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HELSINKI: DON CARLO

21.10.2012 | KRITIKEN, Oper

Verdi: Don Carlos (Helsinki, 19.10.2012)

Ein Rezensent, der über den Tellerrand des aktuellen Geschehens hinausblickt, könnte Mutmaßungen darüber anstellen, was ein Opernhaus wohl bewogen haben mag, eine funktionierende Inszenierung durch eine andere auszutauschen. Zugegeben, die Finnische Nationaloper ist für das Verdi-Jahr gut gerüstet und hat viele seiner Opern in ihrem Repertoire. Doch „Don Carlos“ wurde mindestens bis 2003 in einer handwerklich sehr gut gemachten Produktion in der Regie Rolf Långbackas gespielt, während die jetzige Neuinszenierung gravierende handwerkliche Schwächen aufweist. Das Produkt des Teams MANFRED SCHWEIGKOFLER (Regie) / WALTER SCHÜTZE (Bühnenbild) / HEIDI WIKAR (Kostüme) scheint mir sehr vom Bühnenbild dominiert zu sein. Eine Waldlandschaft mit Felsen an den Seiten stellt den visuellen Hintergrund für alle Szenen da, also auch für die Szene in Filippos Zimmer (!). Dies führt dazu, dass die Solisten, sofern sie nicht mit Herumklettern auf den Felsen beschäftigt sind, magisch von der Rampe angezogen werden – eine fatale Neigung, wenn bei einer Oper, die viele Duette enthält, meistens einer der Partner an der Rampe frontal ins Publikum singt, während der andere hinter ihm auf seinen Einsatz wartet. Die einer Fantasiewelt entsprungen zu scheinenden Kostüme sind nicht unkleidsam. Der Damenchor durfte zu Ebolis Schleierlied ein Tänzchen wagen; schließlich musste ja auch eine Choreographin (LOTTA KUUSISTO) zu ihrem Recht kommen. Insgesamt eine Produktion, die weit entfernt von „Regietheater“ ist, aber wiederum auch nicht gut bzw. interessant genug, um die Erinnerung an eine gut gemachte „traditionelle“ Inszenierung verblassen zu lassen.

 Zum Glück war es musikalisch zum Besseren bestellt. Der junge PIETRO RIZZO hat schon des Öfteren in Finnland unter Beweis gestellt, dass er ein großer Gewinn für jedes Opernhaus ist. Mit einem gut aufgelegten Orchester (die berüchtigten Hornpassagen gelangen blitzsauber) und einem hervorragenden Chor, der im Autodafé seine ganze Klangpracht demonstrieren konnte, zeigte Rizzo alle Tugenden eines guten Kapellmeisters, der Bühne und Graben gekonnt zusammenhielt und mit den Sängern atmete.

 Bei der Solistenbesetzung war positiv zu vermerken, dass die Finnische Nationaloper einmal ihrem Namen gerecht wurde und die meisten Partien einheimischen Künstlern anvertraut wurden. Eine herausragende Leistung bot MIKA KARES als Filippo, ein junger Bass, der in Karlsruhe im Festengagement ist. Hatte ich bei seinem Mefistofele in Savonlinna noch bemängelt, dass die Extremlagen gegenüber der klangschönen Mittellage schwächer ausgeprägt waren, so war es jetzt eine große Freude festzustellen, dass sein herrlich timbrierter, schlanker Bass nunmehr in allen Lagen gleich prächtig klingt. Ein guter Regisseur wird sicherlich schauspielerisch noch mehr aus ihm herausholen. Auch ist ihm nicht anzulasten, dass er im Aussehen wie der Sohn seiner Gattin wirkte. Diese (JUDITH HOWARTH) hatte ich vor gut 22 Jahren als eine ganz ausgezeichnete lyrische Soubrette (Barbarina, Adele, Giannetta) in positiver Erinnerung. Ihrer Elisabetta nach zu urteilen, scheint die Entwicklung zum lyrischen Spinto-Sopran durchaus kontinuierlich verlaufen zu sein. Zwar war nicht zu überhören, dass Judith Howarth nicht über die natürliche Klangfülle für die großen Ausbrüche (z.B. Szene mit Filippo) verfügt, doch erfreulicherweise ließ sie sich hier nicht zum Forcieren verleiten und vertraute auf die Tragfähigkeit ihrer Stimme. Bei LILLI PAASIKIVI ist diese Entwicklung von einem lyrischen Mezzosopran à la Cenerentola bis hin zu Wagner schneller verlaufen. Ihr sinnlich timbriertes Material passte sehr gut zur Eboli. Das Schleierlied wurde sehr gut bewältigt, und erst der Schluss der großen Eboli-Arie ließ Grenzen in der Klangentfaltung erkennen, ein Schicksal, dass Lilli Paasikivi mit Legionen von Ebolis teilt. Nach seinem desaströsen Des Grieux 2005 hatte ich MIKA POHJONEN nicht mehr gehört und bangte somit seinem Don Carlos entgegen, doch er scheint seitdem an seiner Technik, die ihm damals nicht gehorcht hatte, gearbeitet zu haben, und bot nunmehr eine sehr sichere Interpretation, die auch die Klippen der Partie anstandslos bewältigte. Dass der Gesamteindruck nicht mehr als bloß passabel war, lag nicht nur an seiner (um es vorsichtig zu formulieren) darstellerischen Blässe, sondern auch, dass mir sein Timbre zu wenig charakteristisch ist. Dieses Schicksal teilt er mit seinem Bühnenpartner TOMMI HAKALA, bei dessen Posa ich mich einerseits freue, dass er wieder den Weg zur Finnischen Nationaloper gefunden hat, bei dem ich mich jedoch auch frage, warum dieser Bariton, der immerhin den Cardiff-Preis „Singer of the World“ gewonnen hatte, keine größere internationale Karriere machte. Sein Posa ließ in ihm einen guten Sänger erkennen, der seine Stimme gut beherrscht; von großen Posa-Interpreten (auch finnischen, siehe Hynninen) trennen ihn auf Grund des eher durchschnittlichen Timbres Welten. Mit seinem Hagen-Bass bildete GREGORY FRANK ein bedrohliches Gegengewicht zum leichtgewichtigeren Kares, während ROLF BROMAN (Mönch) unauffälliger blieb.

 Für jeden Künstler muss es ein großes Vergnügen sein, an der Finnischen Nationaloper zu wirken. Zumindest das Premierenpublikum applaudiert üblicherweise mit großer Dankbarkeit und Ausdauer – gerade Regieteams in Deutschland können davon nur träumen. Ist diese Haltung nun Ausdruck der finnischen Mentalität, jedem eine Chance zu geben? Drückt sich dadurch ein tiefer greifendes Verständnis für Musik aus – oder vielleicht das Gegenteil?

 Sune Manninen

 

 

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