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Helge Klausener: MARIA CALLAS: TAG FÜR TAG – JAHR FÜR JAHR

10.04.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch callas chronik x~1

Helge Klausener
MARIA CALLAS:
TAG FÜR TAG – JAHR FÜR JAHR
Eine Chronik
480 Seiten, Hollitzer Wissenschaftsverlag, 2023

Zweifellos wird ein Großteil des interessierten Publikums es vorziehen, die Lebensgeschichte eines Menschen erzählt zu bekommen. Aber es gibt auch jene sachlich orientierten Leser, die immer wieder zu Chroniken greifen, die – wenn sie sorgfältig gemacht sind – evidente Vorteile haben: Sie sollten ohne persönliche Gewichtung eines Biographen alle Fakten zu einem Leben sammeln (während es beim Schreiben über einen Menschen  frei gestellt ist, sowohl auszuwählen wie Schwerpunkte zu setzen).

Weiters bringt die Chronologie ohne Abschweifungen wirklich eine solche – ein Leben, wie es gewissermaßen „Von Tag  zu Tag“ gelebt wurde (was ja die Essenz des Menschenlebens ist, wo man auch  nichts überspringen kann). Das größte, faszinierendste Unternehmen dieser Art war bisher „Goethes Leben von Tag zu Tag“.

Nun legt, im Jahr ihres hundertsten Geburtstags (Maria Callas, , 1923 – 1977, ein kurzes Leben von kaum 54 Jahren) Helge Klausener die Monsterarbeit seiner Callas-Chronik vor. Selbst nicht vom „Fach“ (im Hauptberuf Übersetzer für Italienisch und Spanisch), hat er, schon in jungen Jahren ein begeisterter Opernbesucher in Düsseldorf (sein Vorname sagt, für wen seine Mutter schwärmte), sich die Callas-Aufnahme der „Lucia di Lammermoor“ gekauft. Die Stimme jagte ihm einen Schauer nach dem anderen über den Rücken – und von da an war er der Callas verfallen, hat lebenslang gesammelt, was er über sie erhaschen konnte. Vieles, was er nun in seinem Buch zusammen getragen hat, lässt sich möglicherweise heute kaum noch finden. Zum Lohn entfaltet sich „la Divina“ tatsächlich aus den scheinbar nüchternen Fakten.

Dem grundlegend sachlichen Charakter des Unternehmens entsprechend, setzt das Buch nur anfangs Zäsuren (Jugend in New York, Jahre in Griechenland, Rückkehr nach New York, Karrierebeginn in Italien – da lernte sie im Sommer 1947 Meneghini kennen), dann werden ab 1949 einfach nur die Jahre mit ihren Ereignissen aufgelistet. Interessanterweise entwickelt sich so ein Leben von ungeheurer Einsichtigkeit. Fakten, Fakten, Fakten, hat man einst geschwärmt, und das hat durchaus seinen Reiz.

Der Autor begnügt sich aber nicht mit Daten, die Bezeichnung „eine Chronik“ allein greift eigentlich zu kurz. Seit sie wahrgenommen wurde, ist unendlich viel über die Callas geschrieben worden, Kritiken natürlich, aber auch Analysen. Hier wird wichtiges Dokumentarmaterial hinzugefügt, die das Bild runden. Mit einem Wort: Der Autor kommentiert so gut wie jede sachliche Eintragung mit einschlägigem Material, zitiert viel aus Zeitungsinterviews und Memoiren von Zeitgenossen, bringt auch Informationen über die „handelnden Personen“.

Obwohl es dem Autor darum geht, vor allem die Künstlerin Maria Callas in den Mittelpunkt zu stellen, kann er das Privatleben nicht vernachlässigen. Selbst Gerüchte gehören zu den „Fakten eines Lebens“ wie jenem der Callas. Wenn behauptet wurde, sie habe 1960 ein Kind von Onassis auf die Welt gebracht, das gleich gestorben sein soll, wird dazu Recherche geboten  und auch Quellen angegeben.

Eine besondere Stärke des Buches sind die akribisch aufgeführten Besetzungen der Callas-Auftritte, wo immer sie zu finden waren. Wahre Opernfreunde lieben Besetzungszettel – es kann nie um den Star allein gehen, man muss wissen, mit wem er auf der Bühne gestanden ist, um sich das wahre Bild eines Abends zu machen. (So, wie eine erfahrene Köchin ein Rezept nur zu lesen braucht, um zu wissen, wie es schmeckt.) Man weiß auch, welche Arbeit es ist, alten Theaterbesetzungen nachzuspüren.

Das kurze, aber brillante Vorwort von Jürgen Kesting (selbst ein Callas-Biograph) zeigt, dass man für die Callas zwar viele Worte und Bezeichnungen gefunden hat, aber immer noch staunend und fast ratlos vor dem Phänomen steht, das sie darstellte. Hier kann man sich selbst auf die Suche begeben. Dieses Callas-Kompendium wird für den Musik-, Opern- und Callas-Freund möglicherweise das wichtigste Buch seiner Callas-Sammlung sein.

Renate Wagner

 

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