Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

HALLE: SCHAHRAZADE von Bernhard Sekles

19.01.2014 | KRITIKEN, Oper

HALLE : SCHAHRAZADE von Bernhard Sekles

am 18.1. (Werner Häußner)

 Die Oper Halle will es noch einmal wissen. Kurz bevor die Kulturvernichter in Sachsen-Anhalts Politikerkaste – wegen für jede Haushalts-Sanierung unerheblicher sechs Millionen Euro – die lebendige Theaterlandschaft des ohnehin (und nicht nur) am Image kränkelnden deutschen Bundeslandes ausbluten, stellt sie einen Spielplan hin, der es in sich hat: eine Uraufführung („Sky Disc“ – eine Oper über die Himmelsscheibe von Nebra), eine Ausgrabung („Schahrazade“) und zwei hochklassige Raritäten des Repertoires (Tschaikowskys „Pique Dame“ und Marschners „Der Vampyr“), dazu einen weiteren „Ring“-Zyklus im Februar und zwei sonst kaum gespielte Opern des musikalischen Stadtgottes Georg Friedrich Händel, „Arminio“ und „Almira“. Hier wird im Gegensatz zu manch bräsiger Bequemlichkeit und anspruchsloser Publikumsbedienung in vergangenen Jahren demonstriert, wie fruchtbar die Euros aus der Landeskasse angelegt wären.

Nun hat künstlerischer Ehrgeiz seine Risiken. Sie gehören dazu, will man erfolgreich sein. Mit Rebecca Simpsons sinnfreien Wortkonglomerationen im Libretto über das bronzezeitliche Artefakt – das Prunkstück des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle – wurde wohl keiner richtig glücklich, und auch die Musik Ramon Humets zu dem „Opern-Oratorium“ konnte das Projekt nicht retten. Und leider offenbart sich auch die Wiederaufführung der Oper „Schahrazade“ des einst hoch geschätzten Bernhard Sekles (1872-1934) nach achtzig Jahren eher als Umbettung denn als Ausgrabung.

Sekles ist einer der Komponisten, die von den Nazis aus Amt und Würden getrieben, verboten und verfemt wurden. Nach der Entlassung als Direktor des renommierten Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt blieb ihm Schlimmeres erspart, weil er bereits 1934 an einer Lungentuberkulose starb. Obwohl Lehrer von späteren Berühmtheiten wie Theodor W. Adorno, Paul Hindemith oder Ottmar Gerster, blieb er nach dem Krieg – wie so viele seiner Leidensgenossen – unbeachtet; auch die Welle der Wiederentdeckung verfemter Tonschöpfer schwappte bisher weitgehend an seinen Werken vorbei.

Im Fall der „Schahrazade“ wundert das nicht: Zwar stellt die knapp zweieinhalbstündige Aufführung in Halle eine solide gearbeitete Musik vor, in der Besetzung des Orchesters „state of the art“ des Uraufführungsjahres 1917, klangfarbensensibel und satztechnisch versiert. Doch der große Einfall ist ebenso wenig zu hören wie die Originalität der Farberfindung oder die harmonischen Grenzüberschreitungen von Sekles‘ Zeitgenossen. Man darf nicht daran denken, dass Strauss in „Salome“ zwölf Jahre vor der „Schahrazade“ einem ungleich radikalerem Exotismus und scharfsichtigerem Psychologismus huldigt, Franz Schrekers „Der ferne Klang“ fünf Jahre vorher eine Klangraffinesse ohnegleichen etabliert und mit „Die Gezeichneten“ ein Jahr nach der Mannheimer Uraufführung der Sekles-Oper den klanglichen Sensualismus noch einmal expressionistisch kühn überhöht hat.

Das soll keineswegs ein Plädoyer dafür sein, eine musikalische Epoche nur über ihre Spitzenwerke zu rezipieren. Denn der Blick schärft sich gerade durch den Kontrast zur „zweiten Reihe“ der Komponisten oder die Entdeckung musikalischer Erfinder, die sich in der Geschichte nicht durchsetzen konnten. Und Ausgrabungen bringen oft zu Tage, was vielen Generationen uninteressant schien, plötzlich aber wieder neu aktuell wird: Die Wiederentdeckung der Barockoper ist ein bezeichnendes Beispiel dafür.

Die Musik zur „Schahrazade“ jedoch bleibt bei allem geschickten Handwerk im vordergründigen Spiel mit engintervalligen Arabesken, trivialorientalischer Koloristik und schmerzloser harmonischer Vorhersehbarkeit befangen. Es ist, als wolle man den schwülen Salon-Exotismus von Hans Makart neben Gustav Klimts schillernd-geheimnisvollen Symbolismus stellen. Oder Oscar Wildes abgründige Parabeln neben lockend-erbauliche Dutzendromane aus einer Vorstadt-Leihbibliothek der Vorkriegszeit.

