Günter Neuwirth
DAMPFER AB TRIEST
Roman
476 Seiten, Gmeiner Verlag, 2021
Krimi-Lady Nr. 1, Agatha Christie, hat es gewusst: Sperre Deine Protagonisten ein, und der Täter (denn um Mord geht es immer) wird sich unter ihnen finden – ob im Zug („Mord im Orientexpress“), ob auf einer Insel (in einem Buch, das früher „Zehn kleine Negerlein“ hieß). Flugzeuge und Kreuzfahrschiffe eignen sich gleichfalls bestens als abgeschottete Schauplätze.
Allerdings ist das „Traumschiff“, das Krimi-Autor Günter Neuwirth für seine Geschichte wählt, ungleich reizvoller als alles, was dazu routinemäßig im Fernsehen geboten wird – 1907 von Triest aus in See stechend, ist das ganze Flair der k.u.k. Monarchie dabei, zart verklärend, aber durchaus hinter die Kulissen blickend, Informationen aller Art transportierend. Nostalgisch und doch nicht unkritisch.
Auf der „Thalia“ des Österreichischen Lloyd, einem Luxusliner der damaligen Zeit, bis Konstantinopel zu reisen, war (wenn man nicht zum Personal gehörte) eine Sache der Reichen. Folglich steht auch ein adeliger steirischer Potentat, Graf Urbanau (schon damals hat man in der Steiermark berühmte Waffen produziert – und an alle möglichen rebellischen Parteien verkauft…), im Zentrum der Geschichte- Er hat eine natürlich hübsche, kluge Tochter im Schlepptau, die sich nicht adelig zwangsverheiraten lassen will, und zu den rebellischen Frauen ihrer Zeit gehört, die damals an ihren Fesseln zerrten. Sie hat sich einen armen jungen Schauspieler zum Geliebten gewählt und für ihn die Passage bezahlt, damit sie drei Wochen heimlich zusammen sein können…
Da es auf den Grafen in Triest allerdings schon ein Attentat gegeben hat, schickt die Triestiner Polizei den feschen Bruno Zabini, Inspektor I. Klasse und der sehr intelligente, sehr sympathische Held der Geschichte (mit Wiener Mutter und vieler Sprachen der Monarchie mächtig), inkognito mit auf die Reise, um den Grafen möglichst zu beschützen.
Das sind dann die Voraussetzungen für die Handlung auf hoher See, wobei sich der Autor als sehr geschickter Erzähler erweist (wenn die Dialoge auch manchmal holprig geraten), der nie an der Oberfläche bleibt, sondern anhand von Schicksalen auch die ganze Epoche porträtiert. Er bietet unter den Passagieren des Schiffs eine Familie aus Lemberg (wobei die noch attraktive Frau wenig Rücksicht auf ihren alten jüdischen Gatten nimmt und sich mit einem feschen Stewart einlässt), ein junges Ehepaar aus Wien auf zweiter Hochzeitsreise, ein ältliches Wissenschafts-Ehepaar, ein amerikanischen Paar, zwei Schwestern (eine auch auf erotische Abenteuer aus), einen harschen deutschen Dramatiker in Schaffenskrise und schließlich eine nervtötende Reiseschriftstellerin, die sich schnell an Bruno heranmacht (der allerdings in Triest gleich zwei Freundinnen zurück gelassen hat…).
Die Mischung ist gut, um bei Diskussionen auch verschiedene politische Positionen in dieser bewegten Epoche des langsamen Zerfalls aufzuzeigen und ein sauber recherchiertes Zeitbild zu malen. Denn der Krimi lässt auf sich warten, und wenn es dann etwa auf Seite 200 eine Leiche gibt, ist diese (wenn man retrospektiv darüber nachdenkt) dramaturgisch irrelevant.
Außer, dass der Autor dem Leser dann sagt, wer der geheimnisvolle Attentäter an Bord ist… aber das tut er wohl zur Irreführung. Denn wenn es dann am Ende holterdipolter spannend, ja, hoch dramatisch wird, ist wieder alles ganz anders. Und der Schluß glaubhaft, wenn auch nicht ganz befriedigend – aber ein Happyend für die Komtesse ist einem der Autor nicht schuldig, er schreibt ja keinen Kitschroman…
Renate Wagner