Günther Haller
CAFÉ UNTERGANG
STALIN, HITLER, TROTZKI, TITO 1913 IN WIEN
192 Seiten, Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria. 2023
Nachher ist man immer gescheiter. Heute weiß man, dass das Jahr 1913 eine „Endzeit“ war, schon an der Kippe zum Untergang, der die sozialen Strukturen der damals herrschenden Weltreiche zerstören würde. Daran waren nicht nur das Attentat von Sarajewo und der Erste Weltkrieg schuld, sondern auch Männer, die aus diesen Katastrophen Kapital schlugen und die Zukunft danach nach ihren – zerstörerischen – Intentionen formten.
Ihre Namen? Adolf Hitler, Josef Stalin (damals noch Iosseb Dschughaschwili) Leo Trotzki (damals noch „der Herr Bronstein aus dem Café Central“) und Josip Broz, erst später „Tito“. Er war damals, im Jahr 1913, mit 21 Jahren der Jüngste von ihnen, Hitler war 24. Trotzki war 34. Stalin 35. Alle standen sie in den Startlöchern, und ihre Schicksale sollten sich außerhalb Wiens erfüllen. Aber damals trafen sie hier zusammen, ohne sich zu treffen (der Autor spinnt ein paar Gedankengänge, was gewesen wäre, wenn…).
Hitler, der Mann aus Oberösterreich, war der sozial Ärmste unter ihnen. Mit der Hoffnung, Künstler zu werden, war er hierher gekommen, und er hat es der Stadt nie verziehen, dass sie ihn zurückwies und im Elend verkommen ließ, so dass er im Männerwohnheim landete, Das Wien von unten, wie er es erlebte, prägte ihn so wie der Lueger’sche Antisemitismus und die Abneigung, die er gegen eine Multi-Kulti-Gesellschaft empfand, die voll von Zuwanderern aus den Kronländern war.
Trotzki war eine bekannte Erscheinung in der Stadt, ein bunter Vogel des Kaffeehauses, Stalin, der auf die Aufgaben wartete, die Lenin für ihn haben würde (und der von Trotzki milde verachtet wurde), und Tito, damals nur ein kroatischer Schlosserlehrling, der von einer kroatischen Nationalbewegung träumte und in einer Wiener Kaserne einrückte, kamen wie so viele von draußen in die Kaiserstadt. Er und Stalin blieben nur kurz hier, ein paar Wochen, Trotzki und Hitler brachten es auf sechs bis sieben prägende Jahre.
Wien war damals vieles, und der Autor zeichnet es nach. Die „Kaiserstadt“, die – wie die ganze, in ihren Nationalitätenunruhen bröckelnde Monarchie (der Balkan, partiell ein Teil von Österreich-Ungarn, war ein Pulverfass) – durch die Gestalt des alten Kaisers zusammen gehalten wurde. Ein jüdisches Großbürgertum sorgte für den letzten kulturellen Glanz, aber der Autor vergisst auch nicht auf das Elend der unteren Schichten. Die Walzerseligkeit, die für den „letzten Glanz der Kaiserstadt“ steht und die hoffnungslose Situation des Proletariats standen einander schroff gegenüber.
Und damals (wie heute) war Wien ein, nennen wir es „Spionagezentrum“, vor allem, was den Osten betraf. Hitler und Broz-Tito waren Söhne der Monarchie, der Georgier Stalin und der in der Ukraine geborene Trotzki hingegen Untertanen des Russischen Zarenreichs, an dessen Untergang so heftig gearbeitet wurde – nicht zuletzt in Wien, wo man sich scheinbar gemütlich im Kaffeehaus traf, in einer reichlichen Auswahl internationaler Zeitungen über das Weltgeschehen informiert wurde und wo sowohl sozialistische wie auch vor allem bolschewistische Kreise eine neue Weltordnung anstrebten. Was ja auch gelang…
Als „Quartett des Grauens“ stellt der Autor die vier Männer dar, um die es geht – Hitler und Stalin als Massenmörder, Trotzki als Theoretiker eines für Millionen tödlichen Marxismus unter Lenin, und Tito als der Mann, der mit eiserner Faust den Balkan zusammen band, mit blutigen Opfern unter den feindlichen Nationalitäten.
Tatsächlich ein Kompendium des Bösen – und im Wiener Kaffeehaus fand man sich (Hitler eher am Stehplatz der Hofoper). Wien 1913, die Stadt, die mit ihren nervösen Besuchern auf den Weltuntergang wartete – ein spannendes Stück der Weltgeschichte, die sich hier konzentrierte.
Renate Wagner