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Heike B. Görtemaker: HITLERS HOFSTAAT

29.07.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Heike B. Görtemaker:
HITLERS HOFSTAAT
Der innere Kreis im Dritten Reich und danach
528 Seiten, Verlag C. H. Beck, 2019

Nachdem ihre Biographie über Eva Braun erschienen war, erhielt Autorin Heike B. Görtemaker einen interessanten Besuch. Claus Dirk von Below ist der Sohn von Nicolaus von Below, einem von Hitlers Adjutanten und Vertrauten. Und er erzählte, was man im allgemeinen nicht weiß – dass der „Kreis um Hitler“ sich nach 1945 nicht aufgelöst hätte, vielmehr weiterhin in engem Zusammenhalt agierte. Und dass die Generation, die zu Hitlers „Hofstaat“ (vor allem am Berghof in Berchtesgaden) gehört hatte, von ihrer Bewunderung für den „Führer“ und von der glorifizierten Erinnerung an ihre „schönste Zeit“ so gut wie nie abrückte…

Nun kann man nicht sagen, dass es medial kein Interesse an Hitler gäbe, vor allem für ihn privat, die dritten Fernsehkanäle sind voll von Dokumentationsfilmen über ihn, sein Umfeld, seine Zeit. Dennoch erschien es der Historikerin Görtemaker interessant, nach dem „Inner Circle“ zu fragen, der Hitler umgab.

Und da lässt sich doch eine Menge Neues erzählen, wobei ein interessanter Schwerpunkt auf den Frauen liegt. Denn dass es neben Eva Braun und Magda Goebbels, die es gewissermaßen zu breiterer Popularität gebracht haben, noch einen relativ großen Kreis von leidenschaftlichen Anhängerinnen gab, war kaum klar. Man erinnert sich ja auch, wie beharrlich Winifred Wagner und Leni Riefenstahl, die in dem Buch nur am Rande bzw. kaum vorkommen, weil sie nicht zur Berghof-Clique gehörten, späteren Interviewern ihre unerschütterliche Hitler-Verbundenheit bekannten. Das ist nämlich tatsächlich das Erstaunliche – es mag vereinzelt Persönlichkeiten gegeben haben, die aus Berechnung Hitlers Nähe suchten. Aber kaum jemand erweckt den begründeten Verdacht, seine Begeisterung für diesen „Führer“, dessen Faszination die Nachwelt nicht nachvollziehen kann, sei nicht echt gewesen…

Die Autorin geht chronologisch vor und zeichnet die „private“ Seite Hitlers, die auch seine öffentliche war, in all ihren Veränderungen. Keinesfalls stimmt das Klischee, der österreichische Kleinbürger, der aus dem Nichts kam, habe seine unvorstellbare Karriere aus eigener Kraft geschafft. Tatsächlich muss er die Gabe besessen haben, nicht nur die Massen, sondern auch Einzelmenschen dermaßen zu begeistern, dass sie sich ihm und seinen Visionen zur Verfügung stellen. Nur gemeinsamer Antisemitismus allein kann es nicht gewesen sein.

Am Ende (von der Autorin im Buch voran gestellt) stand der Untergang in der Reichskanzlei, an der Seite der letzten Getreuen – jene, die wie Goebbels und seine Frau so weit gingen, nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Kinder zu töten. Am Anfang liegen jene Jahre ab 1920 in München, wohin es Hitler als einen der vielen, die ohne Perspektive aus dem Ersten Weltkrieg gekommen waren, verschlug. Nur, dass er ein Konzept hatte, das er später während seiner Haft in Landsberg in Worte fasste: „Mein Kampf“. Und von Anfang an waren erstaunlich viele Einzelpersonen bereit, diese Vision mitzutragen und sich ganz in den Dienst des unscheinbaren, vermutlich auch schüchternen Mannes zu stellen, der seine Rolle später wie ein Schauspieler ausführte. Als „Künstler“ hat er sich ja ohnedies immer verstanden.

