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HEILBRONN: HÄNSEL UND GRETEL als Gastspiel Staatstheater Karlsruhe

01.12.2014 | Allgemein, Oper

HEILBRONN: „Hänsel und Gretel“ als Gastspiel des Badischen Staatstheaters Karlsruhe im Theater Heilbronn

DER WALD IST EINE DREHBARE BÜHNE

Premiere von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ als Gastspiel des Badischen Staatstheaters Karlsruhe am 30. November 2014 im Theater/HEILBRONN

Unbenannt
Schlussszene. Foto: Thomas Braun

Engelbert Humperdincks Schwester Adelheid Wette ist Schuld daran, dass die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ überhaupt entstanden ist. Sie hatte ihn 1890 gebeten, einige Kinderlieder für ihr Märchenspiel „Hänsel und Gretel“ zu schreiben. Daraus wurde dann dieses äusserst erfolgreiche Märchenspiel. In der einfallsreichen Regie von Achim Thorwald konnte diese Inszenierung aus dem Jahr 2003 auch in Heilbronn das Publikum begeistern. Thorwald legt vor allem großen Wert auf den Wald in allen seinen Facetten. Auf einer drehbaren Bühne kann er seinen unbeschreiblichen Zauber entfalten. Da kommen Hänsel und Gretel gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Sabrina Kögel als Hänsel und Tiny Peters als Gretel überzeugen mit großen und geschmeidigen gesanglichen Bögen, die zu erstaunlichen Ausdruckskontrasten fähig sind. Die ärmliche weiße Holzhütte zu Beginn der Oper grenzt sich stark von der übrigen Aura ab. Hier sieht man den von Edward Gauntt mit sonorem Bariton als Riesen verkörperten Besenbinder Peter, der mit seiner Frau Gertrud (höhensicher: Christina Niessen) in ärmlichen Verhältnissen lebt. Achim Thorwald zeichnet hier jedoch die ironischen Momente passend nach.

Wegen ihrer Übermütigkeit werden die Kinder dann von der erbosten Mutter eines Tages in den Wald geschickt, um Beeren zu sammeln. Bei der Inszenierung wird der unheimliche Moment des Dunkelwerdens hervorragend verdeutlicht, da leuchtet das fantasievolle Bühnenbild von Christian Floeren in allen möglichen Schattierungen auf. Auch die Kostüme von Ute Frühling passen sich dem Geschehen präzis an. Plötzlich erscheint in all dem unglaublichen Grün das rote Hexenhaus, dem alsbald die von Matthias Wohlbrecht virtuos-grotesk gemimte Knusperhexe entsteigt. Zunächst schildert die Aufführung plastisch und glaubhaft, wie es ihr gelingt, die Kinder gefügig zu machen und letztendlich gefangen zu nehmen. Aber man spürt schon die heimliche Rebellion – schließlich wird die Hexe von Gretel in den rauchenden Ofen gestoßen. Mit einem lauten Knall und Feuerwerk ist dann das Ende der Knusperhexe besiegelt. Die Befreiung der Kinder mitsamt dem Wiedersehen mit ihren Eltern gerät zu einem ausgelassenen Freudenfest.

Sehr einfühlsam wird in der Inszenierung auch der Auftritt des von Constanze Hirsch leuchtkräftig gesungenen Sandmännchens gestaltet, während Larissa Wäspy dem Taumännchen eine sphärenhaft-metaphysische Aura verleiht. Die Elevinnen der Ballett- und Stepschule Münch in Heilbronn gestalten das Erscheinen der Engel sehr beweglich und abwechslungsreich. Gelegentlich werden daraus sogar übermütige Turnübungen. Eine besondere Attraktion ist auch der Auftritt der Knusperhexe mit dem Besen, denn sie fliegt bei dieser Produktion tatsächlich durch die Lüfte. Da kommt man als Zuschauer aus dem Staunen nicht mehr heraus. Kinder aus Heilbronner und Weinsberger Kinderchören bilden zuletzt einen fulminanten Abschlusschor.

