Thomas Hofmann / Beppo Beyerl:
DIE STADT VON GESTERN
Entdeckungsreise durch das verschwundene Wien
240 Seiten, Styria Verlag, 2018
Leben bedeutet Veränderung – und zwar ununterbrochen. Das bezieht sich vor allem auf städtische Ballungsräume. Eine Generation baut, ein paar Generationen später verschwinden die Dinge und machen neuen Platz. Ganz vergessen werden sie allerdings nicht. Vielleicht erinnert man sich noch an Berichte von Menschen, die vor dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen sind und vom Heinrichshof gegenüber der Oper oder vom Philipphof neben der Albertina erzählten…
Wer sich ein bisschen in der Geschichte Wiens auskennt, weiß auch von den Stadtmauern oder von den im Feuer untergegangenen Gebäuden wie dem Ringtheater oder der Rotunde… Eine „Entdeckungsreise durch das verschwundene Wien“ nennen die beiden Kulturhistoriker Thomas Hofmann und Beppo Beyerl ihr reich bebildertes, hoch informatives Buch „Die Stadt von gestern“.
Der Spaziergang durch die Vergangenheit führt (in Aquarellen, Fotos und alten Ansichtskarten!) die Stadtmauern entlang, durch die Stadttore, da sind Pferdefuhrwerke und Frauen in langen Kleidern – und im Vergleich zu heute sehr wenige Menschen (obwohl Wien zu Kaisers Zeiten oft mehr Einwohner hatte als heute).
Alte Fotos haben etwas Berührendes, wenn auf dem Loos-Haus (unter dem Motto „Erloschene Erregungen“ geführt) noch der Name „Goldman & Salatsch“ stand, die als Auftraggeber von Adolf Loos dem Kaiser die Provokation vor die Nase (sprich: die Hofburg) stellen ließen (heute ist es Raiffeisen, das dort haust), und als die Secession noch ein Aufreger war und nicht ein Fixpunkt bei touristischen Stadtspaziergängen…
Denkmäler standen früher woanders (Mozart etwa vor dem Café Mozart, Raimund vor dem Volkstheater und nicht dahinter versteckt), anderes gibt es nicht mehr wie die einst so legendäre Rotunde, das opulente Ausstellungsgebäude, 1873 zur Weltausstellung im Wiener Prater errichtet, 1937 abgebrannt. Das alte Bildmaterial gibt einen Eindruck von der Größe und Pracht des Gebäudes.
Die Autoren führen in die Welt der Wiener Theater, von denen eine Menge „verloren“ gingen (das Carltheater, das Johann Strauß-Theater, das Bürgertheater, das Stadttheater, das Apollo-Theater – da wo heute die Kinos wohnen), in die Welt der Wiener Synagogen, die zahlreich und prachtvoll waren (eine Ansichtskarte bildet zehn Wiener „Tempel“ ab), in die Welt der großen Bahnhöfe (ewig schade um die Pracht des Nordbahnhofs), sie erinnern an Prater-Freuden, an Bade-Freuden. Und wo ist die Elisabeth-Brücke geblieben? Es waren teils die Kriege, teils einfach die Zeit, die ihr Werk getan und vieles vernichtet haben.
Ganz besonders interessant sind Aspekte, an die man nicht denkt – gab es doch tatsächlich so viele Tschechisch sprechende Tschechen in Wien, dass sie ihre eigenen Postkarten hatten, wo Wiener Sehenswürdigkeiten auf Tschechisch angeschrieben waren… Ja, und da ist dann noch das Haus, von dem jeder weiß, dass es existiert hat, aber keiner weiß, wo es ist: Die Autoren sagen uns nicht nur, wo Adolf Hitler drei Jahre (von 1910 bis 1913) wohnte: In dem Männerwohnheim in der Meldemannstraße 27, das relativ „luxuriös“ ausgestattet war, wenn man bedenkt, dass es Obdachlose auffing. Dort malte Hitler seine Bilder und ging abends in die Oper. Heute erinnert an dem „Seniorenschlössl Brigittenau“ nichts mehr an seine Vergangenheit…
Am Ende vermisst man eigentlich nur das Freihaus und das Bürgerspital (und vielleicht auch ein Register für das Buch), aber im großen und ganzen ist es genau das, was man echten Wien-Freunden schenkt: Nicht das Schwelgen in Nostalgie ist angesagt, aber das Bedauern über vieles, das unwiederbringlich verloren ging. Doch die Erinnerung lebt in diesem Buch, das auch faktisch sehr viel zu berichten weiß.
Renate Wagner