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Heribert GERMESHAUSEN, Leiter der Heidelberger Oper: „Beim Begriff Regietheater nicht verschiedene Ebenen vermischen“

Interview für den „Neuen Merker“ mit Heribert Germeshausen

 Das Interview mit Heribert Germeshausen, dem Leiter der Heidelberger Oper, führte Udo Pacolt anlässlich des Festivals „Winter in Schwetzingen“

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Heribert Germeshausen. Foto: Philipp Ottendörfer

 Herzliche Gratulation zum Preis der Theaterverlage für die Musiktheatersparte, Herr Germeshausen, die Sie in Heidelberg bereits seit dem Jahr 2011 leiten. Ich nehme an, dass Sie diese tolle Auszeichnung auch als Ansporn für Ihre kommenden Projekte betrachten.

Vielen Dank, Herr Pacolt. Ja, dieser Preis, der zu den prestigereichsten im deutschen Theaterbetrieb zählt, ist tatsächlich ein Ansporn die bisherige Arbeit fortzusetzen: Das gilt insbesondere für die Reihe von Meisterwerken der „Opera Napoletana“, die wir als Deutsche Erstaufführungen im Rahmen des Barockfestivals „Winter in Schwetzingen“ herausbringen, und für die Serie mit Zweitaufführungen und Uraufführungen im Bereich der zeitgenössischen Musik.

 Einem Gespräch, das wir vor einigen Jahren in Schwetzingen geführt haben, entnahm ich, dass Sie einen besonderen Bezug zu Wien haben.

 Das stimmt! Ich liebe diese Stadt mit ihrem großen klassischen Erbe sehr und bin alljährlich dort. Vor einigen Jahren habe ich einmal per Fuß und Straßenbahn versucht, sämtliche ausgewiesenen Komponistenwohnungen abzulaufen. Darüber hinaus habe ich aber auch einen besonderen Bezug zu  Salzburg. Hier habe ich am 7. August 1984 als Dreizehnjähriger meinen ersten großen Opernstar live erlebt – Christa Ludwig bei einem Liederabend mit einem Strauss/Wolf Programm. Seit 1984 besuche ich – von einer kurzen Unterbrechung während meiner Studienzeit abgesehen –  jährlich die Salzburger Festspiele und hier hatte ich auch meine allererste Stelle im Opernbetrieb: Unter der Intendanz von Peter Ruzicka habe ich 2004 und 2005 im Sommer bei den Salzburger Festspielen gearbeitet und 2005 federführend das Buchprojekt „Mein Mozart“ betreut, ein Interviewband, für den ich die großen Salzburger Mozart-Sänger interviewt habe, von Sena Jurinac und Christa Ludwig über Dietrich Fischer-Dieskau, Peter Schreier und Francisco Araiza bis zu Anna Netrebko und Diana Damrau. Mein erster Interviewpartner war Rolando Villazon.

 Ich erinnere mich, dass in den letzten Jahren das Heidelberger Theater, das jetzt wieder in frischem Glanz strahlt, nicht nur renoviert, sondern umgebaut und teils neugebaut wurde. Brachte diese Zeit  große Probleme für die Sparte Musiktheater? Oder konnte durch das Zelt beim Hauptbahnhof der Betrieb in vollem Umfang stattfinden?

