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HEIDELBERG: DER TAUSENDJÄHRIGE POSTEN ODER DER GERMANIST /Schubert/Jelinek

29.03.2012 | KRITIKEN, Oper

Opernneuheit in Heidelberg: „Der tausendjährige Posten oder Der Germanist“ von Schubert / Jelinek (Vorstellung: 28. 3. 2012)


Die turbulente Schlussszene der Oper „Der tausendjährige Posten oder Der Germanist“ (Foto: Klaus Fröhlich)

Das Theater Heidelberg wartet seit kurzem im Opernzelt – der Ausweichstätte während der Renovierungszeit – mit einer interessanten Neuheit auf. Zwei heitere Singspiele von Franz SchubertDer vierjährige Posten und Die Zwillingsbrüder – wurden durch die Bearbeitung von Irene Dische und Elfriede Jelinek zur Oper „Der tausendjährige Posten oder Der Germanist“. Während das erste Singspiel (Libretto von Theodor Körner) von der Fahnenflucht aus Liebe eines an der deutsch-französischen Grenze stationierten Soldaten erzählt, bringt im zweiten Stück (Text nach dem Französischen von Georg Ernst von Hofmann) die unerwartete Rückkehr von Zwillingsbrüdern aus der Fremdenlegion eine Verlobung durcheinander. Die neuen Texte von Irene Dische und Elfriede Jelinek – sie übersetzte die englische Fassung und goss sie in ihre Sprachform – verleihen den heiteren Singspiel-Handlungen einen bitterbösen Dreh, indem der wahre Fall des Germanisten Hans Ernst Schneider alias Hans Schwerte zum Ausgangspunkt genommen wird. Dieser ließ sich zur Verschleierung seiner SS-Vergangenheit von seiner Frau 1946 für tot erklären, um sie ein Jahr später als „entfernter Verwandter“ erneut zu ehelichen.

Die neue Handlung der 90 Minuten dauernden Oper in drei Akten: Prof. Dr. Hans Schall, früher SS-Hauptsturmführer Schaal, hat sich nach dem Krieg eine neue Identität gegeben – „einzig aus Liebe“ zu seiner Frau. Die notwendige zweite Hochzeit zwischen den beiden in den 1950er Jahren wäre fast gescheitert, als Kamerad Spieß aus Sibirien heimkehrt und sein Anrecht auf die Witwe des angeblich Verstorbenen geltend macht. Als Prof. Schall, der auf eine erfolgreiche Laufbahn als Germanist zurückblicken kann – er veröffentlichte unter seinem Namen das Manuskript Der Ursprung der deutschen Komödie, das er bei der Stürmung der Wohnung eines jüdischen Wissenschaftlers gefunden hatte –, von der Universität eine Ehrenmedaille verliehen wird, deckt die Presse den Betrug auf. Journalisten fordern, Schall vor ein Gericht zu stellen. Doch wer zuletzt lacht, lacht am besten…

Regisseurin Andrea Schwalbach bezog in ihrer gelungenen bitterbösen Satire für eine kurze Szene auch Teile von Schuberts „Unvollendeten“ ein. Den unerwarteten Schluss ihrer Inszenierung erklärt sie in einem im informativ gestalteten Programmheft abgedruckten Interview. Daraus ein Zitat: Das Ende hatte den größten Diskussionsbedarf in unserer Inszenierung. Die Tagespresse hat da einfach ein paar Steilvorlagen gemacht, zum Beispiel die Plagiatsaffäre mit Guttenberg und der Rabattkönig Wulff, die so nah an unserem Stück waren, dass man sie nicht außer Acht lassen konnte. Die beiden genannten Herren sowie Schneider / Schwerte sind über ihre Machenschaften gestürzt und von der Gesellschaft verurteilt worden. Unser Schall / Schaal kommt ohne Blessuren davon, der Chor singt beseelt am Ende „Schöne Stunde, die uns blendet“ und verzeiht ihm.

Die Bühnengestaltung im Opernzelt war spartanisch, aber dem Inhalt entsprechend: Ein ausgestopfter röhrender Hirsch, eine deutsche Fahne und ein Rednerpult sowie ein Biedermeier-Séparée mit Stehlampe und Sitzbank im oberen Bereich, wo auch das stark besetzte Orchester angesiedelt war. Die Kostüme waren der Nachkriegszeit angepasst (Bühne und Kostüme: Anne Neuser).

Die beiden Hauptrollen waren mit einem Sänger und einem Schauspieler sowie einer Sängerin und einer Schauspielerin besetzt, wobei alle mit einem Wangenmikrophon ausgestattet waren. Möglich, dass die schlechte Akustik im Zelt die Stimmkrücken notwendig machte. Es bleibt nur zu hoffen, dass dies nicht im Opernbetrieb einreißt, denn eine Beurteilung der Stimmen würde sich damit erübrigen.

 Prof. Dr. Hans Schall alias SS-Hauptsturmführer Schaal wurde vom Tenor Winfried Mikus gesungen und von Dietmar Nieder gespielt, wobei der Schauspieler eine eindrucksvolle Leistung bot. Auch in der Darstellung von Lieschen Schall hatte die Schauspielerin Christina Dom die Nase vor der Sopranistin Hye-Sung Na, die zwar tadellos sang, aber ein wenig unbeholfen wirkte. Mit guten Stimmen konnten der Bariton Franz Schlecht als Prof. Dr. Spieß – wunderbar einfühlsam gesungen die Arie Liebe teure Mutter Erde – sowie die beiden Basssänger Michael Zahn als Prof. Dr. Schulze und Wilfried Staber als Journalist überzeugen. Der Chor des Theaters Heidelberg war stimmkräftig und hatte in der Schlussszene gemeinsam mit der Statisterie des Theaters seinen großen Auftritt (Chordirektion: Jan Schweiger).  

Schuberts Musik mit seinen oft warmen Tönen und zuweilen auch süßlichem Duktus entpuppte sich als reizvoller Gegensatz zur abgründigen Betrugsgeschichte mit nationalsozialistischem Hintergrund. Dem Philharmonischen Orchester Heidelberg gelang es unter der Leitung von Dietger Holm, diesen Gegensatz trefflich auszuloten. Köstlich jene Passage, als das Orchester in der ersten Szene mit wachsender Lautstärke die immer perfider werdende Rede von Prof. Schall vor den Studenten übertönt.

 Das Publikum im leider nur etwa halbvollen Opernzelt spendete allen Mitwirkenden reichlich Beifall, dessen Phonstärke beim Dirigenten und seinem Orchester hörbar anschwoll.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

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