Günter Krenn
ROMY SPIELT SICH FREI
GLANZ UND TRAGIK EINER SCHAUSPIELDYNASTIE
Mit bislang unveröffentlichtem Bildmaterial von Romy Schneider
304 Seiten, Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria, 2021
Es gibt von den Daten her keinen aktuellen Anlass, erneut ein Buch über Romy Schneider (1938-1982) zu schreiben, ihr 40. Todestag jährt sich erst am 29. Mai nächsten Jahres, und man kann wirklich nicht sagen, dass es zu wenige Bücher über sie gibt. War sie schon zu Lebzeiten ein Lieblingskind der (Klatsch-) Presse, so überschlugen sich nach ihrem nie geklärten Tod die Publikationen, und sie haben nie aufgehört. Auch Günter Krenn, Mitarbeiter des Österreichischen Filmmuseums, hat schon biographisch einiges (auch über ihre Beziehung zu Alain Delon) beigetragen.
Dennoch hat er nun einen neuen Ansatz gefunden – zusammen mit, wie verheißen (und eingehalten) wird, bislang unveröffentlichtem Bildmaterial, will er Romy in Konnex zu „Glanz und Tragik einer Schauspieldynastie“ setzen. Das ist nicht unberechtigt, Großmutter, Vater und Mutter waren Schauspieler, ihre Tochter ist es auch, das bedeutet immerhin vier Generationen. Wie viel die Großmutter, die legendäre Rosa Albach-Retty zur Karriere der Enkelin beigetragen hat, fand sie sie doch expressis verbis unbegabt, ist nicht festzumachen. Dass Magda Schneider in der Karriere der Tochter die eigenen Möglichkeit sah, ihren verblassten Ruhm aus der Kriegszeit neu aufzuputzen, steht außer Zweifel. Der Vater, der für Romy nie anwesend war, von ihr aber schwärmerisch geliebt wurde, spielte da keine Rolle.
Chronologisch und später, als sie sich zeitlich überlappen, in den Schicksalen „verschränkt“, wird also von Retty, Albach-Retty und Schneider erzählt, mit Anhang über Biasini, wobei die Hoffnung, hier mehr über Romys Tochter Sarah Biasini zu erfahren, als diese selbst in ihrem jüngst erschienen Buch erzählt, enttäuscht wird. Vor allem das, was hier das Thema wäre, nämlich die Schauspielerinnen, um die es geht, bleibt in ihrem Fall gänzlich unberücksichtigt. Etwas vage scheint am Ende des Autors Hoffnung, dass vielleicht Anna Rosalie Lefeuvre, die derzeit gerade dreijährige Enkelin von Romy Schneider, die Familientradition fortsetzen wird – das werden wohl nur die jungen Leser dieses Buches erleben, wenn überhaupt…
Für Rosa Retty (1874 – 1980) also, aus einer Schauspielerdynastie stammend (beide Eltern waren Schauspieler, die Vorfahren auch), war der Weg auf die Bühne vorgezeichnet, sie machte ihn allerdings in eigener Entschlossenheit von Deutschland bis zum Wiener Burgtheater. Nach der Heirat mit dem k.u.k.- Offizier Karl Albach nahm sie den Doppelnamen an. Rosa Albach-Retty war ein geschätztes Mitglied des Burgtheaters, zählte aber nie zur absoluten Spitze – die wahre Popularität errang sie als „Romys Großmutter“ und durch die Tatsache, dass sie das biblische Alter von 105 Jahren erreichte.
