HAUSGEISTER!
Fast vergessene Gestalten der deutschsprachigen Märchen- und Sagenwelt
von Florian Schäfer, Janin Pisare, Hannah Gritsch
196 Seiten, Breitformat, Böhlau Verlag, 2020
Das Thema ist ungebrochen reizvoll, aber ein bisschen aus der Mode gekommen – wer braucht schon alte Hausgeister, wenn es Horror- und Science-Fiction-Filme gibt, die dergleichen Schauriges bedienen? Ein ungewöhnliches Buch hilft der Erinnerung auf die Sprünge: „Hausgeister!“ erzählt von fast vergessenen Gestalten deutschsprachiger Märchen- und Sagenwelt.
Natürlich ist es Folklore, aber es ist auch Kulturgeschichte und Geschichte und Psychologie und Soziologie, wenn man sich in die Ängste früherer Zeiten zurück versetzt. Die Römer hatten ihre „Laren“, ihre beschützenden Hausgeister, noch gezähmt, aber die Germanen empfanden die Geisterwelt schon als ganz schön bedrohlich (und die Christianisierung konnte daran nicht viel ändern), und unheimlich sind sie größtenteils auch geblieben, wenn man sie nicht zu hilfreichen Geschöpfen für die Menschen umwandeln konnte…
So erzählt das Buch von Wichteln und Kobolden, Zwergen und Hausdrachen (der anderen Art), von Heinzelmännchen und Teufelchen. Die Einstellung dazu hat sich im Lauf der Zeiten natürlich verändert. Glaubte man im Mittelalter noch fest daran, so sah man im Humanismus Hausgeister als gefallene Engel an, wogegen sich der berühmte Paracelsus, Arzt und Wissenschaftler, wehrte – er war entschieden gegen die Verdammung von Elementargeistern. Im Barock, wo es noch Hexenprozesse und Teufelsaustreibungen gab, war der Totenkult auch mit dem Glauben an Totengeister verbunden. Die Aufklärung wiederum machte sich mit wissenschaftlichen Grundlagen an die Entmythologisierung der überirdischen Welt. Die Romantik hingegen entdeckte mit glorifizierter Vergangenheit auch Sagen, Märchen und alte Bräuche wieder (wie die Brüder Grimm es taten), und so krochen die Wichtel aller Art wieder hervor (nicht zuletzt die Hexe in „Hänsel und Gretel“). Die Grimms oder Bechstein wollten damit auch einen Teil deutscher Identität erhalten, die sich an diese Figuren knüpfte.
Die Forschung hat sich an die „Dämonologie“ gesetzt , interessiert sich wieder für Hausgeister und ihre regionalen Varianten – Landkarten zeigen, wie verschieden der Kobold in deutschen Landen auftritt, vom „Butz“ in Bayern bis zum Jokele oder dem Hinzelmann. Ähnlich geht es den Wichteln, die mit dem Berg verbunden werden und auch Wichtelmännchen oder Hütchen heißen. Der Drak ist einmal ein Drache oder ein Stöpke oder gleich der Teufel. Und gar die „wilden Weiber“, die auch als Moosweiblein oder Lohjungfern vorkommen. Und von der Alraune zum Geldscheißer sind es wohl nur ein paar hundert Kilometer…
Auch das Aussehen ist variabel, lokal und regional verschieden, (der „Klabautermann“ braucht einfach das Meer) ebenso wie die Überlieferung, aber tatsächlich findet man die Geschöpfe in allen Regionen, in vielen Funktionen, auch dem Menschen hilfreich, aber ebenso feindlich und gefährlich. Ängste und Wünsche ballen sich, wie immer, in den Mythen.
Nun würde man ein hoch interessantes Buch wie dieses, dessen Text von Janin Pisarek stammt, üblicherweise nur mit historischem Bildmaterial bestücken, was hier teilweise auch geschieht. Aber hinter diesem Band im ungewöhnlichen Breitformat steckte auch eine andere Konzeption und Grundidee. Florian Schäfer hat in seiner Faszination für die – im weitesten Sinn – Märchenwelt das Projekt „Forgotten Creatures“ gegründet und schafft lebensnahe Figuren der Phantasiegeschöpfe, die Fotografin und Designerin Hannah Gritsch hat dies arrangiert und so die schaurig-schöne Bilderwelt dieses Buches geschaffen. Aber Achtung: Da ist schon einiges zum Fürchten dabei!
Renate Wagner