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HALLE: SIEGFRIED – „Alles ganz einfach“

09.03.2013 | KRITIKEN, Oper

Halle: „SIEGFRIED“ – 7.3.2013 – Alles ganz einfach…

Wenn das Wagner-Jubiläumsjahr überhaupt noch irgendetwas „beweisen“ muss, dann das: Wagner ist weder schwer zu singen noch schwer zu verstehen und auch mittlere bis kleinere Bühnen können seine Opern heute problemlos und mit riesigem Publikumserfolg aufführen. Ich kann mich nicht genug wundern, wie viele Sänger für die anspruchsvollen Hauptrollen sich allerorten finden lassen. Orchester und Dirigenten schaffen die musikalische Wiedergabe sowieso landauf-landab „spielend“.

Wenn nun als Titelheld für die 5-Stunden-Rolle auch noch ein Tenor angeboten wird, von dem schon nach seinem ersten Auftritt (2011; diesmal war es erst sein 5. Jung-Siegfried) berichtet wurde, dass er mit der Partie keinerlei Probleme hat, dann muss die ‚Merkerin‘, die für gute Heldentenöre ein besonderes Faible hat, dabei sein. Wenn es sich noch dazu um einen Österreicher handelt, der in Wien (bei Prof. Walter Moore, der die 9-stündige Bahnreise nach Halle ebenfalls nicht scheute) die Grundlagen für sein erfolgreiches Wirken erworben hat, dann kommt auch noch ein wenig Lokalpatriotismus hinzu. Andreas Schager schafft es, sich mit ganz natürlich klingender tenoraler Leuchtkraft durch Siegfrieds Abenteuer in Höhle und Wald, am Amboss und vor Neidhöhle, mit dem Drachen und mit dem Gott sowie auf wonniger Höh mit der wachgeküssten Brünnhilde zu singen, als wäre dies etwas völlig Selbstverständliches. Obwohl er auch in den tieferen Lagen sattelfest ist, verblüfft vor allem die unwahrscheinlich sicher und rein, mit hellem metallischem Timbre unermüdlich souverän eingesetzte Höhe. Schager protzt nicht mit seiner Stimmkraft – er hat sie. Nie wirkt sein Gesang angestrengt. Nach der Vorstellung darauf angesprochen, sagt er: „Ich habe das Gefühl, die Partie ist genau für meine Stimme geschrieben.“

Wer nach seinem vehementen ersten Auftritt, wo er dem widrigen zwergischen Ziehvater mit geradezu beängstigendem Temperament wutentbrannt dessen Inkompetenz an den Kopf wirft, gefürchtet haben mochte, der Sänger würde nach so viel Totalverausgabung gleich zu Beginn die Rolle nicht durchhalten, der wurde eines Besseren belehrt. „Anders könnte ich das gar nicht singen“ klärte mich der Künstler auch diesbezüglich auf. „Die Rolle muss voll ausgespielt werden, nur so kann sie funktionieren!“ (Was für ein Qualitätsbeweis für Wagners Theaterpranke!) Und da bekanntlich das „Ring“-Scherzo mit dem Sänger der Titelrolle steht und fällt, „stand“ sie diesmal nicht nur, sondern geriet ebenso „bewegend“, wie der Helde, der, mit der idealen sportlichen Figur und beachtlicher Vitalität gesegnet, sich mit der größten Lockerheit auf der Bühne austobte. Dass für die leisen, gefühlvollen Passagen, die er auch brav im Piano sang, noch ein paar zusätzliche, wärmere Stimmfarben wünschenswert wären, sei der Vollständigkeit halber angemerkt. Auf jeden Fall durfte sich dieser Siegfried eines strahlenden Sieges erfreuen!

So kurzweilig habe ich mir diese Wagner-Opern gar nicht vorgestellt“, hörte ich eine junge Erstbesucherin des „Ringes“ sagen, die offenbar vor deren Überlänge gewarnt worden war. Nach den lebhaften Pausengesprächen zu urteilen, stand sie mit dieser Erkenntnis nicht allein da.