Dennoch könnte Sekles‘ Musik in Momenten für sich einnehmen, in denen er seinem Ideal der Stimmungsmalerei folgt – oder in denen überraschend Akkorde aufklingen, die den Lehrer Paul Hindemiths erkennen lassen. Wäre da nicht das Libretto: Sekles hat es nach einem Bühnenstück von Gerdt von Bassewitz – heute nur noch bekannt als Autor von „Peterchens Mondfahrt“ – selbst zusammengeschustert. Schon die gestelzte Sprache wirkt haarsträubend. Aus Sätzen wie „Baue auf Frauen nicht, traue ihrem Herzen nicht, denn ihre Freuden und Leiden hangen an ihrer Lust“ noch einen psychoanalytischen Subtext zu konstruieren, zeugt eher von der Belesenheit des Dramaturgen André Meyer als von den tatsächlichen Qualitäten des Librettos.

Alles, was sich an Schlussfolgerungen im Geiste Sigmund Freuds oder Otto Weiningers aus der „Schahrazade“ filtern lässt, ist wohl eher der Vorlage, der Rahmenhandlung von „Tausendundeiner Nacht“ zu verdanken. Es wäre schon reizvoll zu untersuchen, was der deutsche Mann der Kaiserzeit an dem Kalifen Schahryar gefunden hat, der nicht nur seine Ehefrau nach einem Seitensprung umbringen, sondern binnen dreier Jahre noch rund tausend Jungfrauen ans Henkersbeil liefern lässt. Was das für ein Volk ist, dass dem Herrscher seine mörderische sexuelle Frustration ergeben auszuleben gestattet? Was das für eine Frau ist, die sich dem Psychopathen nicht nur freiwillig ausliefert, sondern ihn auch noch heroisch vor einem Attentat ihres eigenen verzweifelten Vaters schützt?

Eine aufmerksame Inszenierung hätte aus diesen Klüften menschlichen Trieblebens vielleicht noch eine Geschichte über die Psychosen des Patriarchats oder die neurotisch libidinösen Strukturen einer Gesellschaft entwickeln können. Doch Axel Köhler hat solche Zugänge nachhaltig versperrt. Der frühere Altus, seit 2011 Opernintendant in Halle, nimmt Stichworte wie „Erotik“ oder „Märchen“ so vordergründig wie nur irgend möglich: Arne Walther baut ihm einen Vorabendserien-Orient auf, Henrike Bromber schneidert ihm Kostüme, die sich problemlos nach Hollywood oder in die nächste Ali-Baba-Kinderserie transferieren lassen. Der Schauwert ist beträchtlich, der Erklärungswert gleich Null. Und dann schreiten, trippeln und wackeln diese Bilderbuch-Orientalen über die Bühnen, dass es eine Freud‘ für jeden ist, der Oper als eine Art aufgefüttertes Kindertheater versteht. Nur Freud bleibt auf der Strecke: Alles, was an diesen Figuren aufschlussreich sein könnte, lässt sich vielleicht den klugen Beobachtungen im Programmheft, nicht aber den hölzernen Aktionen auf der Bühne entnehmen.

Der neue Generalmusikdirektor der Oper Halle, Josep Caballé-Domenech, werkelt sich nach einem spröde auf das Changieren von Klängen verzichtenden Vorspiel durch Sekles‘ Partitur und ihre beflissenen Parlando-Passagen. Gerd Vogel singt den Kalifen mit der bruchlos aufgesetzten Würde einer sonoren, auf Klang, nicht auf Bedeutung ausgerichteten Stimme. Der Großwesir Said-Fares ist bei Ki-Hyun Park ein unfreiwillig drolliges Männchen, sein Sohn Omar (Ralph Ertel) richtet seine Aggression gegen sich und seine – vom Kalifen missbrauchte – Braut (Theresa Dittmar).

Von den beiden Töchtern des Großwesirs hat Schahrazade die tragende Rolle des Abends: Anke Berndt singt sie leuchtend und kräftig, aber ihr nach vorne forciertes Singen „in der Maske“ führt zu einer verpressten und einfarbigen Tongebung. Ines Lex darf als Dunyazade ein wenig kleinstimmig dazuzwitschern und sich für die Märchen der nächsten tausend Nächte artig zu Füßen des geläuterten Massenmörders niederlassen. Tomas Möwes gibt in der kleinen Rolle des Kaufmanns Musair einen Bilderbuch-Araber, Nils Giesecke darf als Obereunuch einen riesigen Turban spazierentragen. Köhlers Absicht, das unbekannte Stück „werkgetreu“ zu erzählen, geht gründlich daneben – denn gerade in dieser Art erzählt das problematische Werk überhaupt nichts. Zwangvolle Plage für die Zuschauer, Müh‘ ohne Zweck für das Stück.

 

Diese Seite drucken