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Herbert Haffner: WILHELM FURTWÄNGLER

14.04.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Herbert Haffner:
WILHELM FURTWÄNGLER
Im Brennpunkt von Macht und Musik
456 Seiten, wolke Verlag, 2020

Wie viel Anteil hat eine verfehlte politische Position an einem Künstlerleben? Das kommt darauf an, wie man es sich „nachher“ gerichtet hat – oder wie unabdingbar man war: Richard Strauss ist so wichtig für das Repertoire aller Opernhäuser der Welt, dass man keinerlei Anspruch auf die Damnatio memoriae aufrecht halten könnte. Herbert von Karajan baute sich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seinem Tod eine Stellung als „The One and Only“ auf, so dass sich lange niemand mit unangenehmen Fragen an ihn heran wagte. Wilhelm Furtwängler hingegen? Er war fast 60, als der Krieg endete und starb neun Jahre später. Die außerordentliche Stellung, die er im Dritten Reich genossen hatte, trug nichts zu seinem Nachruhm bei. Es gibt eine später geborene Dirigenten-Generation, die ihm huldigt, darunter Mehta, Barenboim, Thielemann. Aber ansonsten?

Nun liegt, 17 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, die Biographie aus der Feder des Kulturpublizisten Herbert Haffner in einer dritten, völlig überarbeiteten Fassung, wie es heißt, wieder vor. Es ist der ebenso umfangreiche wie genaue wie gewissenhafte Versuch, sich einem Künstler zu nähern, der als Mensch durchaus „schillerte“. Nicht im Sinn des Friedrich Schiller’schen Idealismus, sondern im Changieren der Farben seiner Handlungen und seines Charakters. Das kommt besonders deutlich heraus, weil der Autor sehr viele Quellen befragt, Zeitgenossen zu Wort kommen lässt und hier durchaus gegensätzliche Äußerungen konfrontiert. Auf diese Art wird klar, wie schwer dieser Wilhelm Furtwängler als Mensch schon zu seinen Lebzeiten zu fassen war – um wieviel weniger erst nachher, als die Ideologie gar keinen klaren Blick auf ihn erlaubte.

Der Autor liefert eine klassische Biographie, chronologisch „von der Wiege bis zur Bahre“, verknüpft das Private so logisch mit dem Beruflichen, wie es sich in jedem Menschenleben gestaltet. Geboren 1886 in Berlin  in eine Akademikerfamilie, nach ihm kamen drei Geschwister. Die Lust am Zeichnen wurde von der Begeisterung für Musik noch übertroffen – ein gewissermaßen vorgezeichneter Lebensweg von früher Jugend an. Für das, was er erreicht hat, brauchte er das außerordentliches Talent, das er mitbrachte.

Aber es war kein Blitzstart, Furtwängler ging die Karriere schrittweise, die Ochsentour, von Breslau angefangen, oft mit Ungeduld und Hochmut. Lebenslang betätigt er sich nebenbei als Komponist, setzt einige Aufführungen durch, wurde aber einzig in seiner Funktion als Dirigent – bald als großer Dirigent – bekannt.

Über Straßburg kam er nach Lübeck und fühlte sich erst in Mannheim richtig wohl, weil er endlich auch die großen Werke dirigieren durfte, die ihm seinem Selbstbewusstsein nach zustanden. Sobald dann Berlin auf ihn zukam, folgten auch die großen Jobs, obwohl sich herausstellte, dass Furtwängler im Konzertsaal am besten aufgehoben war – kein Theatermensch, kein Organisator, was niemanden hinderte, ihm wichtige Posten anzuvertrauen.

Furtwängler leitete die Berliner Philharmoniker, das Leipziger Gewandhausorchester, war schon damals ein Multi-Reisender, der auch noch die Wiener Tonkünstler (als Chef) oder die Frankfurter Museumskonzerte einschob… er wusste, wie viel man arbeiten musste, um reich und berühmt zu werden. „Nicht einmal Karajan schaffte eine derartige Ämterhäufung“, vermerkt der Autor. Wobei Furtwängler oft nicht ohne Stolz erlebte, wie sich die großen Musikstädte (etwa Wien und Berlin) rivalisierend um ihn „rissen“.

In den zwanziger Jahren sprang über den großen Teich und dirigierte die New Yorker Philharmoniker. Sein Überall-Sein führte immer wieder zu Spannungen, schadete ihm aber letzten Endes nie. Dabei lebte Furtwängler nicht im luftleeren Raum, um ihn waren Richard Strauss, Knappertsbusch, Clemens Krauss, Otto Klemperer, Toscanini, Karl Böhm rückte nach, die Größen seiner Zeit. Hier das Terrain zu behaupten, war nicht immer leicht. Immerhin war er es, an den sich Bayreuth wandte, wo er in den 30er Jahren viel dirigierte – und er, der die Wiener Staatsoper abgelehnt hatte, wurde 1933 Direktor der Berliner Staatsoper…

Privat gab es uneheliche Kinder, verschiedene Ehefrauen, treue Mitarbeiter. Dass man ihn als „wilhelminisch altmodisch“ charakterisierte im Gegensatz zum „werktreu modernen“ Toscanini, schadete Furtwängler nicht. Die Orchester und Sänger kannten ihn als wunderbaren Analytiker, der dennoch die Gefühlsebene keinesfalls ausklammerte.