Natürlich trugen viele Faktoren zum Gesamterfolg des Halleschen „Nibelungsringes“ bei. (Da ich erst den März-Merker in die Druckerei befördern musste, ehe ich verreisen konnte, versäumte ich die erste „Ring“-Hälfte.) Eine erstaunlich gute Sängerbesetzung war auch in den übrigen Rollen aufgeboten.

Der Mime des Hallenser Ensemblemitglieds Ralph Ertel konnte seinem Tenorkollegen (gesungene) Paroli bieten. Warum Wagner hier zwei Tenöre gegeneinander ausspielt, wurde mir bei dieser Gelegenheit wieder einmal besonders klar: hier den „Charaktertenor“ im ursprünglichsten Sinn des Wortes, für die zwielichtige Figur des Zwerges, der alles versucht, um sich ein verpatztes Leben doch noch zurecht zu biegen, mit List und Tücke, geheucheltem Wohlwollen und giftigem Trank, dem gegenüber das Götterkind, von Geburt an zum siegreichen Helden bestimmt, mit sympathischer Ausstrahlung, positiver Lebenseinstellung und natürlicher Kraft allen Herausforderungen gewachsen. Mimes kleingeistiges Gezänke wurde von Ralph Ertel mit interessantem tenoralem Timbre, höhen- und tiefensicher, mit raffinierter Wort-Ton-Gestaltung und auch mimisch so trefflich porträtiert wie die großen und schönen melodischen Bögen und effektvollen dramatischen Höhepunkte vom heldentenoralen Partner.

Dass Wotan und Alberich als Typen keine wirklichen Gegensätze offerieren konnten, war schade. Ich weiß zwar nicht, wie koreanische Götter ausschauen, aber für einen antiken oder altgermanischen Gott fehlte Gérard Kim zwar weder die stimmliche Durchschlagskraft noch ein durchaus wohltönender Bassbariton, und dass er viel kleiner war als sein großer Enkel, störte auch nicht wirklich, nur dass er aus dem Wanderer eine komische Figur machte, eine Type, die selber nicht an sich glaubt, störte das dramaturgische Gleichgewicht. Gerd Vogel war dagegen trotz respektabler Optik ein mit eindringlichem Bariton und starker Bühnenpräsenz sein unerbittliches Machtstreben kundtuender Alberich.

Die tierischen Lösungen, die Regisseur Hansgünther Heyme sich hat einfallen lassen, sorgen für allerlei Sonderbarkeiten. Hinter einem öfters zum Einsatz gebrachten Zwischenvorhang ist Fafners „Nest“. Seine wurmische Herrlichkeit hält sich allerdings in Grenzen. Der siegreiche Held erlegt ihn für die Zuschauer unsichtbar; eine ganz grässliche Teufelsfratze, die auf dem Vorhang erscheint, muss Schrecken verbreiten. Der Bass von Christoph Stegemann tut es nicht – er ist ein eher humaner Riese, der in menschlichem Outfit in Erscheinung tritt. Für freundliches Wohlwollen dem Titelhelden gegenüber sorgt ein vom Schnürboden herabgelassener Wald- (oder wo immer beheimateter) Vogel, abwechselnd in Puppenform und menschlicher Gestalt. Letztere stellt mit hübsch zwitscherndem Sopran Ines Lex zur Verfügung. Außerdem begegnen wir noch erfundenen Figuren: neben dem ganz legitimen Bären im 1. Akt sehen wir Brünnhildes Ross Grane im 3.Akt – eher ein für ein Faschingsfest zurechtgemachtes Spielzeugpferd. Ein „Mutterwesen“ will Siegfried den Zugang zur schlafenden Frau erleichtern und zwei „Boten des Todes“ machen sich auf der Bühne zu schaffen. Die „Viecher“ stören nicht weiter; den Abtritt des „Mutterwesens“ konnte ich hingegen kaum erwarten, weil es in die „selige Öde auf wonniger Höh“ so gar nicht passte.

