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HAMBURG: CARMEN. Premiere

20.01.2014 | KRITIKEN, Oper

STAATSOPER HAMBURG – CARMEN. Premiere 19. Jänner 2014

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Foto: Brinkhoff / Mögenburg

STAATSOPER HAMBURG – CARMEN – Premiere 19. Jänner 2014

Frei sein, wissen, wer man ist und was man will, das Leben nehmen, wie es kommt. Dass sie stirbt, gehört zum Leben dazu. Ins Risiko gehen, das ist Carmens Lebensansatz. Sie will leben. Sie will was erleben. Sie ist furchtlos – und das verbindet sie vielleicht mit mir.“ So äußerte sich Elisabeth Kulman im Vorfeld zur jüngsten Carmen-Inszenierung an der Staatsoper Hamburg. Die Premiere selbst brachte dann für die Mezzo-Sopranistin, die auch in Deutschland für ihren Kampf um gerechtere Arbeitsbedingungen im künstlerischen Bereich starke mediale Beachtung findet, bei ihrem Hamburg-Debüt auch einen grandiosen persönlichen Triumph. Jens-Daniel Herzog erzählt die von Georges Bizet vertonte Geschichte der Begegnung zwischen dem Außenseiter Don José und der Zigarettenfabriksarbeiterin Carmen ohne Folklore, ohne billigen Kitsch, ohne Klischees. Er lehnt sich viel mehr an Prosper Mérimées 1845 erschienener Carmen-Novelle an, die Bizet 30 Jahre später als Vorlage diente. In Hamburg wählte man für die erste Premiere des Jahres 2014 auch nicht die jahrzehntelang üblich gewesene Rezitativfassung von Bizets Freund Ernest Guiraud, sondern die original gesprochenen französischen Dialoge. Und dieses Libretto ist viel härter, direkter und enthält auch mehr Informationen über die einzelnen Akteure. Herzog, der Intendant des Opernhauses Dortmund, erzählt auf dieser Grundlage eine logische Geschichte, etwa die stete Gewaltbereitschaft des Don José oder Carmens über alles gehende Freiheitsliebe. Einzig beim Escamillo gelang ihm dies nicht überzeugend genug, denn „mit Eitelkeit“, wie es die Vorlage verlangt, war diese Figur hier wirklich nicht am Werk.

 Im Vorfeld der Aufführung entflammte in den „Social Medias“ wie Facebook schon eine heftige Diskussion über die Sichtweise des Regisseurs, die sich an einem Szenenfoto entzündetet, das Carmen und Don José vor einem TV-Gerät zeigt. „Regietheater vom Ärgsten“ wurde da gepostet, aber nach der Premiere kann man getrost „Entwarnung“ geben: Hier handelt es sich nicht um eine verunglückte „RT“-Inszenierung mit an den Haaren herbeigezogenen Interpretationen, nein, hier handelt es sich um Theater wie es sein soll, mit Leben gefüllt, mit Emotionen und mit Konnex zum Hier und Heute.

Als Fast-Einheitsbühnenbild dient dabei die berühmte Zigarettenfabrik von Sevilla, Mathis Neidhardt sorgte für Bühnenbild und Kostüme, genial dabei der Einfall die Übergänge von Bild eins zu zwei und von Bild drei zu vier bei offenem Vorhang vorzunehmen. Man spürte richtig, dass sich die Geschichte so und nicht anderes weiterentwickeln musste. Die Zigarettenfabrik selbst hat nichts pittoreskes an sich, sondern wirkt nur heruntergekommen und abgefuckt. Metallspinde der Arbeiterinnen links, die Wache der Soldaten rechts, später die trostlose Kneipe von Lillas Pastia, auf engstem Raum, Escamillos Auftrittslied in Endzeitstimmung. Wenig überzeugend dann jedoch die Schmugglerszene, wobei besonders die Chor-Choreographie (die im ganzen Stück unausgegoren und wenig geprobt wirkt) negativ auffiel. Umso stringenter dann das Schlussbild: Keine Pferde und Stierkampfarena mit Postkartenmotiven, sondern ein Uralt-Fernsehapparat, vor dem das Volk dem Toreador (stellvertretend für die Sportler als Helden der Jetztzeit) zujubelt. So gebannt, dass kaum jemand den Mord an Carmen mitbekommt, auch nicht dann, als Don José ausruft, dass man ihn verhaften solle, da er Carmen getötet habe. Bewusst wenig postkartenhaft wurden auch die Kostüme geschneidert, einzig die sexy Gewänder der Carmen, in denen Kulman ausnahmslos gute Figur macht, zeugen von Ästhetik. Ein gewollter Ausbund an Hässlichkeit: Der gold-rote Espana-Trainingsanzug Escamillos.

