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Hans Dieter Zimmermann: THEODOR FONTANE

24.05.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Hans Dieter Zimmermann:
THEODOR FONTANE
Der Romancier Preußens
458 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2010

Ein 200. Geburtstag. Theodor Fontane war voll und ganz ein Mann des 19. Jahrhunderts, aber er hat es ins 21. geschafft – und sei es nur, weil sein Roman „Effi Briest“ von der – neben Anna Karenina und Madame Bovary – am berühmtesten gewordenen Ehebrecherin der Weltliteratur erzählt; weil seine Frauennamen (von Stine bis Jenny Treibel) ein Begriff geblieben sind; weil seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ – auch wenn vielleicht wenige sie gelesen haben – als eine der großen historischen Reisebeschreibungen gilt; und weil der „Stechlin“ zwar als Geduldprobe, aber als Meisterwerk des deutschsprachigen Romanschaffens anerkannt ist. Was will man mehr?

Nun, normalerweise wüsste der durchschnittlich gymnasial-gebildete Literaturfreund nicht viel mehr über Fontane zu sagen, als, ach ja, war er nicht auch ein bekannter Theaterkritiker? Nun, zum Jubiläum legt Hans Dieter Zimmermann, Emeritus für Literaturwissenschaft an der TU Berlin, eine so umfassende Biographie vor, dass man meint, „alles“ über Fontane zu wissen – was natürlich nicht annähernd stimmen kann, so man sich nicht durch seine Konvolute von Briefen (und am Ende auch noch durch die nur teilweise erhaltenen Tagebücher) durchgelesen hat. Und doch – der Mann, der scheinbar nur deutsche Solidität ausstrahlt (die ja a priori nicht allzu spannend ist), wird hier plastisch, interessant, begreifbar und auch sympathisch, was er wohl war.

Zimmermann ist penibel – die Welt, in der sich Fontane bewegte, die politischen Verhältnisse (zwischen 1819 und 1898, seinen Lebensdaten, nicht nur in Deutschland ja so bewegt wie nur irgend möglich), die Menschen, die in wichtigen Funktionen seinen Weg kreuzten, alles wird genau ins Auge gefasst. Und nicht zuletzt die Werke – alle. Zimmermann ist nicht nur in Fontanes letzter Lebensphase (man bedenke: Fontane war „nur“ Balladendichter gewesen, das große Romanwerk entstand etwa ab dem 60. Lebensjahr, ein rarer Fall in der Literaturgeschichte!) ein genauer Begleiter durch das Romanwerk, Inhalt, Psychologie der Figuren, Bezüge aller Art. Er erklärt auch, was man heute verdrängt, weil das Thema weder angenehm noch zeitgemäß ist, warum Fontane ein so engagierter und hervorragender Kriegsberichterstatter war…

Im übrigen ist einem Leben zu folgen, das gleich zu Beginn feststellt, dass einer der „deutschesten“ Schriftsteller, geboren am 30. Dezember 1819 in Neuruppin, von beiden Elternteilen her Nachkommen hugenottischer Einwanderer war. Doch spielte das Französische in seinem Leben kaum eine Rolle (bis auf die wirklich dramatische Situation, als er 1870, als Journalist im Deutsch-Französischen Krieg, als vermeintlicher „Spion“ verhaftet wurde und tatsächlich mit der Möglichkeit konfrontiert war, als solcher hingerichtet zu werden) – Fontane, der vier Jahre seines Lebens in London verbrachte, war den Engländern näher. Und dem Norden allgemein, da gehörte er hin, wie er angesichts einer klassischen Italienreise feststellte, die ihn unter Gebühr beeindruckte.

Fontanes Vater war Apotheker, dessen Spielsucht die Familie fast ruinierte, die Mutter eine strenge Frau, der der Sohn erst spät Gerechtigkeit widerfahren ließ. Der Apothekerberuf lag in der Familie, der Schriftsteller lag in Fontanes Naturell und im Talent. Zu erzählen ist, wie Fontane sich pillendrehend von Apotheke zu Apotheke sein Geld verdiente, bis er den schweren Wegs des Berufsschriftstellers ging, wobei lange Jahre der Journalismus doch als Brotberuf diente.

Zu erzählen ist von einer trotz Krisen glücklichen Ehe, die schmerzliche Verluste durch Kindersterblichkeit erlitt und wo am Ende nur zwei Söhne und die berühmte Tochter „Mete“ (wie jeder die Martha Getaufte nannte) übrig blieben, deren durchaus tragischem Schicksal der Autor das letzte Kapitel seines Buches widmet.

Zu erzählen ist auch, wie Fontane die Mark Brandenburg – nun, nicht durchwanderte, meist durchfuhr, aber sowohl erfragte, erlebte, recherchierte, wie es ziemlich beispiellos war. Aber man erfährt auch viel über den Theaterkritiker, der streng und – nicht ohne Bosheit war. Wo immer man sich auch in der chronologisch dargebotenen Biographie befindet (die Chronologie sichert auch die Entwicklung), wird man reich mit Information von außen und „innen“ (O-Ton Fontane) versorgt.

Und Einzelfragen werden versuchsweise beantwortet: Woher die Faszination für Kriegsgeschehen? Wie bringt man liberal-fortschrittliche Ansichten (die 1848 durchaus Sympathien für die Revolution zeigten) mit einer konservativen Grundstruktur in Einklang? Und doch – der Preuße schlechthin hat nie seine Vorbehalte gegen ein aggressives Bismarck-Preußen verloren.

Nur eines kann auch der Autor (und sonst niemand erklären): Wie ein so aufgeklärter Geist wie Fontane, der nach eigenen Aussagen von Juden immer nur Gutes erfahren hatte (viele fanden sich in seinem Bekanntenkreis), sich so verächtlich über Juden auslassen konnte… Dass Zimmermann Fontane, der ja in selbstbiographischen Schriften und Briefen unendlich viel über sich gesagt hat, immer wieder selbst zu Wort kommen lässt: Hier wendet es sich gegen den Dichter. Es mindert nicht die Bewunderung für sein Werk und für ein wirklich anständiges Leben. Und gerade deshalb wäre man froh, wenn Fontane hier nicht den Vorurteilen eines hässlichen Zeitgeistes erlegen wäre… zumal er es besser wusste.

Renate Wagner

 

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