Gut hingegen passte Erdas Erscheinung – zunächst hoch über dem Bühnenboden schwebend, dann dem Wanderer angenähert, sodass die weisen Mahnungen, die Deborah Humble mit schöner, satter Altstimme in den Raum sandte, nicht im „Off“ verhallten.

Einem wunderbaren Erwachen von Wotans Lieblingstochter folgten ein paar stimmliche Unsicherheitsmomente seitens der Brünnhild-Sängerin Lisa Livingston. (Kein Wunder nach 20 Jahren Schweigen…) Nachdem ein höherer Ton nicht angesprungen war, ging sie dann ihre Extrempassagen mit Vorsicht an. An Siegfrieds sicherer Seite nahm jedoch das finale Abenteuer letztlich ein gutes Ende. Der emotionale Volleinsatz der beiden Götterkinder war beglückend.

Während für Brünnhilde ein richtiges, mit weißer Wäsche ausgestattetes Bett bereitgestellt war, gab es vor allem im 1. Akt eine Menge Zutaten zur Minimalausstattung, von denen ich nur den Hochsitz des Mime erwähnen möchte, auf dem der Zwergenschmied an einem Tischchen sitzt, wo er viele Papierblätter beschreibt und gleich wieder von sich wirft. Auch da musste mir der Sänger selbst Auskunft geben: Mime überlegt sich, mit welchen chemischen Formeln er das Schwert zusammenschweißen könnte. Naja. Der mit einem Text über den Wert der Hoffnung groß beschriftete und mit Kinderzeichnungen ergänzte Hauptvorhang brachte keine neuen Einsichten.

Aber eine insgesamt gekonnte, interessante Personenführung und ein paar fantasievolle Kostüme, ebenso wie die Bühnenbilder (im 2.Akt sieht man u.a. einen Wald voller Baumstämme) vom Regisseur entworfen, zeugten für eine inspirierte Arbeit. Schön, dass das göttliche Liebespaar in schlichtem Weiß auftreten durfte!

Zu den originellsten Einfällen des Produktionsteams zählte die Positionierung der Musiker auf 3 Etagen. (Ich hatte einmal eine „Elektra“ an diesem Haus gesehen, wo das Orchester im Hintergrund der Bühne saß.) Im sehr tiefen Graben, den nicht einmal der Kopf des Dirigenten überragt, saßen alle Holzbläser links, alle Blechbläser und das Schlagzeug rechts unter Dach, in der Mitte das Gros der Streicher. Als Besonderheit durften je 4 Geiger und Bratschisten auf Brücken über den Orchestergraben rechts und links auf Parketthlhe – mehr als sonst üblich – auf sich aufmerksam machen. Aus einer Seitenloge ertönten die Harfenklänge! Zwar entstand dabei nicht der ideale Mischklang, wie er etwa in Bayreuth produziert wird, aber man wurde so auf viel mehr Einzelheiten aufmerksam.

Chefdirigent Karl-Heinz Steffens (zuvor Klarinettist bei den Berliner Philharmonikern) verstand es, dem Instrumentarium genau jene Aussagen zu entlocken, die Wagner im Sinne des Gesamtkunstwerks in seiner Partitur festgehalten hat. Hier wurde zuerst und zuletzt „Theatermusik“ gemacht, im besten Sinn des Wortes – immer im Dialog mit der Bühne, mit Wohlklang, wo gefordert, grell oder geheimnisvoll, wo verlangt, mit bemerkenswerter Klarheit und Dynamik, und an den richtigen Stellen mit der Wagner eigenen überwältigenden Urkraft, der sich die Zuhörer nicht entziehen können. Der dominierende Eindruck: Das ist Musik zum „Angreifen“, Musik von unwahrscheinlicher Plastizität, die man natürlich in solch kleineren Theatern noch hautnäher empfindet.

Die „Provinz“ hat einmal mehr eine wichtige Mission erfüllt.

 Sieglinde Pfabigan

 

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