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GSTAAD/ MENUHIN FESTIVAL & ACADEMY vom 27.8.-1.9.2018

GSTAAD/ MENUHIN FESTIVAL & ACADEMY vom 27.8.-1.9.2018

Da Künstler bekanntlich keinen Urlaub machen können, gründete Yehudi Menuhin in seinem damals noch idyllischen westschweizer Ferienort das Gstaad Menuhin Festival, “ um mit seinen Freunden in ungezwungener Atmosphäre Musik machen zu können“.

Hauptspielorte waren, und sind auch heute noch (seitdem 2002 der Cellist Christoph Müller das Festival übernommen hat) die von aussen unscheinbaren, aber im Inneren äußerst anheimelnden Kirchen des Saanenlandes, wie die in Zweisimmen, Saanen, Gstaad, Rougemont etc…

Während des diesjährigen Abschlusswochenendes konnten wir in der Kirche von Zweisimmen z.B. einen herrlich stimmigen Abend erleben. Die immer noch wunderschöne Hannelore Elsner las inniglich gemeinsam mit Stefan Gubser aus dem Briefwechsel zwischen Clara Schumann und Johannes Brahms. Diese teilweise sehr witzige Lektüre umrahmte die Aufführung der während Brahms‘ Sommeraufenthalten am nahegelegenen Thunersee entstandenen Werke wie der Cellosonate Nr.2, der Violinsonate Nr.2 und dem Klaviertrio Nr.3, dargeboten von Sebastian Knauer (Klavier), Andrei Ionita (Violoncello) und Christel Lee (Violine). Eine runde Sache, intelligent konzipiert und makellos umgesetzt.


Juan Diego Florez und Olga Peretyatko. Foto: Menuhin-Festival


Juan Diego Florez und Olga Peretyatko. Foto: Menuhin-Festival

Weitaus weniger anheimelnd war die Atmosphäre im sogenannten Festivalzelt, in dem die massentauglicheren und umsatzfördernderen Konzerte stattfinden. Dieses Zelt, einst aus der Konkurmasse irgendeines zurecht bankrott gegangenen Opernevents erworben, ist so hässlich, dass sich wahrscheinlich sogar Politiker weigern würde, dort ihre flammenden Aschermittwochreden zu halten. Hier fand das Programm „Die Alpen in der italienischen Oper“ mit den Superstars Juan Diego Florez und Olga Peretyatko und dem Ensemble La Scintilla unter Riccardo Minasi statt, dem alle als vermeintlichen absoluten Höhepunkt des Festivals entgegenfieberten. Dass Florez & Peretyatko Weltklassesänger sind und auch ein schönes Bühnenpaar (demnächst im Februar gemeinsam in der Lucia an der Staatsoper zu erleben), braucht man ja (obwohl beide in letzter Zeit ein wenig an Höhe verloren haben) nicht extra zu erwähnen. Der total hochgehypte Abend litt dann allerdings doch an einigen, letztlich insgesamt dann doch ins Gewicht fallenden Einschränkungen:

  1. hatten die Organisatoren, als ob das schreckliche (und auch akustisch äußerst problematische) „Fest“ – Zelt nicht schon hässlich genug wäre, noch unfassbar scheußliche Kulissen mit dilettantisch gemalten „Alpen“ dazubestellt, was angesichts der Tatsache, dass man diese imposante Bergkette vor der Zelttür in ihrer ganzen Pracht ganztägig bewundern kann, schon irgendwie an vorsätzlichen Hohn grenzte.
  2. hielt man nicht einmal das naheliegende Alpenthema den ganzen Abend lang durch (obwohl es dafür nun wirklich genügend Material gibt),
  3. sondern „streckte“ es völlig unverständlicherweise mit unnötigen Einschüben aus „Assedio di Calais“,“ Norma (?)“,“Alzira (!)“ und sogar dem überstrapazierten „Barbiere di Siviglia (HILFE !). Warum nur, o warum ?
  4. vermeinte Primadonna Peretyatko in einem lachsforellenfarbenen Undinenschlauchkleid und ähnlich anderen geschmackvollen Outfits auftreten zu müssen (über die textilen Vorlieben russischer Diven müsste wohl noch ein eigenes Buch geschrieben werden)…
  5. konnte es Tenorissimo Florez nicht nur nicht lassen, als bis Granada zu singen (dort gibt’s zwar immerhin die Sierra Nevada, die aber nicht direkt den Alpen zuzurechnen ist, und außerdem ist dieses populistische Liadl nicht einmal der italienischen Oper entferntest zugehörig ), sondern ließ sich auch hinreißen, diese Zugabe mithilfe von weiße Rosen Ausreißen und rote Rosen in den Mund stecken und mit dem Dirigenten konferieren und kokettieren und den DIrigenten umarmen in eine unsägliche Musikkabarettnummer zu verwandeln. Ziemlich tiaf, auf alle Fälle tief unter seinem Niveau. Sowas hat er doch wirklich nicht notwendig…

Zum Abschluss versöhnte es ein wenig, dass er gemeinsam mit Olga in „Parigi, o cara“ duettierte, sozusagen als Kostprobe seines bevorstehenden Rollendebüts an der Met…

