GÜNTER HAUMER, Bariton. Vielfachbegabung.
KARRIEREVERLAUF – WOHIN GEHT DIE REISE?
Ein Porträt
Günter Haumer. Copyright: Claudia Prieler
Am Tag nach der großartigen, bejubelten Uraufführung von Christoph Ehrenfellners Kirchenoper „JUDAS“ probt der Titelrollenheld Günter Haumer schon für das Liedprogramm „Notturno“ (am 8.7. als Nacht-Konzert im Freien, im Innenhof des Dominikanerklosters Retz). Drei „traumverlorene Kompositionen“, wie in der Vorschau zu lesen ist, von Samuel Barber, Wolfram Wagner (auch hier eine Uraufführung!) und Othmar Schoeck. Gemeinsam mit einem Streichquartett des „Ensemble Festival Retz“. Ein exquisiter Querschnitt, weit außerhalb von Liederabend-Touristenpfaden.
Die Probe im Retzer Stadtsaal dauert länger, dafür komme ich vor dem Interview in den Genuss, ein musikalisches Kleinod des viel zu selten gespielten Schweizer Komponisten Schoeck hören zu können. Ein Liederzyklus für Bariton und Streichquartett mit Texten von Lenau und Gottfried Keller. Spätromantisch, expressionistisch, von dunkler Farbigkeit.
Wo können wir das Interview machen? So meine Frage an Monika Steiner, die Regisseurin des Abends,…
… Wo‘s kühl ist! So Günter Haumer.
(Die 30-Grad-Marke ist wieder einmal längst überschritten)
Ein schattiger Terrassenplatz im „Althof Retz“ findet sich rasch.
Ja, wie war die Probenarbeit? Es war eine Riesenherausforderung! Bei einer Uraufführung hat man natürlich keine Vergleiche, und man weiß lange nicht, wie das werden wird. Also, anstrengend wie selten zuvor in meiner Sängerlaufbahn war es, aber mit Fortdauer der Probenarbeit enorm bereichernd. Schließlich: Gegen Ende der Probenarbeit kristallisierte sich immer deutlicher heraus: Ja, das wird was! Das wird ein Erfolg!
Wie lange wurde geprobt? Wann bekamen die Mitwirkenden die Noten? Seit wann kannten sie den Komponisten? Hat er (wie etwa Gottfried von Einem oder Friedrich Cerha, die dies immer wieder betonten) ihnen die Rolle auf den Leib bzw. in die Kehle geschrieben?
Geprobt haben wir seit Ende Mai durchgehend. Das klingt viel, aber es hat gerade mal gepasst.
Ich lernte Christoph Ehrenfellner vor einem Jahr kennen, als wir – auch im Juni – in der Stadtpfarrkirche Händels „Jephtha“ probten. Vorher kannte ich ihn nicht. Auch keine Werke von ihm. Zum Zeitpunkt des Kennenlernens war die Partitur fertig, was ja keineswegs selbstverständlich ist. Ursprünglich sollte ich ja den „Jesus“ singen – aber der vorgesehene „Judas“ musste wegen Terminschwierigkeiten absagen, und ich übernahm die Titelpartie. Also, das „In-die-Kehle-Schreiben“ war daher gar nicht möglich.
Es war fast ein Jahr Zeit für die musikalische Einstudierung. Was höchst notwendig war. So kantabel sich viele Sequenzen seiner Musik anhören (sozusagen „leicht singbar“), so kompliziert und schwierig war es anfangs, in die Struktur seiner Musik einzudringen! Und meine Rolle ist hochdramatisch, verlangt Kraft und Höhensicherheit, ist auch körperlich und konditionell äußerst fordernd.