Unter der umsichtigen Leitung von Ulrich Wagner kann die Badische Staatskapelle die zahlreichen Besonderheiten der Partitur schlüssig wiedergeben. Insbesondere die Transparenz ist überzeugend. Die bizarren Intervallsprünge der Hexe oder die unheimlichen Echostimmen prägen sich tief ein. Gut kommen auch die Irrlichter-Visionen über die Rampe, das Unwirkliche und Gespenstische setzt sich immer wieder durch. Das lichte D-Dur-Lied des Taumännchens und Sandmännchens sowie das „Abendsegen“-Motiv schaffen bei dieser Aufführung eine beglückend-lichte Atmosphäre. Dass die Kinder allerdings besonders fromm sind, wird bei dieser Inszenierung nicht unterstrichen. Sie werden aber trotzdem von vierzehn Engeln behütet: „Wenn die Not aufs Höchste steigt, Gott, der Herr, die Hand euch reicht!“ Der „Schutzengel“-Choral wird auch hier zum zentralen musikalischen Ereignis der Oper. Wie diese Melodie zum werkumspannenden Motiv wird, kommt nicht nur in der Traumpantomime plastisch zum Vorschein. Ulrich Wagner unterstreicht bei seinem Dirigat durchaus die musikalische Eigenständigkeit von Engelbert Humperdinck, der bei diesem Werk ja einen Gegenentwurf zu Richard Wagner schaffen wollte. Ohne Liebes- und Erlösungswahn oder den krassen Realismus des Verismus kommt dieses Märchenspiel aus. Modulierende Sequenzierung und symphonische Durchführungstechnik beleuchtet der Dirigent kunstvoll. Ein weiterer Staccato-Höhepunkt ist der „Hexenritt“ im Vorspiel zum zweiten Bild. Dennoch werden bei der Aufführung die starken Bezüge zum Werk Wagners nicht geleugnet – dies betrifft vor allem die Leitmotivtechnik für jede Szene. Der Dirigent Ulrich Wagner betont mit der gut disponierten Badischen Staatskapelle den besonderen Reiz dieser Musik, der gerade in der Konfrontation von Wagner-Stil mit volksliedhafter Walzer- und Operettenseligkeit liegt. So kommt die kompositionstechnische und stilistische Vielfalt hier nirgends zu kurz. Sie findet ihre gelungene Entsprechung in der staunenswerten Vielfalt des Waldes, der sehr bald zum visuellen Zentrum des Geschehens wird. Diese Passagen machen überhaupt die besondere Stärke von Achim Thorwalds Inszenierung aus. Diese Formatverkleinerung des Wagnerschen Mythos zum Märchen lässt sich auch bei dieser lebendigen Aufführung nicht verleugnen. Lied, Choral, Kinderlied und der allgemein volkstümliche Tonfall beweisen immer wieder ihre Attraktivität. Die Weisen „Suse, liebe Suse“ und „Ein Männlein steht im Walde“ zeigen dies sehr deutlich. Übrigens hat selbst Cosima Wagner Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ inszeniert. Humperdinck hatte ja zuvor Wagner bei der „Parsifal“-Produktion in Bayreuth assistiert. Die Zartheit und Feingliedrigkeit der einzelnen Motive stechen deutlich hervor. Obwohl die Besetzung der Hexe mit einem Spieltenor von Engelbert Humperdinck strikt abgelehnt wurde, kann auch diese Version fesseln, was der vom Publikum an diesem Abend frenetisch gefeierte Matthias Wohlbrecht unter Beweis stellte. Andrei Golescus Choreografie trägt weiterhin zum Gelingen der Produktion bei, denn er integriert insbesondere die Elevinnen der Ballett- und Stepschule Münch in bemerkenswerter Weise ins Geschehen der Handlung. Der Erfolg von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ seit der Uraufführung am 23. Dezember 1893 in Weimar unter der Leitung von Richard Strauss ist bis heute ungebrochen. Nach einem Jahr hatten bereits 50 Bühnen das Werk gespielt, Dirigenten wie Gustav Mahler und Felix Weingartner feierten damit triumphale Erfolge. In diese Erfolgsgeschichte reiht sich auch diese Version des Badischen Staatstheaters Karlsruhe ein, die jetzt zum ersten Mal in Heilbronn zu sehen ist. Interessant sind aber auch die Bezüge im Programmheft zum Geschehen der Handlung, denn es werden die Hexenprozesse im 17. Jahrhundert beleuchtet – und damit das Unrecht, das den Frauen in der damaligen Zeit zugefügt wurde. Jacob Grimm schien tatsächlich an Hexen zu glauben: „Diese krummnäsigen, spitzkinnigen, hängelippigen, schiefzähnigen, rauchfingrigen Weiber stiften Übel, ohne dass es ihnen nützt…“   

 Alexander Walther

 

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