Was die Ersatzspielstätte Opernzelt betrifft hatten wir außerordentliches Glück. Das Opernzelt lag in direkter Nachbarschaft zum Heidelberger Hauptbahnhof, dem einzigen Stadtteil, in dem diese an sich ja sehr schöne Stadt mit ihrer denkmalgeschützten Altstadt städteplanerisch wachsen kann. Das normale Opernpublikum hatte vorher nie Anlass gesehen, abends in diesen Stadtteil zu gehen, wohl aber das studentische junge Publikum, da es dort einige sehr urige Kneipen gibt. Uns ist es gelungen, sowohl das traditionelle Publikum ins Opernzelt zu locken als auch einen Teil jenes jüngeren, eher opernunerfahrenen Publikums neu zu gewinnen. Was den Spielplan betrifft, konnten wir den Betrieb fast vollumfänglich aufrechterhalten. Anstelle der üblichen sechs großen Opernpremieren hatten wir in dieser Zeit fünf Premieren und haben statt der sechsten eine Operngala aufgeführt. Das hing mit logistischen Erfordernissen im Bereich der Bühnentechnik zusammen. Dafür konnten wir im Opernzelt einige Projekte verwirklichen, die wir im Heidelberger Theater so nicht hätten stemmen können. Ich bin als Operndirektor 2011 mit dem damals neuen Intendanten Holger Schultze nach Heidelberg gekommen. Als Eröffnungspremiere haben wir 2011 „Aida“ herausgebracht, übrigens in einem grandiosen Dirigat von Cornelius Meister, der damals noch Generalmusikdirektor in Heidelberg war. „Aida“ passte gut in das Opernzelt, für das Heidelberger Theater wäre dieses Werk aber zu monumental. Und wir haben als Uraufführung Elfriede Jelineks und Irene Disches Schubert-Projekt „Der tausendjährige Posten“ herausgebracht, das sehr gut in den Opernzelt-Zuschauerraum mit seinem Audimax-Ambiente passte. Das hätte in einem `normalen` Theater nicht so gut funktioniert.

 Der Kammeropernabend mit Werken von Schönberg, Turnage und Jost fand in der kleinen Spielstätte in der Altstadt, im „Zwinger 1“, statt. Wird diese Spielstätte, in der etwa 100 Zuschauer Platz finden, auch in Zukunft genützt?

 Ja, wir nutzen den „Zwinger“ in regelmäßigen größeren Abständen für Kammerproduktionen. 2011/12 haben wir an dieser Stelle die Uraufführung der Kammeroper „Frida Kahlo“ von Marcella Rodriguez herausgebracht, und wir werden auch künftig wieder an diesem Ort ein ungewöhnliches Projekt zeigen, wenn auch nicht nächste Spielzeit.

 Das „Theater und Orchester Heidelberg“ veranstaltet jedes Jahr das Musik-Festival „Winter in Schwetzingen“, für das Sie als künstlerischer Leiter auch verantwortlich zeichnen. Ihre Idee, im Rokokotheater des Schlosses unbekannte Werke der Neapolitanischen Schule wiederzuerwecken, fand – wie wir feststellen konnten – beim Publikum großen Anklang. Werden Sie diese Linie auch in den nächsten Jahren fortsetzen? Und darf man erfahren, welche Komponisten in naher Zukunft in Schwetzingen gespielt werden?

 Wir haben in einem historischen Längsschnitt durch diese Epoche von Alessandro Scarlatti („Marco Attilio Regolo“) über Niccolò Antonio Porpora („Polifemo“) und Tommaso Traetta („Ifigenia in Tauride“) zu Niccolo Jommelli („Fetonte“) in vier Spielzeiten einen Überblick über diese musikalisch besonders innovative Epoche gegeben. Nächste Spielzeit werden wir nach dem Überblick über diese Epoche in ihr Zentrum zurückkehren und mit Leonardo Vinci einen ihrer wichtigsten Vertreter überhaupt vorstellen. Allerdings in einer historischen Bearbeitung von Georg Friedrich Händel, was uns dann für 2017/18 den erneuten Brückenschlag nach London zum dort ansässigen Spät-Neapolitaner Johann Christian Bach erlaubt. Und dazwischen wird es 2016/17 eine Überraschung geben.

 Zurück zu Heidelberg. Welche Schwerpunkte in der Musiktheatersparte wollen Sie in der nächsten Spielsaison am Theater Heidelberg setzen?

 Leider kann ich an dieser Stelle unserer Spielplankonferenz für 2015/16, die voraussichtlich für den April 2015 terminiert ist, nicht vorgreifen. Aber so viel kann ich schon verraten: Neben dem oben bereits erwähnten Vinci/Händel-Projekt, das wieder eine Deutsche Erstaufführung sein wird, bringen wir im Februar 2016 als Auftragswerk die Uraufführung eines sehr berühmten, in Wien wohnhaften Komponisten heraus.