Es folgt viel Lob für die Veranstalter dieses „kleinen, aber feinen Festivals“ und über das tolle, freundschaftliche, entspannte Arbeitsklima, bei aller Intensität. Und wertschätzendes Lob für den Komponisten, der auch für Änderungswünsche der Sänger offen war, wenn diese beispielsweise anmerkten, gewisse Hochtöne seien bei gewissen Phrasierungen oder gewissen Vokalen schwieriger als bei anderen. Es sei einfach wunderschön, hier zu arbeiten. Da Günter Haumer in Retz seine Familie um sich hat (dazu weiter unten!), hat dies auch einen gewissen Erholungsfaktor, mitunter sogar ein bisschen Urlaubs-Feeling!
Seit wann sind sie schon in Retz dabei?
(Muss lachen): Ich bin da witzigerweise einer der Dienstältesten! Das Festival gibt‘s, glaube ich, 12 Jahre, und ich bin vor bald 10 Jahren zum ersten Mal gekommen. Habe hier in „Dido und Aeneas“ von Purcell mitgewirkt, unter anderem mehrere Male bei Britten-Produktionen (Im „Verlorenen Sohn“ war ich ‚Elder Son‘, der ‚Herald‘ in „Die Jünglinge im Feuerofen“, dann in „Curlew River“, zuletzt als ‚Zebul‘ in Händels „Jephtha“.
Natürlich strebt er kein „Abonnement“ auf Retz an. Wenn man ihn weiter haben möchte, und es lässt sich weiterhin terminlich einrichten, dann käme er sehr gerne immer wieder, betont Haumer. Bisher wäre das immer gelungen, und künstlerisch besonders reizvoll und im Menschlichen freundschaftlich-wertschätzend sei es immer gewesen …
Günter Haumer. Copyright: Claudia Prieler
Der Sprung zurück, „zu den künstlerischen Anfängen“: Jahrgang 1973,…
Also, ich bin in Tulln aufgewachsen, die Ausbildungsjahre waren in Wien. Ich war Schüler im Musikgymnasium in der Neustiftgasse. Früh kam das Klavier dran. Ich wusste aber lange nicht, wohin die Reise gehen sollte. Mit 13 Jahren begann ich ein Klarinettenstudium bei Peter Schmidl von den Wiener Philharmonikern. Aber auch hier letztlich unschlüssig, die Lust am Singen begann sich auszuprägen. Mit 17 ging ich für einige Zeit zum Arnold-Schoenberg-Chor, ich machte nach der Matura eine Ausbildung zum Logopäden und arbeitete dann auch am Allgemeinen Krankenhaus als Logopäde. Inzwischen wurde aber das Singen immer dringlicher. Es folgte dann parallel schon viel zielgerichteter ein Gesangsstudium an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, wobei zwei Persönlichkeiten für mich sehr prägend wurden: Helena Lazarska und Wicus Slabbert, damals Sänger an der Wiener Volksoper und der Wiener Staatsoper. Da ging dann was weiter! Ich kündigte die Stellung am AKH. Ich ging 1999 nach London ans Royal College of Music. Das war dann überhaupt die prägendste Zeit …
…, zumal sie da beim Studium ihre aus Kolumbien stammende Frau (und Mutter der inzwischen vier gemeinsamen Jungs zwischen vier und fünfzehn!) kennen lernten! Günter Haumer lächelt, und er sagt nur: ‚Ja, genau!‘. Inzwischen sangen (und singen) drei von ihnen im Kinderchor der Wiener Volksoper. Der Älteste ist inzwischen im Stimmbruch. Der Jüngste: Ja, beim Vierjährigen, da wisse man natürlich noch gar nichts. Noch ein amüsantes Detail: In Händels ‚Jephtha‘ gibt es eine kleine, aber sehr wichtige Engelsrolle am Schluss des „Szenischen Oratoriums“. Günter Haumer erzählt, da hätten im vorigen Jahr alle drei der älteren Söhne mitgesungen: Sechs Aufführungen, jeder hat zwei Vorstellungen bestritten!
