in politische Bredouillen zu verstricken?

Im richtigen Bewusstsein, dass ein Einzelschicksal mehr berührt als die Masse von Toten, hat Wolf die Briefe des Franz Brinnitzer aus Breslau als Beispiel genommen, wie genau der Vatikan über Judenschicksale informiert war. In diesem Fall bewilligte der Papst etwas Geld… Freikaufen von der Verantwortung? Dabei weiß man doch, wie viel der Vatikan getan hat, um Auswanderungen nach Südamerika zu ermöglichen – man organisierte Visa und Pässe, finanzierte Schiffspassagen und Flugtickets und sorgte für eine Begleitung am Abfahrtshafen Lissabon. Kam das nur Nazi-Verbrechern zugute? Ist der Papst nur für Katholiken zuständig und nicht für alle Menschen?

Und doch legt Wolf dar  – der Papst als vergleichsweise machtloses Staatsoberhaupt sah hier die Gefahr Stalin, dort die Gefahr Hitler und hielt diese (im Vergleich dazu, was der Kommunismus seit 1917 verbrochen hatte) für das geringere Übel. Das bedeutete aber auch, sich in die Judenfrage nicht einzumischen…

Wolf argumentiert, entschuldigt aber nicht. Hat auch zu den andern Themen eine Menge zu sagen, etwa, warum die Kirche, die ja in ihren Grundzügen nicht fortschrittsfreudig sein konnte, sowohl die Werke von Darwin (der die göttliche Schöpfung in Frage stellte) wie auch „Onkel Toms Hütte“ auf den Index setzte, weil man die historischen Umwälzungen fürchtete, die mit dem Ende der Sklaverei Hand in Hand gehen würden. Selbst ein so renommierter deutscher Geschichtswissenschaftler wie Leopold von Ranke geriet in ihr Verbotssystem – wenn er sich in seiner dreibändigen Papstgeschichte – Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten aus den Jahren 1834 bis 1836 – historisch-kritisch mit der Kirchengeschichte auseinander setzte…  Ranke reagierte gelassen: Der Papst mache für ihn die beste Reklame, meinte er.

Am Ende beweist die nochmalige Schilderung des beispiellosen Skandals, den Wolf aus den Akten geholt hat, die Sittenlosigkeit im römischen Kloster Sant’Ambrogio das, dessen man die Kirche immer verdächtig hat: Dass sie ihre Skandale am liebsten unter den Teppich kehrt und Schuldige aus der Schußlinie nimmt. Lange meinte man, Verschweigen täte der Institution besser als das Gestehen. Irgendwann werden vielleicht auch die Akten zu den zahllosen Mißbrauchsfällen zugänglich sein, die zeigen, wie lange man nicht bereit war, sich diesen scheußlichen Fakten zu stellen. Aber diesbezüglich  bleiben die Archive vermutlich noch lange geschlossen.

Renate Wagner

 

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