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Herbert Lackner: ALS SCHNITZLER MIT DEM KANZLER STRITT

30.09.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Herbert Lackner:
ALS SCHNITZLER MIT DEM KANZLER STRITT
Eine politische Kulturgeschichte Österreichs
208 Seiten, Verlag Ueberreuter, 2023 

Schon seit Jahren arbeitet Herbert Lackner die österreichische Geschichte des 20. Jahrhunderts unter ihrem kulturellen Aspekt ab. Vor allem in Hinblick auf die Schriftsteller hat er deren Schicksale in der Zwischenkriegszeit, auf der Flucht und nach der Rückkehr in bereits drei Büchern beschrieben. Ideologisch schließt der neue Band, der sich griffig „Als Schnitzler mit dem Kanzler stritt“ nennt, daran an. Nur dass er von der Zeit her weiter führt und gewissermaßen alle Künstler und Kunstereignisse erfasst, die im konservativen  Österreich Sklandal gemacht haben…Kulturkämpfe von einst bis heute.

Dass Arthur Schnitzler mit der Wiener „Reigen“-Aufführung 1921 in den Kammerspielen (dasselbe Haus wie heute, nur dass es damals noch zum Volkstheater gehörte) am Anfang steht, versteht sich. „Das Gesindel tobt“, wie der Kapiteltitel sagt (ein Zitat aus Schnitzlers Tagebuch), zeigt genau, wie sich der Antisemitismus (in der Monarchie wohl da, aber mühsam einigermaßen in Schach gehalten) nun in der jungen Repblik radikalisierte, auch mit dem Blick auf Deutschland.  (Schnitzler erlitt 1931 noch die Gnade des „rechtzeitigen Todes“, um nicht in vollem Ausmaß erleben zu müssen, was ihm und seinen jüdischen Mitmenschen bevorstand).

Mit dem Kanzler gestritten, wie der Titel verspricht, hat Schnitzler allerdings nicht zu diesem Zeitpunkt, sondern später. Damals, als Ignaz Seipel ausgerechnet Schnitzler, der einst als „Schmutzfink“ beschimpft wurde, als Galionsfigur für eine Kampagne gegen „Schmutz und  Schund“ gewinnen wollte. Das Gespräch ging für den Kanzler nicht gut aus.

„Schmutz und  Schund“ – das sind die  Grundbegriffe dessen, wogegen man sich lange gewehrt hat und was Lackner penibel aufzählt. Es war der Kampf gegen die Erotik schlechthin (als Pendant zur postulierten „Sittlichkeit“), ob auf der Bühne (Josephine Baker entzückte heimlich und entrüstete öffentlich die Herrschaften), ob zwischen Buchdeckeln oder in Zeitschriften.

„Negermusik“ als etwas Minderwertiges musste sich Ernst Krenek vorwerfen lassen – wohl einer der bekanntesten Skandale. Wer den Krieg geißelte, statt ihn zu verherrlichen (Erich Maria Remarque), war ein Staatsfeind.  

Das „Zersetzende“ zu „entgiften“ stand auf dem Programm der Nationalsozialisten, die in den dreißiger Jahren immer stärker auf Österreich übergriffen. Wie sehr sich Schriftsteller wie Max Mell, Josef Weinheber und Karl Heinrich Waggerl an das neue System anbiederten, hat Lackner schon in einem seiner früheren Bücher angeprangert. Der Führer wurde jedenfalls von vielen mit Jubel begrüßt…

Aber – nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zweiten Republik, setzte keinesfalls eine nötige Trendwende ein, vielmehr wurde in vielen Fällen das Vorangegangene perpetuiert. Wobei man natürlich einräumen muss, dass der Wiener Aktionismus einem „normalen“ Publikum (um diesen Begriff mit aller Vorsicht zu gebrauchen) einiges zumutete. Und Thomas Bernhard mit der wütenden Beschimpfung seiner Mitbürger auch.

Der Autor schließt das  Buch, in dem es um so viel „rechte“ Ideologie geht, zufrieden damit, dass man mit den Skandalen von einst heute niemand mehr vor den Ofen hervorlocken konnte. Und die finale Frage des Buchs,  „Zensur von links?“ ist von ihm nicht wirklich kritisch gemeint.

Begriffe wie  „Wokeness“, „Normaldenkende“, „Cancel Culture“ oder „Kulturelle Aneignung“, also das, was das heutige Denken bestimmt, erregen aktuell die Gemüter. Allerdings ist bei dem in der Wolle gefärbten Linken Herbert Lackner hier nicht Kritik an neuen Verhaltensweisen zu erwarten, sondern nur die Kritik an denen, die sich diese Begriffe kritisch vornehmen. Der Kulturkampf geht weiter -und  Gegner gibt es immer noch  (beziehungsweise wieder).

Bedenkenswert wäre, wenn man es denn sehen möchte, dass der Gesinnungsterror von einst, den wir zu Recht so verdammen, heute einem ähnlichen Gesinnungsterror gewichen zu sein scheint, wo Menschen, die von der verordneten Mainstream-Meinung abweichen, gnadenlos ausgegrenzt werden. Und wir entrüsten uns über die anderen einst und heute?

Vielleicht kann man auch das aus Lackners Buch für heute lernen. Es gibt nicht nur eine Wahrheit.

Renate Wagner

 

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