Bei so viel geballtem Sangestalent: Geht da was in Richtung Singen weiter? Eifern die Jungs dem Vater nach …
(… der Vater wehrt die Frage lachend ab):
Da ist auch noch lang nicht klar, wohin die Reise geht! Mit Emilio, dem Ältesten, habe ich z.B. einmal gemeinsam im Fauré-Requiem gesungen. Und das war für beide schon was Besonderes. Bis jetzt haben sie alle Freude und Spaß am Singen. Wenn das so bleibt, werde ich das unterstützen. Aber Druck mach ich sicher keinen! Das soll man ganz entspannt beobachten!
Aber nicht genug der Begabungen mit Klavier, Klarinette, Singen: Da kommt noch die „Knöpferlharmonika“. Noch ein Studium??
(wieder lachend): Das hab‘ ich mir selber beigebracht! Aus der Klarinettenzeit blieb auch der Eindruck, diese Schrammel-Musik ist was Besonderes! So bin ich in diese Musik eingedrungen, und jetzt singe ich sehr gerne gemeinsam mit den Philharmonia-Schrammeln.
(Anm.: Zu erleben am 26. November 2017, 18:30, im Musikverein, Brahms-Saal, mit dem Titel: „Überlandpartie“, gemeinsam mit der Sopranistin Anita Götz). Und die Akkordeon-Karriere erstreckte sich vom Burgtheater bis an die Volksoper („Tannhäuser in 80 Minuten“ mit Robert Meyer)…
Günter Haumer ist seit der Saison 2012/13 Ensemblemitglied an der Wiener Volksoper…
… ich war bis dahin immer ein Freiberufler. Habe mich überreden lassen, ins Festengagement zu gehen. Natürlich: Am Anfang muss man sich profilieren. Mit kleinen Rollen. Aber bald kamen dann für mich auch große Rollen: Das schwierige Bariton-Solo in „Carmina Burana“, der Einstieg ins Mozart-Fach (Conte Almaviva, Don Giovanni, Der Sprecher, Don Alfonso – und eine Rolle, die ich ebenfalls besonders gerne singe: Der Vater Germont in ‚La Traviata‘.
Nächste Saison: Weitere Auführungen an der Wiener Volksoper: Zauberflöte (Der Sprecher, z.B. im September), Le Nozze di Figaro (Reprisen im Jänner 2018) und eine neue Rolle in: Gasparone (Premiere Anfang Juni 2018).
Günter Haumer, der Gesangspädagoge und Lehrer (Mag.art.)?
Auch schon seit 10 Jahren! Ich unterrichte am Institut für Musikleitung und Kirchenmusik, das heißt, ich betreue angehende Dirigenten, Komponisten und Kirchenmusiker. Sehr heilsam ist es, von meinem Standort all den Studierenden klar zu machen: Wie ticken SängerInnen, wie atmen SängerInnen, wie kann man sänger-orientiert komponieren, was kann man von SängerInnen verlangen? Was sollte man nicht?
Günter Haumer, der Bariton an der Schwelle zum dramatischen Fach (ausgehend vom Don Giovanni): Ja, der Don Giovanni sei eine wunderbare Rolle, aber ein ‚Leporello‘ könne einen Don Giovanni an die Wand spielen und auch singen!): Ich vergleiche, was ich sonst tunlichst vermeide, seine Stimme, seine Bühnenerscheinung, mit der des jungen Eberhard Waechter. Heller Bariton, ausladende Höhe, aber kein Heldenbariton. Haumer zögert, widerspricht aber nicht.
Stimmliche Zukunft?
Ich sehe meine derzeitige Stimmentwicklung in Richtung Jochanaan gehend, in Richtung Amfortas, in Richtung Mandryka!
Wohin geht die Reise?
???
In jedem Falle: Langsam, Schritt für Schritt!
Alle guten Wünsche!
Karl Masek führte das Gespräch am 7.7.2017 in Retz