Heidelberg: Dionysos (W.Rihm) 19.3.2013
Die von Wolfgang Rihm in dieser ‚Opernfantasie‘ phantasierten Konstellationen um Friedrich Nietzsche, denen auch dessen späte Dionysos-Dityrambenals Text zugrunde liegen, spielen sich in Rihms Libretto vorwiegend in Außenszenen – Ein See, Im Gebirge, Ein Platz – ab. In dieser Zweitinszenierung (die UA war bei den Salzburger Festspielen)verlegt Regisseur Ingo Kerkhof alles nach innen und zwar in einen Einheitsbühnenraum von Anne Neuser, der stark an einen düsteren heruntergekommenen Saal an die Handschrift einer Anna Viebrock gemahnt. Es gibt Accessoirs des Wagner-Bürgertums in Form einer Chaiselongue mit Perserdecke überzogen und mit Vorläufern sowie eine Wagnerbüste im Breker-Stil auf dem Klavier.
Rihm versucht in diesen Szenen den Aufstieg und das tragische Ende Nietzsches als philosophischer Kommunikatordarzustellen, am See mit Nymphen, wie auch seine Liebe Cosima hier eine Rolle spielt. Erst der „Gast“ (bei dem es sich ja um N.sSekretär und ersten Biograph handelt) zeigt ihm aber, wie es gelingt, sich in der Gesellschaft und den Frauen gegenüber mit Unverbindlichkeit und gewisser Nonchalance zu bewegen. Vorher war von den „Opferspielen“ zwischen den Geschlechtern ja stark mitgenommen. ‚Im Gebirge‘ geht Nietzsche dann aber doch einsam und radikal an seine Grenzen, kämpft und streitet zusammen mit dem Gast. Nach etwa 10 Jahren zweifelt er aber am Sinn seines Schaffens, auch nach der aggressiven Auseinandersetzung mit dem Christentum. Wenn er in den Spiegel blickt, sieht er im Spiegelbild einen Apollon, der den Marsyas enthäutet und im Wahnsinn auf dem Platz ein geschundenes Pferd küsst.
Rihm hat dazu eine vielgestaltige Musik komponiert, wobei er vorwiegend auf das klassische Orchester zugreift, aber auch sein Markenzeichen, viel Schlagwerk und Perkussion ist im Spiel. Vielleicht bemerkenswert für Rihm, dass sich atonale Teile immer mehr in den Vordergrund spielen. Es ist auch weitgehend eine „flächige“ Musik mit oft sirrenden Klangflächen in unterschiedlichen Tempi, im Gegensatz zu motivischer Arbeit, die eher marginal vorkommt. Die Heidelberger Philharmoniker spielen diese intrikaten schwierigen Passagen mit großer Delikatesse unter Leitung ihres neuen GMD Yordan Khamdzhalov, der sich als „Neuer Musik-Experte“ erweist.
In der Inszenierung sind die Frauen keine Nymphen, eher Klageweiber; Nietzsche leidet unter einer Brustwunde, die ihm von dem 2.hohen Sopran (Diana Tomsche mit gefälligem Timbre und höhenversiert) verbunden wird. Der Alte und das Kind (von der Regie hinzugefügt) sind meist am Essen oder machen Turnübungen. Der Gast/Apollon hängt zuerst an einem Galgenstrick, erscheint wie ein Clown, wird dann gut geführt zusammen mit dem N. (Holger Falk mit einem hervorragendem Bariton, dabei auch ein guter „Neue Musik-affiner“ Singschauspieler. Namwon Huh kann mit ausdruckstark pointiertem Tenor in dieser Auseinandersetzung punkten. Der (Frauen)-Alt wird klangmächtig von Guadalupe Larzabal gegeben, der Mezzosopran mit spitzen Sottisen von Carolyn Frank. In höchste Höhen hat der 1.hohe Sopran, Sharleen Joynt, vorzustoßen, und zugleich auch mal „Ariadne“ zu verkörpern. Es ist fast genial zu nennen, wie sie diese wahnwtzig hohen Töne in eine geschmeidige Gesangslinie einbindet, die (also bei den Frauen!) eigene (Reihen)thematiken generieren.
Friedeon Rosén