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HEILBRONN: SPRING AWAKENING von Stephen Sater und Duncan Sheik

10.05.2014 | KRITIKEN, Operette/Musical

Musical „Spring Awakening“ im Theater Heilbronn -EIN BEWEGENDES STIMMUNGSBILD

Musical „Spring Awakening“ von Steven Sater und Duncan Sheik am 9. Mai 2014 im Theater/HEILBRONN

Spring Awakening 2

Anna Preckeler (Wendla), Ferdinand Seebacher (Melchior). Foto: Thomas Frank/ M42

Ganz aktuell zum baden-württembergischen Streit über den „Bildungsplan 2015“ (wo gleichgeschlechtliche Sexualität ein wichtiges Thema ist) wird dieses erfolgreiche Broadway-Musical nach Frank Wedekinds Schauspiel „Frühlings Erwachen“ in Heilbronn gezeigt. Das wegen erotisch freizügiger Szenen oft verbotene Werk erfährt durch die dramaturgisch kluge und melodisch eingängige Umsetzung von Steven Sater und Duncan Sheik eine ganz neue und beeindruckende Deutung. In der Regie von Christian Doll wird die Bühne hier zur bewegten Kulisse, in der die optischen Ebenen eine ganz eigene Sprache sprechen, denn das Bühnenbild von Fabian Lüdicke wird herauf- und heruntergefahren. Kati Kolbs Kostüme passen sich dem Zeitgeist mit Songs aus Rock, Pop und Folkrock facettenreich an. Aber auch „Spring Awakening“ stieß schon auf Proteste: Der Schulleiter eines Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen sagte vor knapp zwei Jahren eine Aufführung des Musicals ab, weil ihn die provokante Sprache des Stücks störte. In Heilbronn fand das Publikum jedoch sofort Gefallen an der geschickt arrangierten Handlung. Das zuweilen groteske Verhalten pubertierender Jugendlicher wird eben geschickt aufs Korn genommen.

Anna Preckeler ist als Wendla stimmlich die große Überraschung des Abends, sie findet schon beim gefühlvollen Song „Mama, who bore me“ einen ganz eigenen Ton mit geradezu überwältigender Klangfülle. Bei der gelungenen Aufführung wird einmal mehr deutlich, wie stark die Jugendlichen von der Außenwelt beeinflusst werden und rasch in eine ausweglose Situation geraten. Wendla erwartet schließlich ein Kind von ihrem Mitschüler Melchior (eindringlich: Ferdinand Seebacher) und gerät in einen schweren Konflikt mit ihren Eltern (plastisch in der Darstellung: Silvia Bretschneider und Tobias D. Weber). Der von Joachim Foerster mit tiefen Emotionen dargestellte Moritz bleibt in der Schule sitzen und sucht den Freitod. Zuvor hat er noch das von Luise Schubert nuancenreich verkörperte Freudenmädchen Ilse getroffen, das ihn noch mehr in die Depression treibt. Hierbei zeigen sich die ganz beonderen harmonischen Qualitäten von Duncan Sheiks Musik, die sich selbst veristischen Effekten nicht verschließt und auch Anklänge an George Gershwins „Porgy and Bess“ zuweilen zulässt. Das ist musikalisch durchaus spannend. Melchior wird dann von der Schulleitung massiv unter Druck gesetzt, denn er soll zugeben, dass er der Autor eines Aufsatzes über den Beischlaf ist, was er dann auch tut. Hier steigert sich das szenische Tempo der Handlung beträchtlich, alles gerät aus den Fugen. Melchior wird von der Schule gewiesen und nach der Beerdigung seines Freundes von seinen Eltern in eine Erziehungsanstalt gegeben. Aufgrund ihrer „Bleichsucht“ erfährt Wendla eine seltsame Behandlung, an der sie schließlich stirbt. Der stärkste Moment dieser Aufführung ist jene Szene, als Melchior sowohl der toten Wendla als auch dem ebenfalls verstorbenen Moritz wiederbegegnet. Da erreichen die kontrapunktischen Verknüpfungen und thematischen Verflechtungen einen Gipfelpunkt.

Auch die einfallsreiche Choreographie von Eric Rentmeister passt sich dem schwungvollen Geschehen an. Melchior verkündet schließlich prophetisch: „Ja, ich weiß, ich muss mir nur vertrau’n, und ich seh und ich geh voraus.“ In der Inszenierung wird deutlich, dass er zuletzt seinen alten Lebensoptimismus wiederfindet und vom Schicksal ins Leben zurückgeführt wird. Daran ändert auch die Schulklasse nichts. In weiteren Rollen überzeugen Julia Apfelthaler als Martha, Sandra Pangl als Thea, Sebastian Weiss als Otto, Gabriel Kemmether als Hänschen, Fabian Schiffkorn als Ernst und Guido Schikore als Georg. Unter der einfühlsamen Leitung von Heiko Lippmann musizieren Steve Mushrush, Philipp Tress (Gitarren), Christoph Raff, Christoph Sabadinowitsch (Drums, Percussion), Ana-Maria Lungu (Violine), Güldeste Mamac, Marcin Niziol (Bratsche), Christian Alber (Cello) sowie Steffen Kistner und Roberto Volse (Kontrabass/E-Bass) wie aus einem Guss. Bei den Latein-Szenen in der Schule brilliert der choreographische Ideenreichtum. Man fühlt sich an Torbergs „Schüler Gerber“ erinnert.

 

 

Eine überaus sehenswerte Produktion, die viel Beifall erhielt. 

 Alexander Walther

 

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