(Zum Thema Rosa ist noch zu sagen – dass der Autor zweimal Gustaf Gründgens falsch schreibt, erstaunt bei einem Fachmann, dass er auf Seite 176 tatsächlich behauptet, Rosa Albach-Retty habe unter dem Pseudonym Friederike Kempner Gedichte geschrieben (!!!), ist mehr als seltsam und in ihren Memoiren, die er als Referenz angibt, nicht aufzufinden. Schließlich gab es die für ihre schlechten Verse berüchtigte Kempner wirklich… und Rosa hat nicht unter deren Pseudonym, sondern nach ihrem Beispiel bestenfalls ein paar Verse verfasst. Diese Passage des Buches klingt wie leichtfertiger Umgang mit Quellen und Material…)
Die bürgerliche Magda Schneider (1909-1996), die den Weg als singende Soubrette begann und sich beim deutschen Film einen Platz eroberte, war gleichfalls durchaus erfolgreich und vermarktete ihren Typ als positive, normale junge Frau optimal – aber auch sie kam nicht an die absolute Spitze. Sie mochte in ihrer großen Zeit mit 25.000 Reichsmark pro Film hoch bezahlt sein, aber das war nichts gegen die 120.000, die eine Paula Wessely bekam. Die dieses Prestige und diese Gage allerdings dann mit Propagandafilmen abdienen musste…
Rosa und Magda, beide Frauen von großer Entschlossenheit, die nie „aus dem Tritt“ gerieten wie Enkelin bzw. Tochter Romy, waren Schwiegermutter und Schwiegertochter. Zwischen ihnen stand Wolf Albach-Retty (1906-1967), auch Schauspieler, aber offenbar ein Mann, der alles im Leben locker mit der linken Hand betrieb. Alte Wiener Theaterfreunde werden sich noch an seine Eleganz und seinen unwiderstehlichen Charme erinnern – aber auch, dass nicht viel darüber hinaus über ihn zu sagen war. Außer dass er seiner Tochter Rosemarie (nach der Großmutter benannt, weil die Eltern sich nur auf einen Sohn eingestellt und keinen Namen parat gehabt hatten) seine Schönheit mitgegeben hatte.
Die Frage, „Was hast Du im Krieg gemacht?“ wird jedem Künstler, der damals tätig war, gestellt, sie erstreckt sich nicht nur auf die drei Genannten, sondern auch noch auf Trude Marlen, die zweite Frau von Wolf Albach-Retty, und alle gehen „braun bekleckert“ aus der Untersuchung hervor. Sie waren keine „Täter“ im vollen Wortsinn, aber Mitläufer des Regimes, das ihnen Wohlwollen entgegen brachten und das sie erwiderten (Magda Schneider zählte zu den vielen Schauspielerinnen, denen man auch ein Verhältnis mit Hitler andichtete).
Alle kamen jedoch unbeschädigt aus der Zeit wieder heraus, die Albach-Rettys im Burgtheater, Magda Schneider im Film – als Mutter ihrer Tochter, im doppelten Wortsinn. Der Autor analysiert auch nach Romys Tod, dass die Persönlichkeit von Magda Schneider eigentlich nie mehr Eigenleben bekam, sie war „die Mutter“, und als solche sogar vielfach übel beleumdet.
Romy Schneiders oft erzähltes Schicksal nimmt den größten Teil des Buches ein, ohne dass man Neues erfahren würde. Der Titel „Romy spielt sich frei“ bewahrheitet sich in dem Sinn nicht – weder Großmutter noch Eltern waren für sie als Schauspielerin ein Hindernis, weil sie von Anfang an eine so unikate Qualität vor der Kamera entwickelte, die man nicht lernen kann und die ganz selten ist. Sie steht als Schauspielerin für sich allein, braucht keine Vor- und Nachfahren.
Allerdings wird gerade die Schauspielerin Romy in dem Buch nur sekundär berücksichtigt, der Autor zählt massenhaft Filme auf, Titel, unter denen nur derjenige sich etwas vorstellen kann, der sie kennt, für die anderen sind sie leere Namen, ihre jeweiligen Leistungen kommen nicht zur Sprache.
Im Grunde geht es um ihr Privatleben, wozu Senta Berger, die Romy zweifellos beneidet hat (die aber privat ihr eigenes Leben besser in den Griff bekam), etwas sehr Richtiges gesagt hat: „Wenn die Kamera aus ist, musst Du ein Leben haben.“ Das hat Romy immer gesucht und nie gefunden – nicht mit Delon, der in ihrer gemeinsamen Zeit raketenhaft Karriere machte, nicht mit Harry Meyen, auf dessen Intellektualität sie herein gefallen war und die sie nur unglücklich machte, nicht mit Daniel Biasini, der in aller Welt nur den Eindruck erweckte, er sei auf ihr Geld aus.
Einen Vater hat sie ihr Leben lang gesucht, aber der Reservevater, der zweite Mann ihrer Mutter, beutete die „Marke Romy“ nur aus. Diese Marke (den vierten „Sissi“-Film hat sie trotz eines Angebots von einer Million Mark abgelehnt) wollte Romy lebenslang selbst bestimmen, aber es gelang ihr nicht (wie es wenigen Schauspielern gelingt, denn die Industrie wird von anderen Leuten gemacht als jenen, die vor der Kamera stehen).
Wahre Romy-Fans, die nicht genug von ihr bekommen können, werden sich an den Bildern ergötzen und rundum, über ihre Familie, mehr erfahren. Ihre Tragödie als Mensch und Schauspielerin dürfte allerdings auserzählt sein.
Renate Wagner