Heidelberg: Im weißen Rössl
29.07.2021 um 20.30 Uhr – Heidelberger Schlossfestspiele
Im Rahmen der Heidelberger Schlossfestspiele kam ab 19. Juni Ralph Benatzkys Singspiel in drei Akten „Im Weißen Rössl“ vor der opulenten Schlosskulisse im Innenhof der Schlossruine, dargeboten von Mitgliedern des Heidelberger Theaters und Gästen zur fast zweistündigen Aufführung, ohne Pause. Die beschwingte Handlung um die schöne verwitwete Rössl-Wirtin Josepha Voglhuber, die den alljährlich einkehrenden Gast Dr. Otto Siedler aus Reputationsgründen heiraten möchte, wird von ihrem Kellner Leopold Brandmeyer schwärmerisch verehrt. Für Verwirrung sorgt Fabrikant Wilhelm Giesecke mit seiner schönen Tochter Ottilie, in die sich Dr. Otto Siedler unsterblich verliebt. Lebemann Sigismund Sülzheimer wiederum liebt die Tochter des anreisenden Prof. D. Hinzelmann, das lispelnde und schüchterne Klärchen. Ein Liebeschaos, beeinflusst von Geschäftsrivalitäten, wendet sich erst durch die weisen Worte des Kaisers zum Happy End. Josepha findet zu Leopold, Klärchen zu Sigismund und Ottilie zum Namensvetter Otto.
Gäste fahren in stilisierten Autos vor. (Fotografin: Susanne Reichardt)
In der Inszenierung von Felix Seiler wird die heitere Handlung satirisch überspitzt und ironisch überhöht und damit der Albernheit preisgegeben. Das Singspiel wird zur Satire auf das eigentliche Singspiel, nicht zu dessen Wiedergabe. Das sparsame Bühnenbild von Darko Petrovic zeigt zwei schematische Häuser und angedeutetes Wasser aus Sperrholzplatten in den Farben blau, rot und braun, integriert in die imposante Schlossruine.
Stefanie Schaefer als Josepha Voglhuber im roten Kostüm (Kostüme: Linda Schnabel), passt vom Typ nicht in die Rolle einer Männer bezirzenden Dame, ihr fehlen Ausstrahlung, Charme und Lebhaftigkeit. Ihre Josepha erscheint eher im Typus einer strengen Gouvernante, und es ist kaum zu verstehen, wieso alle Kellner ihrem Charme verfallen sollen. Zufriedenstellend dagegen ihre gesangliche Leistung, ihr Mezzosopran passt sich den gesanglichen Linien überzeugend an, auch wenn der stimmliche Ausdruck fehlt. Anzumerken ist noch eine Kleinigkeit, die aber die Glaubwürdigkeit des Spiels betrifft, Stefanie Schaefer hat in einer Szene anzudeuten, dass sie auf dem Akkordeon spielt, vergisst dabei aber, die Tasten des Akkordeons zu betätigen, was alle Illusion nimmt. Das sollte nicht passieren!
Die Besetzung der Rolle des feschen Oberkellners Leopold Brandmeyer mit Heldentenor Kammersänger Winfried Mikus, seit 1992 im Ensemble des Heidelberger Theaters, ist nicht minder eine völlige Fehlentscheidung. Der dümmliche Ausdruck im Gesicht und die Unbeholfenheit des Kellners machen es klar verständlich, warum Josepha Voglhuber gefühlsmäßig nichts für ihren Oberkellner empfindet. Neben einer deutlichen Diktion und gutem wienerischem Akzent, zeigen sich immense stimmliche Schwierigkeiten, ein Wackeln der Töne, fehlende Höhe, ein wirkliches Schiefsingen, das auf Indisposition schließen lässt. Mikus schafft es jedoch auch darstellerisch nicht, sich glaubwürdig mit der Rolle auseinanderzusetzen, durch schauspielerische Übertreibungen und viel zu viel Bewegung auf der Bühne, vermag er es nicht seine Pointen treffend zu setzen.
Stefanie Schäfer als Josepha Voglhuber und Ks. Wilfried Mikus als Leopold. (Fotografin: Susanne Reichardt)
Schauspieler Alexander von Hugo als Dr. Otto Siedler im weißen Anzug mit Hut kann mit seiner zarten Stimme, auch bekannte Nummern wie „Die ganze Welt ist himmelblau“, nur im angedeuteten Sprechgesang vortragen. Simon Rußig als Sigismund Sülzheimer, mit langer blonder Perücke, die am Hut befestigt wurde, ebenfalls im hellen Anzug und mit der stolzen Anzahl von sieben Koffern beladen, kennzeichnet seine Rolle durch laszive Bewegungen und zeigt in „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“ eine mittelmäßige Gesangsleistung. Mezzosopranistin Katarina Morfa als Klärchen Hinzelmann, seit 2019/20 im Ensemble, in beigem Kostüm, spielt gekonnt ein dümmlich-verschämtes Klärchen, das auch in gesanglicher Hinsicht einigen Genuss bot, nur vergaß sie leider hin und wieder im Singen ihre lispelnde Sprechweise beizubehalten.