 Mit dieser Carmen-Neuinszenierung tauscht Hamburg auch die fast 35 Jahre alte Produktion von Piero Faggioni aus, damals hieß die Premierenbesetzung übrigens: Placido Domingo, Simon Estes, Teresa Berganza und Katia Ricciarelli. Nun, mit solchen Namen konnte man diesmal natürlich nicht aufwarten, aber was man zu hören bekam, das war in vielen Fällen mit dem Prädikat Spitzenklasse zu beurteilen. Als österreichischen Rezensenten freute es einen natürlich, dass mit Kulman, Nikolai Schukoff und Florian Spiess drei Sänger mit rot-weiß-roten Wurzeln auf der Bühne standen und auch der musikalische Leiter Alexander Soddy besitzt als aktueller Chefdirigent des Stadttheaters Klagenfurt einen Österreichbezug.

 Und Soddy hatte die Philharmoniker Hamburg stets im Griff, sehr differenzierte Dynamik war da zu verspüren, einzig die Koordination mit dem Chor schien einige Male ziemlich ins Wackeln gekommen zu sein. Ein Extralob verdient der Kinderchor, der nicht nur fein und witzig sang, sondern auch die ökonomische Tristesse des Umfeldes eindrucksvoll darstellte. Die Brutalität, die Remendado und Dancaïro bei den Erwachsenen an den Tag legen, zeigt sich schon bei diesen Kindern!

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Foto: Brinkhoff -/Mögenburg

Den Hauptanteil an dem tollen Premierenerfolg hatte natürlich Elisabeth Kulman. Für sie war diese Rolle nicht ganz neu, aber seitdem sie in der Weltspitzenklasse der Mezzo-Sängerinnen angekommen ist (und das ist sie nach ihren Salzburg- und Wagner-Auftritten sicherlich), bin ich der Meinung, dass ihre Interpretation weltweit zu den Top-Five-Carmen gehört. Mit ihrer gradlinigen Stimmführung erzielt Kulman in den erotischen Lagen eine besonders schöne Färbung und entsprechende Wirkung, ihre Sopran-Vergangenheit erlaubt auch strahlende und kraftvolle Spitzentöne und in den gesprochenen Dialogen profitiert sie von ihrer profunden Sprachausbildung und brilliert mit exzellentem Französisch und tollem Spiel. Mit welchem Körpereinsatz sie ans Werk geht sieht man an den zahllosen blauen Flecken, die von harter Probenarbeit zeugen.

Mit Nikolai Schukoff hat sie aber auch einen adäquaten Don José zur Seite. Der gebürtige Grazer macht Wagner-gestählt auch im französischen Fach gute Figur und hat auch den richtigen Schmelz in der Stimme. Natürlich gibt es typischere Stimmen für den Don José, aber die Leichtigkeit mit der sich Schukoff in den höchsten Registern bewährt, sei es forcierend oder im feinen piano, das manchmal in die Kopfstimme rutscht, hat schon was. Und wenn im Grande Finale die Stimme fast wegbricht, weiß man nicht, ob das gewollt ist oder nicht, was aber auch nichts zur Sache tut, der emotionale Effekt war gewaltig!

 Neben diesen beiden „Zirkuspferden“ haben es die übrigen Ensemblemitglieder nicht leicht. Lauri Vasar mangelt es als Escamillo ein wenig an Persönlichkeit, stimmlich hält sich der sympathische Este aber recht tapfer, bedenkt man auch noch die Tatsache, dass ein überzeugender Toreador auf allen Bühnen derzeit weltweit Mangelware ist. Die einzige echte Enttäuschung war Micaëla, für die von der Hamburger Direktion Liana Aleksanyan besetzt wurde. Die Armenierin dürfte sich in dramatischeren Partien wohler fühlen, mit ihrem Tremolo und ihrem Forcieren schien sie mit dieser Rolle nicht gut beraten zu sein.  Sei’s drum, dem Großteil des Premierenpublikums gefiel sie, mir weniger.

 Gut bestückt zeigte man sich aber bei den übrigen Nebenrollen: Opernstudio-Mitglied Vincenzo Neri gab einen sehr überzeugenden Dancaïro, der Koreaner Jung-San Han einen etwas blasseren Remendado, Florian Spiess zeichnete einen vielfältigen Zuniga, Victor Rud entsprach als Moralès. Ziemlich schräg ans Werk zu gehen hatten Mèlissa Petit und Maria Markina als Frasquita und Mercédès, wobei Letztgenannte auch über einen durchaus voluminösen Mezzo verfügte. Riesenjubel, beim Regieteam hörte ich zwei schüchterne Buhs.

Ernst Kopica

 

 

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