Das infame Festivalzelt kam leider auch noch beim heurigen Abschlusskonzert mit Brahms‘ Doppelkonzert und der 8. Dvorak zum Einsatz, wobei hier zwei Dinge besonders auffielen: zum Ersten, dass die Sponsoren und Mäzene hierorts ihr Geld – in lt Freud “ analfixierterweise“ dann offenbar doch nicht ganz so einfach und so vollkommen folgenlos von sich ziehen lassen können: denn das Vor-Zelt zum Haupt–Zelt ist in bei Festivals noch nie dagesehenerweise als eine Art Hausmesse gestaltet: mit Ständen für musikfernen Premium – Produkten wie Alpenkaviar, Motorrädern, Juwelen, Champagner und Limousinen etc… Philantropie ist gut, Profit ist offenbar doch besser…zumindest zur Beruhigung des altruistisch angekränkelten Gewissens…

Weiters war nicht zu übersehen, dass die anwesenden Milliardäre (Gstaad hat in seinen Chalets die höchste Millardärsdichte der Welt) anscheinend zutiefst unglückliche Menschen sind. Denn wenn sie Dvoraks doch ziemlich ekstatischer 8. Symphonie stocksteif und ohne eine Miene zu verziehen lauschen (oder zumindest so tun, denn das Taubheitslevel ist unklar und nicht verifizierbar) und einer dieser hoffärtigen Greise nach dem hochbrausenden Applaus seinem unter 80 jährigem Sitznachbarn, der es gewagt hatte, sich zur enthusiasmierenden Musik ein wenig zu bewegen, in breitestem Schwyzerdütsch zuzischelt:  „Se sind e Schtörefried…!“ – dann muss man doch wirklich letztlich Mitleid mit diesen Menschén haben, deren mit vielen Nullen gesegnetes Bankkonto sich offenbar nicht direkt in absolute Fröhlichkeit ummünzen lässt….

Die ursprüngliche Menuhin – Idee, in Gstaad „mit befreundeten Musikern in ungezwungener Atmosphäre der Kunst zu dienen“,  scheint sich hier letztlich nicht ganz durchgestezt zu.haben.

Bzw. sie lebt dann doch sehr stark in den didaktischen, unkommerziellen (weil von gemeinnützigen Stiftungen getragenen)‘ Nebenveranstaltungen des Festivals fort: in den fünf so genannten Academies (könnte man auch als Masterclasses oder Workshops bezeichnen):weiter.


Academy. Foto: Menuhin-Festival

Wir hatten Gelegenheit, zwei von ihnen (bei freiem Eintritt öffentlich zugänglichen) Veranstaltungen zu verfolgen : die Vocal Academy und die Baroque Academy.


Silvia Bartoli mit ihren Schülern. Foto: Menuhin-Festival


Silvia Bartoli mit ihrer Meisterklasse. Foto: Menuhin-Festival

Die Vocal Academy wird seit Jahren von Silvia Bartoli geleitet, der ehemaligen Sängerin, ersten und einzigen Gesangslehrerin ihrer Tochter, der göttlichen Super-Primadonna Cecila B….

Wer sich einen Abglanz von deren Diva-Glamour erhofft hatte, wurde hier aufs bitterste enttäuscht: Denn die Bartoli sen..präsentierte sich hier, im nüchternen Pfarrgemeindehaus von Gstaad, völlig  uneitel, ungeschminkt, mit einem rotweiss gestreiftem Ruderleiberl und  mit ganz normalen Hausschlapfen. Man hätte sie – wider besseren Wissens – fast für die Hausmeisterin dieses provisorischen Konservatoriums halten können ….Aber man soll sich nicht  täuschen lassen: die Alte hat keine Allüren, aber setzt ihr Prinzip der Öffnung aller Gesangskanäle mithilfe aller ihr zur Verfügung stehenden Mitteln (und seien es Aststücke !) relativ gnadenlos durch. Nicht unbedingt grundsympathisch, aber effizient…


Flöten-Akademie. Foto: Menuhin-Festival


Flöten-Akademie. Foto: Menuhin-Festival

Völlig anders geartet der Chef der Baroque Academy, Maurice Steger, einer der weltbesten Flötisten dieses Repertoires. Ein „Simpaticone“, wie er im Büchl steht, ein vom pädagogischen Eros nicht nur beseeltes, sondern geradezu besessenes enthusiastisches Springinkerl, das für aller seiner hochbegabten Schüler uneingeschränkte Aufmerksamkeit, Strenge, Lob, Ratschläge und Zärtlichkeit übrig hat….Ein musikalisches Naturereignis, das auf alle, die unter einem frühkindlichen Blockflöten-Trauma leiden (und leiden wir darunter nicht alle?) einen unendlich wohltuenden und bewusstseinserweiternden ( o mein Gott, wieviel Flötenarten gibt es denn und wieviele Töne können sie hervorbringen..!) und versöhnenden Einfluss ausübt…Merci, Maurice ..!

Robert Quitta, Gstaad.

 

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