Heidi Kastner
DUMMHEIT
110 Seiten, Verlag Kremayr & Scheriau , 2021
Albert Einstein war fest davon überzeugt, die menschliche Dummheit sei mindestens so unendlich wie das Universum. Und fraglos sind viele Katastrophen der Weltgeschichte auf menschliche Dummheit zurück zu führen. Wie geht man diesem Phänomen auf den Grund?
Wer über Dummheit spricht oder schreibt, meint die anderen, hält sich allerdings selbst für gescheit – und das ist angeblich ein untrügliches Zeichen für Dummheit. Allein diese Voraussetzung sagt, wie schwer es ist, dieses ewige Thema (denn gegen die Dummheit kämpfen bekanntlich die Götter selbst vergebens) in den Griff zu bekommen.
Heidi Kastner, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Primarärztin am Kepler Universitätsklinikum ihrer Heimatstadt Linz, gefragte Gerichtspsychiaterin, versucht es. Allein ihr wissenschaftlicher Hintergrund macht klar, dass man es in diesem Ratgeber-schmalen Büchlein nicht mit journalistischem Geplaudere, sondern mit einer Analyse des Themas zum Mitdenken zu tun hat.
Wissenschaftlich gibt es den „Intelligenz“-Test, der von der Intelligenz-Bestie bis zum Schwachsinn ein Zahlensystem zu bieten hat. Wobei klar ist, dass hoch intelligente Menschen aus Mangel an Sensibilität ihrer Umwelt gegenüber auch „dumm“ handeln können. Was gilt also objektiv als „gescheit“? „Zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken, sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinander zu setzen.“
Das vernünftige Denken wird uns gerade in unserer Zeit nicht gerade leicht gemacht. Es scheint, dass die Menschen mit dem Aufkommen der Sozialen Medien, wo jeder verbreiten kann, was er mag, für „Dummheit“ aller Art besonders empfänglich geworden sind. Unfasslich, dass die „Follower“ von irgendwelchen „Influencern“ tatsächlich glauben können, was ihnen da an Weisheiten vorgesetzt wird, die sie kritiklos nachplappern, ohne sich zu fragen, wer die Leute sind, die ihnen eingeben, was sie zu denken haben.
Natürlich kann auch Corona nicht übergangen werden, und die Argumente von Impfgegnern, die hier (nach Umfragen) aufgezählt werden, können mit etwas gesundem Menschenverstand leicht zerpflückt werden. Was absolut nichts nützt, denn die „Wahrheit“ ist so undurchschaubar geworden, dass man verzweifeln möchte, ob es sie überhaupt gibt.
Kein Mensch kann zu jedem Thema ein Fachmann sein, also muss er sich auf „Fachleute“ verlassen. Doch wenn diese mit diametralen Aussagen gegen einander kämpfen, geht der „gesunde Menschenverstand“ chancenlos unter – und jeder wird glauben, was er glauben mag.
Ein ganz gefährlicher Spielball im menschlichen Denken ist die Emotionalität, mit der alle Diktatoren und Populisten seit jeher so erfolgreich arbeiten. Mit dem Befeuern von Vorurteilen, mit dem Aufstacheln von Neid und Ängsten, kann man Menschen „dumm“ machen, die dann noch meinen, besonders gescheite Durchblicker zu sein – und die davon nicht abzubringen sind. Und die „Gescheiten“ an den Schalthebeln der Macht halten die „Dummen da unten“ zu ihrem eigenen Vorteil absichtsvoll so, weil es ihrem Vorteil nützt…
Gibt es Hoffnung, der kollektiven Dummheit zu entgehen? Nachdem die Autorin das Thema aus vielen Gesichtspunkten umkreist und viel zitiert hat, aber auch vieles einfach als Behauptung in den Raum stellt, scheint es wenig Hoffnung zu geben. Es herrschen die Lernverweigerer (Rückzug auf das „gesunde Misstrauen“ und darauf, was „immer schon“ gegolten hat), die Denkfaulen (mangelndes Training des Urteilsvermögens), die Querulanten (Floskeln zur Abwehr unliebsamer Argumente), die Faktenverweigerer (das Recht auf eigene Meinung zum Recht auf eigene Fakten ummünzen), die Ignoranten (die nicht anerkennen, dass man nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hat), die Verschwörungstheoretiker (auch Querdenker, Staatsverweigerer…) und viele mehr.
Mit Selbsterkenntnis, Selbstkontrolle und Empathie hat es der heutige Menschen nicht so, zumal das Geschäft mit Gefühlen ein gefährliches ist. Schnelle und simple Lösungen gibt es nicht. Wohl aber „Dumme“, die anderen Schaden zufügen – und sich selbst für gescheit und die einzigen „Durchblicker“ halten. Aber sie sehen das natürlich gänzlich anders.
Hoffnungslos? Vermutlich. Leider. Wenn nicht einmal Wissenschaftler das Problem dialektisch so aufbereiten können, dass es definitive, haltbare, „gescheite“ Antworten gibt.
Renate Wagner