Helmut Luther
AUF DEN SPUREN DES DOPPELADLERS
EINE NOSTALGIEREISE DURCH ITALIEN
256 Seiten, Amalthea Verlag, 2020
Helmut Luther ist Südtiroler und in doppeltem Sinn in zwei Welten zuhause: in der italienischen und der deutschsprachigen, aber auch in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Seine Spezialität sind Reisefeuilletons der sehr gehobenen Art, wie man sie üblicherweise in Luxus-Hochglanzzeitschriften findet. Hier sind sie zwischen Buchdeckeln zu erleben und bewegen sich vordringlich in der Welt des nördlichen Italiens, wo man sich mühelos auf Habsburgische Spuren setzen kann.
Der Autor tut das, indem er anhand bestimmter Orte nun Ereignisse, mehr noch Persönlichkeiten der Vergangenheit in den Fokus seiner Betrachtungen stellt, sich dazu aber auch menschlicher „Reiseführer“ aus der Gegenwart versichert – ob das Nachkommen sind, best bewanderte Museumsexperten oder einfach nur kundige Menschen, die sich immer für die eigene Geschichte interessiert und anderen Leuten gehört haben, also heute das Gestern wiedergeben können. Und wenn ein bisschen Klatsch und Tratsch auch dabei ist, macht es dies noch farbiger.
So reiste Helmut Luther also auf den Spuren der Familie Habsburg, und er fand Erzherzog Johann auf Schloß Schenna (wo das Land noch von dessen Nachfahren bewirtschaftet wird), in Parma stößt man mit ihm auf „Maria Luigia“, die erfolgreiche Herzogin, die niemand anderer war als Marie-Louise, jene Tochter von Kaiser Franz, die man an Napoelon verheiratet hatte – und für die es die erfolgreichste Phase ihres Leben war, als selbständige Herrscherin des italienischen Herzogtums zu wirken. Ja, und der Geburtstort der späteren Kaiserin Zita aus der Familie Bourbon-Parma findet sich auch noch in Viareggio – samt alten Leuten, die gern über die Familienmitglieder plaudern.
Apropos Habsburg: Natürlich gab es gerade in der Region des nördlichen Italien viel Krieg, schon zu Zeiten des Andreas Hofer, der in Mantua dann hingerichtet wurde und noch heute seine treuesten Anhänger hat. (In Mantua zieht der Gesprächspartner von Helmut Luther ein rostiges Eisenkreuz aus einer Truhe… es hat einst das Grab von Hofer geziert.) Auch Feldmarschall Radetzky wird von vielen Italienern heute noch als Kerkermeister Italiens bezeichnet, und man gesteht zwar ein, dass der junge Kaiser Franz Joseph 1859 hier immerhin mutig die Schlacht von Solferino befehligt (und verloren) hat, aber so richtig gern hat man ihn nicht. Auch Thronfolger Franz Ferdinand hat keine Fans, hat er doch aus dem Schloß Castello de Catajo, das er von italienischen Familienmitgliedern erbte, alle Kunstschätze entfernt („gestohlen“) und nach Konopitste bringen lassen… Da herrscht schon noch Bitterkeit.
Helmut Luther ist aber auch mit Sigmund Freud unterwegs, von dem es den schönen Spruch gibt: „Unser Herz weist nach Süden“. In seinem Fall war es das Hotel du Lac in Lavarone, das ihn im Rahmen seiner 15 Italienreisen immer wieder anzog, wo man sich heute noch an ihn und seine Familie erinnert und wo der Autor auf dessen Spuren wanderte. (Wobei Freud einer der vielen Menschen ist, an denen sich beweisen lässt, dass sich die Juden ebenso viel aus der Natur, den Bergen und dem Wandern machten wie aus dem Kaffeehaus…)
Es ist italienische Geschichte mit österreichischem Hintergrund, wenn es um den lombardischen Ingenieur Carlo Donegani geht, dem Kaiser Franz II./I. auftrug, eine Straße zum Stilfser Joch zu bauen, mit 2757 Metern der höchste Gebirgspass Italiens.
In Riva am Gardasee fand der Autor nicht nur die Familie Hartung, deren Schicksal durch Generationen hindurch ein abenteuerliches war, sondern auch Heinrich und Thomas Mann oder Franz Kafka unter den Kurgästen. In Grado sind es die Auchentallers, die hier lange prägend wirkten – und doch hat der Maler Josef Maria Auchentaller hier seinen Ruhm als bekannter Künstler der Secession eingebüßt, als er von Wien in das schöne, entlegene Seebad am Meer zog…
Man liest von äußerst tragischen Schicksalen: Helmut Luther erzählt von dem jüdischen k.u.k. Offizier Richard Löwy, der sich im Ersten Weltkrieg die Achtung der Menschen im Fassatal erwarb, so dass sie ihn während des Krieges mit seiner Familie versteckten. Was sie vor der gnadenlosen Jagd der Nazis auf die Juden nicht retten konnte – sie alle kamen nach Auschwitz. Auch der ungarische Jude Arpad Weisz mochte in Italien als Fußballspieler und –Trainer einen großen Ruf genießen – er kam dennoch in Auschwitz um. Weniger tragisch ist es, in San Michele im Nonstal einer Apfelsorte nachzuspüren, die man an den Grafen Leo Tolstoi nach Russland geliefert hat…
Nur eines scheint überflüssig, ein Ausflug nach Rom, nicht nur, weil die dortige Geschichte nichts mit dem Doppeladler zu tun hat. Sie ist auch zu traurig und zu widersprüchlich, denn Wolf Murmelstein, der das Andenken seines Vaters retten will, der als Judenältester in Theresienstadt (gezwungenermaßen) mit den Nazis zusammen arbeitete, steht vor einer Mauer des Nicht-Verstehens. Gut, dass der Autor noch einen Schwenk nach Norden macht, wo die Stadt Turin den Prinzen Eugen von Savoyen auch für sich beansprucht, wo wir doch wissen, dass er ganz und gar zur Geschichte Habsburgs gehört…
Es sind anregende Reisen, die man mit Helmut Luther durch Italien unternimmt, und er repetiert nicht nur das Altbekannte, sondern fügt sehr viel Neues hinzu,
Renate Wagner