Man muss begreifen, dass Hitler nur einer unter Vielen war, die – ob ganz links, links, rechts, radikal – in Splittergruppen in diesem Deutschland der Zwanziger Jahre Unruhe stifteten. Und lange schien er auch ein „bayerisches“ Phänomen zu sein (angeblich war er nie wirklich gerne in Berlin). Einer der Ersten, der sich ihm anschloß, war Ernst Röhm, der später auch einer der Ersten war, der blutig fallen musste, weil er es an der gänzlichen Loyalität fehlen ließ, die Hitler forderte. Viele gaben sie ihm, und jeder neue Anhänger brachte weitere, so wie der Schriftsteller Dietrich Eckart das reiche Ehepaar Edwin und Helene Bechstein in den Kreis holte, in dem sich dann auch Elsa und Hugo Brockmann fanden, reich, adelig, gebildet, die immer mit Geld, Quartier, Unterstützung zur Verfügung standen.

Hitler, der sich später so über Mussolini erhob, sah in dem „Duce“, der es in Italien viel früher „geschafft“ hatte als er, ein Vorbild. Er fand brauchbare Fachleute wie Alfred Rosenberg oder Houston Stewart Chamberlain als Ideologen, fast-Freunde wie Ernst Hanfstaengl, überaus nützliche Mitarbeiter wie den Fotografen Heinrich Hoffmann, der mit seinen Bildern über Jahrzehnte das mediale Hitler-Bild bestimmte – auch im Ausland mit fast niedlichen „Home Stories“. Hitler putzte mit Bayreuth und Winifred Wagner sein „kulturelles“ Image auf, und mit dem schmalen, hinkenden, jungen, noch ziellosen Joseph Goebbels lief ihm ein intellektuelles Talent zu, das er nur zu gut brauchen konnte. Daneben erfolgte der Aufstieg von NSDAP und SA durchaus gewalttätig, was ihm keiner seiner Getreuen, die ihn wie eine „Ersatzfamilie“ umgaben, übel zu nehmen schien.

„Hitlers Frauen“ ist längst ein Lieblingsthema weniger der Fach-, als der Populärliteratur geworden. Da war zuerst seine Nichte und Geliebte Geli Raubal, deren „Selbstmord“ nicht allzu glaubhaft war, und dann Eva Braun, von der die Autorin viel weiß und der sie unterstellt, die Beziehung zu Hitler nicht nur selbst forciert, sondern sogar erzwungen zu haben. Dass sie Hitler „treu bis in den Tod“ anhing, hat sie allerdings im Bunker, im brennenden Berlin, bewiesen.

Dass aus dem Niemand Hitler innerhalb von gut einem Jahrzehnt eine Institution, auch eine Firma mit „Büro“ geworden war, beweisen die vielen Sekretärinnen, die ihm auch mit ebensolcher Treue anhingen wie seine Begleiter, die Chauffeure, die Diener. Es mag auch mit einer gewissen österreichisch-kleinbürgerlichen Höflichkeit zu tun gehabt haben, die vor allem von den Frauen immer betont wurde und die überdeckte, was in diesem Kopf wirklich vorging.

Die Autorin zeichnet genau die Änderungen und Verschiebungen im „Hofstaat“ nach – wie der Hitler, der es geschafft hatte, langsam Leute abstieß, der er gebraucht hatte, aber nun nicht mehr benötigte, und wie in der Welt des „Berghofs“, der nach und nach ganz zu einer Festung und einem geradezu königlichen Haushalt ausgebaut wurde, sich dann jene Menschen einfanden, die ihm etwas zu verdanken hatten. Dabei war Rudolf Heß noch ein Mann der Frühzeit, auch Göring und Himmler (die ihre eigenen Kreise bildeten und sich weniger an Hitler drängten), während sich Martin Bormann und vor allem der ehrgeizige Albert Speer (für den die Autorin nichts übrig hat) sich erst später dazu gesellten, ebenso die Adjutanten Wilhelm Bruckner und Nicolaus von Below sowie Hitlers erster Leibarzt Karl Brandt, zu dem sich dann der von vielen als Scharlatan betrachtete Theodor Morell dazu stieß.