Simon Rußig als Sigismund Sülzheimer und Katarina Morfa als Klärchen Hinzelmann. (Fotografin: Susanne Reichardt)
Bassist Wilfrid Staber als Kaiser, seit 2009/10 im Ensemble, hielt seine Rede anfangs vom Schlossturm, wirkte aber als sehr kleiner Kaiser im Gegensatz zu seinen Mitspielern etwas mickrig und vermochte nicht, sich ehrfurchtgebietend zu geben, wogegen alle Untergebenen vergaßen, den üblichen Hofknicks vor dem Kaiser zu vollführen, wie man es aus anderen gelungenen Inszenierungen kennt. Stabers tiefe markante Bassstimme konnte aber seiner Rolle einige Kontur geben. Musicalsängerin Romina Markmann als Piccolo,- die Besetzung dieser Rolle mit einer Sängerin erstaunte ein wenig -, debütierte in Heidelberg. Ihrer wenigen künstlerischen Erfahrung entsprechend agierte sie stets zu viel, machte zu große und zu viele Bewegungen, spielte zu überzogen, und wurde damit ihrer Figur nicht gerecht. Durch die überspitzen Versuche, um jeden Preis lustig zu wirken, ging jeglicher Humor verloren. In stimmlicher Hinsicht konnte sie durchaus mithalten und überzeugte durch ihre große Höhe und ihr professionelles Jodeln. Prof. D. Hinzelmann alias Schauspieler Olaf Weißenberg, seit 2011/12 im Ensemble, vollbrachte eine mittelmäßige sängerische und darstellerische Leistung.
Sopranistin Jenifer Lary, seit 2020/21 im Ensemble, als Ottilie Giesecke, blondgelockt im rosa Kleid, brillierte stimmlich und in deutlicher Diktion und überzeugte auch tänzerisch mit Mistgabeln, gemeinsam mit Dr. Siedler. Eine überragende Leistung, die alle anderen Mitspielenden in den Schatten stellte, zeigte Schauspieler Steffen Scheumann als Wilhelm Giesecke, erst in beigem Anzug, dann in bayerischer Tracht, der überzeugend, in deutlichster Aussprache, das echteste Berlinerisch imitieren konnte und sich in Ausdruck und Darstellung als brillanter Schauspieler erwies, der nie zu viel agierte, sondern stets die richtige schauspielerische Dosierung fand. Durch diese großartige Interpretation fiel seine etwas brüchige Singstimme nicht ins Gewicht, er vermochte auch so durch seine ernsthaft vorgetragenen Darbietungen zu fesseln und zum Lachen anzuregen.
Romina Markmann als Piccolo, Ks. Wilfried Mikus als Leopold, Jenifer Lary als Ottilie und Steffen Scheumann als Wilhelm Giesecke. (Fotografin: Susanne Reichardt)
Hinzu kamen zwei tanzende Kühe im Blumenschmuck und mit Kuhglocke, ein Holzschuhtanz, der teils das aus dem Hintergrund agierende Orchester übertönte, ein Tanz der Stubenmädchen mit Staubwedeln und den Herren des Opernchors in Lederhosen und gestreiften Hemden sowie einen Wassertanz in Bademode mit Sigismund und Klärchen. Tänzerisch war alles bestens einstudiert (Choreografie: Kati Farkas). Das Philharmonische Orchester Heidelberg unter der Leitung von Johannes Zimmermann, wirkte statisch, wenig bewegt und leiernd.
Steffen Scheumann als Wilhelm Giesecke in bayerischer Tracht. (Fotografin: Susanne Reichardt)
Das Singspiel sollte insgesamt ernsthafter dargestellt werden, um scheinbar ungewollt komisch zu wirken und das Publikum humorvoll zu unterhalten. Darstellerisch und gesanglich eine wenig befriedigende Aufführung, mit Ausnahme von Steffen Scheumann als Wilhelm Giesecke und Jenifer Lary als Ottilie, denn auch in einem Singspiel sollte mit gleicher Akkuratesse gearbeitet werden wie in einer Oper oder einem Schauspiel, sonst verkommt es zum eigenen Zerrbild. Der Beifall des Publikums war mäßig.
Dr. Claudia Behn