Inzwischen war der Nationalsozialismus an die Macht gekommen, und ein Mann, der seine Spitzenämter halten wollte, musste sich arrangieren, obwohl Furtwängler Hitler, den er 1932 erstmals persönlich kennen lernte, als niveaulos verachtete – und damals noch sicher war, dass dieser Mann nie an die Macht kommen würde… Er irrte sich bekanntlich, auch in seinem Glauben, sich aus der Politik heraushalten zu können (den er mit vielen teilte). Denn die Nazis hofierten ihn und Furtwänglers Einwand, in der Musik solle es nicht um National und Rasse, sondern einzig um Leistung gehen, stieß auf taube Ohren. Furtwängler leistete „Widerstand“, aber doch nur so weit, dass es ihm nicht wirklich schadete. Große Stellungen und großes Geld brachten auch ihn zum Schweigen.

Das Buch widmet der Gratwanderung durch das Naziregime ein langes Kapitel, voll von Widersprüchen, wo man Furtwängler Antisemitismus vorwarf, aber auch seine berühmten Zornesausbrüche erlebt angesichts dessen, was das Regime ihm abverlangte. Wie mancher andere geriet er zwischen die Einflusssphären von Göring und Goebbels (der genau witterte, dass Furtwängler „kein echter Nationalsozialist“ war), und natürlich ging es dem Dirigenten um seine Karriere, wobei er stets ein für andere unangenehmer Kämpfer war, wenn man ihm und seinen Interessen in die Quere kam – Furtwängler galt durchaus als Meister der Intrige. Zwischendurch trat er beleidigt zurück, kehrte wieder, beugte sich den Zwängen, denen man damals nicht entkommen konnte. Zumal, wenn Hitler persönlich ihn über alle anderen Dirigenten stellte. War Furtwängler auch das, was man einen „anständigen Deutschen“ nannte, den die  Orchester „auf Knien“ anflehen mussten, bei Konzerten den Hitler-Gruß zu leisten? Das Urteil bleibt offen.

Furtwängler war der große Star, trotz allem, der Mann, der in Bayreuth den „Ring“ dirigierte, und dennoch spürte er schon in jenen Jahren, dass er vom Thron gestoßen würde. Vielleicht hat die Überschrift „Das Wunder Karajan“ am 22. Oktober 1938 in der „BZ am Mittag“ noch gar nicht so viel bedeutet, denn der Österreicher plagte sich noch jahrlang um seine Karriere (wie Furtwängler in seinen Anfängen), und die Formulierung wurde erst richtig berühmt, als Karl Löbl knapp drei Jahrzehnte später seine Karajan-Biographie so benannte. Aber der um 22 Jahre jüngere Rivale zeichnete sich für den Rest von Furtwänglers Leben wie ein Menetekel an der Wand ab, und nach dem Krieg sollten die beiden immer wieder in ihren Ambitionen zusammen stoßen (Walter Legge von EMI lavierte nur mit größten Schwierigkeiten zwischen ihnen durch)…

Es gab später ein Theaterstück des Dramatiker Ronald Harwood (das Buch geht nicht darauf ein), das Furtwänglers Entnazifizierung behandelt. Sie wurde ihm – und anderen – nicht allzu schwer gemacht. (Nicht jeder verhungerte wie Heinrich George in einem sowjetischen Lager.) Furtwängler arbeitete wieder, aber etwa in Wien demonstrierten ehemalige KZ-Häftlinge vor dem Musikverein gegen sein Auftreten. Er dirigierte – parallel zu Karajan – bei den Salzburger Festspielen, aber die außerordentliche Stellung, die er einst genossen hatte, nahm er nie wieder ein.

Furtwängler starb am 30. November 1954, und das, wie sein Arzt meinte, weil er nicht mehr leben wollte. Er war ein Mythos gewesen, ein Musik-Gott, er galt als der bedeutendste Dirigent des 20. Jahrhunderts. Weniger wollte er nicht sein.

Es ist eine große Geschichte zwischen Triumph und Tragödie, und der Mann, der sich seine Karriere ebenso erkämpft wie erarbeitet hat, zahlte einen hohen Preis. Vor allem, was seinen Nachruhm betrifft. Immerhin – diese Biographie bietet überreiches Material, sich selbst ein Bild über den Menschen und den Künstler zu machen.

Renate Wagner

 

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