Und, wie erwähnt, zu den Männern kamen die Frauen: Magda Goebbels (Hitler hatte ihrem Mann glatt verboten, sich für Lida Baarova scheiden zu lassen) oder Ilse Heß, Gerda Bormann oder Margarete Speer, sie alle waren leidenschaftliche Anhängerinnen Hitlers, verbrachten am Berghof ihre „glücklichsten Stunden“ und waren samt Kindern bei Hitler willkommen. Wobei Eva Braun, vor der Öffentlichkeit versteckt, doch die ungekrönte Königin des Kreises war, um die man sich bemühen musste – und die schöne, blonde, fünffache Mutter Magda Goebbels trotz ihrer undeutschen Eleganz und Weltläufigkeit doch die deutsche Vorzeigefrau.

Die Autorin schildert das Leben auf dem Berghof, dessen Idylle dann durch dem Krieg nach und nach gesprengt wurde, in interessanter Detailfreudigkeit – Alltag, Menschen, Intrigen. Wie bei jedem Hofstaat gab es nur Buckelei und Zustimmung zu allem, was der „Führer“ sagte und tat, Kritik war so gut wie undenkbar.

Als sich der Schauplatz erst nach Berlin in die Reichskanzlei verlegte, kam der „Hofstaat“ noch großteils mit. Als der Krieg fortschritt und dann die Wolfsschanze das Zentrum wurde, hatte das gesellschaftliche Leben ein Ende – Hitler selbst hasste die ländliche Einsamkeit der weit im Osten liegenden Wolfsschanze, war aber gezwungen, monatelang dort zu verweilen, um den Krieg gegen Rußland zu führen.

Wie viel haben die Damen und Herren, die in Hitlers Umkreis ein so elegantes Leben führten (wenngleich sie sich sklavisch an seine Gewohnheiten halten mussten und ihr ganzes Dasein nach ihm auszurichten hatten), vom Holocaust und den anderen Verbrechen des Regimes gewusst? Die Autorin verfolgt den „Hofstaat“ auch über Hitlers Tod hinaus, und die Antwort, die alle gaben, lautete meist: Nichts. Am erstaunlichsten, dass der mit Hitler so eng verbundene, aber auch am geschicktesten taktierende Albert Speer sich als „guter Nazi“ stilisieren konnte (und mit seinen Memoiren noch einen Millionen-Erfolg einfuhr). Karl Brandt, Hitlers Arzt, wurde in Nürnberg zum Tod verurteilt, weil er seinen Beitrag zu den Euthanasie-Programmen nicht nur eingestand, sondern auch bis zuletzt vertretbar fand. Alle anderen, die von den Anklägern befragt wurden, gaben sich gänzlich unschuldig und unwissend, und die meisten kamen damit durch. Vereinzelte Mitglieder des Kreises, die entweder Einsicht zeigten oder sich Vorteile davon erhofften, Schmutz auf Hitler und die gemeinsame Zeit zu werfen, fanden bei den alten Freunden kein Verständnis.

Interessant, wie die Autorin am Ende ausführt, dass viele Mitglieder des „Hofstaates“ entweder selbst Memoiren schrieben oder ausführliche Interviews gaben, alle mit der Tendenz, vor allem die Person Hitlers (und sich selbst) zu entlasten. Dabei wurde auch nach allen Regeln der Kunst gelogen, aber dennoch hat man diese Zeugnisse lange Zeit ungeprüft in die Geschichtsschreibung aufgenommen und dafür gesorgt, dass ein Nachkriegs-Deutschland, das diese Vergangenheit offiziell möglichst hinter sich lassen wollte, Reinwaschungs-Argumente zur Verfügung hatte.

Dass das Bild Hitlers, das von seinen „Getreuen“ überliefert wurde, gewaltig schwankte, hat noch lange zu großer Verwirrung über seine Person beigetragen. Dass er ein Faszinosum für seine Umwelt war – daran kann (und will) allerdings auch dieses Buch nicht rütteln, ob wir es verstehen können oder nicht.

Renate Wagner

 

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