 Wie sehen Sie, Herr Germeshausen, die Probleme mit dem sogenannten „Regietheater“ beim Opernbetrieb? Man war in Österreich, aber auch in Teilen Deutschlands der Meinung, dass eine Umkehr stattfindet, doch Ereignisse (das Wort „Skandale“ möchte ich nicht verwenden) in letzter Zeit – wie beispielsweise an der Bayerischen Staatsoper in München –  lassen anderes befürchten. Wenn Erben eines Komponisten und eines Librettisten Klagen gegen ein Opernhaus erheben oder wenn ein Star wie Anna Netrebko eine Rolle zurücklegt, müssten doch bei den Verantwortlichen die Alarmglocken schrillen. Wie sehen Sie diese Entwicklung – auch in Bezug auf die Abonnenten eines Opernhauses?

 Ich denke, man muss aufpassen, dass man beim Begriff „Regietheater“ nicht verschiedene Ebenen vermischt. Der Opernbetrieb leidet insgesamt darunter, dass kaum neue, repertoire- wie publikumstaugliche Werke entstehen. Bis in die 1920er Jahre war die Oper weitgehend eine Gegenwartskunst: Es gab zwar schon ein feststehendes Repertoire mit den  Meisterwerken von Mozart sowie denen von Richard Wagner und Giuseppe Verdi, deren Tod aber noch nicht lange zurücklag. Ansonsten waren aber die Uraufführungen der neuen Opern von Puccini, Richard Strauss, Korngold, Schreker etc. die Ereignisse, über die man sprach  und die das Publikum elektrisierten; sie hielten den Opernbetrieb hochtourig in Aktion. Die Opern, die später uraufgeführt wurden und sich dauerhaft international im Repertoire halten konnten, kann man locker an zehn Fingern abzählen. Damit hat sich der Fokus zwangsläufig von der Uraufführung auf die Neuinterpretation des Vorhandenen verschoben, vom Komponisten auf den Interpreten. Und insofern nehmen in einem optisch dominierten Zeitalter die Regisseure im Wesentlichen die von Komponisten verwaisten Leerstellen im Theaterbetrieb ein. Das ist einfach ein Fakt, wie auch immer man ihn persönlich bewerten mag. Kaum jemand wird aber heute bestreiten wollen, dass die zunächst heftig befehdeten szenischen Innovationen, die etwa Wieland Wagner und Patrice Chéreau in den Opernbetrieb eingebracht haben, richtig und wichtig für den Fortbestand der Oper als populäre Kunstform waren.

 Der Chéreau-Ring ist heute geradezu ein Klassiker. Und diese Tradition führen heute Künstler wie Peter Konwitschny, Stefan Herheim und Jossi Wieler, nur um einige zu nennen, fort. Natürlich gibt es auch Inszenierungen, die nicht gelingen und auch ich ärgere mich gelegentlich, wenn ich in Vorstellungen sitze und den Eindruck habe, ein Regisseur inszeniert nicht das Werk, sondern seine eigenen Neurosen. Aber wegen Ersterem darf man nicht `das Regietheater` verdammen und hinsichtlich Letzterem kann ich nur sagen, dass ich in Heidelberg in Vorbesprechungen mit den Regisseuren und über die dramaturgische Betreuung darauf achte, dass Provokationen nicht künstlerisch unmotiviert ihrer selbst wegen geschehen. Das ist uns in Heidelberg bisher auch gelungen: Wir konnten die Abonnentenzahlen seit 2011 verdreifachen und haben die höchste Auslastung seit Existenz der Theaterstatistik in Heidelberg, und das trotz eines sehr anspruchsvollen Programms, für das wir ja kürzlich den  eingangs erwähnten Preis der Deutschen Theater- und Medienverlage für den „spannendsten und innovativsten Spielplan der Saison 2014/15“ erhalten haben. Denn auch wenn sich der Erfolg einer Inszenierung nicht alleine über die Auslastung messen lässt. Eine Vorstellunmg ohne Publikum ergibt natürlich auch keinen Sinn.

 Ich danke Ihnen, Herr Germeshausen, für das Gespräch und wünsche Ihnen – auch im Namen unserer Leser – ein weiterhin erfolgreiches Wirken am Heidelberger Theater und viel Erfolg für Ihre zukünftigen Pläne.

 

 

 

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