WIENER OPERN G᾽SCHICHTEN
aufgeschrieben von Heinz Irrgeher
Leipziger Universitätsverlag, 232 Seiten, 2022
Heinz Irrgeher, der jedem Wiener Opernfreund ein begriff ist, ist er doch lange genug Präsident der „Freunde“ gewesen, widmet Opernfans (und ein bisschen auch sich selbst) zu seinem anstehenden 80. Geburtstag ein schmales Buch, das sich bestens zu Geschenkzwecken eignet. Es handelt von Musik im allgemeinen und Oper im besonderen, und es besteht aus vielen Einzelartikeln, die an sich unabhängig von einander sind und nach Lust und Laune (je nach Interesse am Thema) gelesen werden können.
Die „Opernrg’schichten“ sind in erster Linie Gedanken zu Opern, denn, wie Irrgeher aus Erfahrung richtig weiß, (und jeder echte Opernfreund wird es ihm bestätigen), je öfter man ein Werk sieht und hört, umso mehr zerbricht man sich darüber den Kopf, liest in der Literatur nach, kommt zu eigenen Schlüssen. Freilich, dass Tristan nach Irrgehers Überlegungen fast ein Schurke ist und Marke kein großer König, sondern nur ein alter Mann mit Verdrängungsmechanismus – da möchte man gleich mit ihm zu diskutieren beginnen. Aber das ist ja gut so.
Viele Analysen vordringlich zu Strauss- und Wagner-Werken sind bei aller Kürze tief schürfend, bieten viel Wissen und gelegentlich neue Gedanken. (Dass er bei „Lohengrin“ auch an die Lohengrin-Therme und eine ebenso benannte Bratwurst denkt, ist ein Drüberstreuer.) ;Man sollte die gewissermaßen „musikwissenschaftlichen“ Artikel nicht unterschätzen, Irrgeher ist mancher Rarität auf der Spur (der Goldmark’schen „Königin von Saba“ etwa) und kommt in der Moderne bis zu Martinu, Krenek, Eötvös. Nur die Reihung scheint völlig willkürlich, aber die Verschiedenheit seiner Zugänge wäre kaum in ein „Konzept“ zu pressen gewesen.
Manchmal wird Irrgeher auch ironisch-sarkastisch. „Troubadour“ in einem Satz? „Die von der Mutter einer Zigeunerin begründete Tradition des Kinder-ins-Feuer-Werfens findet nach Wiederholung durch ihre Tochter nach einer mit einem hohen C gekrönten, aber unglücklichen Liebesgeschichte wegen ihrer Hinrichtung keine Fortsetzung.“
Was die „G’schichten“ betrifft, so beinhalten sie Schmankerln über Sänger (wie viel Mühe es macht, Franco Corelli für ein Gespräch einzufangen, wie das Publikum am Ende von „Tosca“ lacht, wenn Montserrat Caballé beim Sturm auf die Spitze der Engelsburg ihren Mantel so zurück wirft, dass ein Verfolger davon voll eingehüllt wird und sich verzweifelt zu befreien sucht.) Es gibt Überlegungen, wie viele Juristen (Irrgeher ist selbst einer) es in Opern und Operetten gibt (ja, auch der Dr. Blind) oder wie viele Ärzte. Er erklärt, dass es nichts mit der Oper zu tun hat, wenn Wiener Opernfreunde sich „in der Aida“ treffen. Und was der musikalisch offenbar nicht über gebildete Journalist Ernst Molden sich anhören musste, als er von den Verdi-Opern Aida und Tosca schrieb…
Nebenbei ist das Buch auch in vereinzelten Kapiteln ein Stückchen Irrgeher-Biographie, und zwar der musikalische Teil. Dass der Vater beim Schubert-Bund und ein Hobby-Sänger war und er selbst schon als Junge in der „Wiener Kantorei“ von Hans Gillesberger mitsingen durfte. Dass er, Jahrgang 1942, noch zu jenen Kindern gehörte, die in der Schule Musikunterricht erhielten. Dass Herbert von Karajan der „Gott seiner Jugend“ war (das ging damals in Wien nicht anders, jeder wahre Opernfreund ist so punziert – bis heute).
Eigentlich wollte er ja Dirigent werden und dirigierte zu seinen Langspielplatten mit (etwa die „Pastorale“). Über das Theater der Jugend konnte man auch Opernkarten beziehen – eine Leidenschaft fürs Leben war gefunden.
Beruflich – zum Geldverdienen – hat Heinz Irrgeher nach dem Jusstudium vieles getan, aber die Musik war immer der Leitstern seines Lebens. Kaum in Pension, hat er sein Studium der Musikwissenschaft durchgezogen und mit einer Dissertation über den Wagner-Impresario Angelo Neumann beendet. Dazu gibt es sogar ein eigenes Buch, aber selbstverständlich kommt Neumann auch in diesen „G’schichten“ vor.
Natürlich ist von den Staatsopern-Freunden die Rede, aber so richtig friedlich ging es dort nie zu, es gab Fraktionen, manch einer ist enttäuscht geschieden. Aber es gab auch Sternstunden – nach einer „Don Carlos“-Aufführung beim Abendessen mit Freni, Baltsa, Ghiaurov und Karajan an einem Tisch sitzen zu dürfen?
Die Wiener Oper ist ohne den Stehplatz nicht zu denken, jeder, der früher dabei war, weiß, was „der Kampf um das Kipferl“ bedeutete (jene Ecke in der ersten Reihe, wo niemand hinter einem stand und man sich an die Wand der darüber liegenden Loge anlehnen konnte). Gerade mit dem Stehplatz und dem Reizwort Regie kann Irrgeher am Ende auch offen dem Direktor (der mit „Null Erfahrung, aber befreundet mit dem ihn seinerzeit platzierenden roten Minister“ ins Amt kam) sagen, was man davon hält, wenn etwa der legendäre Stehplatz des Hauses durch allerlei Manipulationen zerstört und, wie Irrgeher befürchtet, bald Geschichte sein wird. Die Zeiten, als man dort „aufwuchs“, sind wohl ohnedies vorbei.
Renate Wagner