Foto: Chris Gloag
GREGORY KUNDE
Der doppelte Otello
Der amerikanische Tenor Gregory Kunde, seltener Gast in Wien, aber in dieser Saison noch im Jänner als Andrea Chenier und im Juni als Radames bei uns zu sehen, hat auf jeden Fall schon Operngeschichte geschrieben: Er ist seit dem 19. Jahrhundert der erste (und im Ganzen erst der zweite) Tenor der Welt, der Rossinis Otello und jenen von Verdi zugleich im Repertoire hatte – einmal sang er innerhalb eines Jahres beide Rollen nacheinander. Der „doppelte Otello“ gab uns zu seiner Rückkehr nach Wien ein Interview.
Renate Wagner hat am 28. Dezember 2018 mit Gregory Kunde gesprochen (in englischer Sprache)
Hallo, lieber Herr Kunde, wie steht es in New York? Eigentlich sollten wir uns hier im Sitzungszimmer der Wiener Staatsoper gegenüber sitzen, wie ursprünglich verabredet. Jetzt telefonieren wir über den Atlantik hinweg…
Ja, es tut mir wirklich leid, aber als die Proben für „Andrea Chenier“ in Wien nach hinten verschoben wurden, sind wir zuhause geblieben und haben Weihnachten in New York verbracht. Es hat übrigens wunderbar geschneit – jetzt regnet es. Morgen mache ich mich mit Gattin und Tochter auf den Weg nach Wien, und am 30. abends hoffen wir schon als Gäste im Zuschauerraum der Wiener Staatsoper zu sitzen.
Wo Sie auf der Bühne ja kein häufiger Gast sind…
Nein, zuletzt, 2012 in der „Sizilianischen Vesper“, bin ich auch nur eingesprungen. Übrigens haben Dominique Meyer und ich damals schon über eine Wiederkehr gesprochen – und kaum sind ein paar Jahre vergangen, hat es auch schon geklappt…
Wir erleben Sie nun in Ihrem noch immer vergleichsweise „neuen“ Fach – mit dem Verismo und Verdi. Ihre bisherigen Wiener Auftritte in der Staatsoper und auch einmal im Theater an der Wien haben Sie ja noch in der Belcanto-Welt gezeigt, in der Sie jahrzehntelang einer der führenden Star-Tenöre waren?
Ja, ich habe 1997 in den „Puritanern“ in Wien debutiert, dann 2000 den Arnoldo im „Tell“ gesungen und 2001 in der „Sonnambula“. Der Umstieg auf Verdi 2012 erfolgte dann ziemlich unmittelbar nach der „Donna del Lago“ im Theater an der Wien. Da hatte ich aber schon die Umstellung des Repertoires vollzogen. Mein Lehrer Alfredo Kraus hat mir einmal gesagt, dass man als Tenor erst mit 50 wirklich weiß, wo die Stimme hin will. Ich war 52, als ich merkte, dass mir die Belcanto-Rollen nicht mehr so leicht aus der Kehle kamen. Und da bot sich mit dem Rossini-Otello 2007 in Pesaro der Umstieg in das dramatische Fach. Ich werde nie vergessen, wie sich da für mich neue Türen aufgetan haben. Ebenso bedeutend war es, als Gianandrea Noseda mich 2011 fragte, ob ich mit ihm die „Sizilianische Vesper“ in Turin machen wollte. Das war der Einstieg zu Verdi. Noseda war ja auch der Dirigent, als ich in Wien als Arrigo in der „Vesper“ eingesprungen bin… Und dann ging es mit Verdi weiter, 2012 gab es meinen ersten Verdi-Otello, außerdem Puccini, die Veristen, das französische Fach hatte ich schon früher gesungen.
Mit beiden Otellos im Repertoire stehen Sie singulär in der Operngeschichte… Und wir haben den Fachmann hier, uns zu sagen, welche Rolle die schwierigere ist?
Ja, soweit ich weiß, hat nur noch im 19. Jahrhundert der Tenor Roberto Stagno beide Rollen gesungen. Für mich war 2015 das Jahr beider Otellos – an verschiedenen Häusern -, und ich kann nur sagen: Es sind beide sehr schwere Rollen, besonders gegen Ende, aber ich liebe sie beide – obwohl ich jetzt den Rossini’schen nicht mehr singe und bei Verdi bleibe. Es war ja wunderbar, mit über 50 plötzlich ein so reiches Repertoire vor sich liegen zu sehen, auch wenn dann sehr schnell sehr viel neu zu lernen war – Manrico, Radames, Riccardo, Rudolfo in der „Luisa Miller“, Alvaro. 2020 werde ich meinen ersten Don Carlo in Liège singen, in der französischen Fassung.
Puccini ist ja mittlerweile auch wichtig für Sie, Sie kommen gerade aus einer sehr erfolgreichen „Turandot“-Produktion am Teatro Real in Madrid. Wie war denn die Zusammenarbeit mit Regisseur Robert Wilson?
Er war die ganzen vier Wochen Probenzeit immer da, und ich konnte mich sehr gut in sein sicherlich ungewöhnliches Konzept einfühlen. Allerdings hatte ich den Calaf 2017 in der Arena von Verona in der extrem „klassisch-chinesischen“ Fassung von Franco Zeffirelli gespielt. Diese beiden Erlebnisse hätten nicht verschiedener sein können. Aber Robert Wilson ist ein Genie, und folglich war das für mich ein großartiges Erlebnis. Ich muss allerdings sagen, dass ich mich nicht immer auf Inszenierungen einlasse, von denen ich ahne, dass ich mich darin nicht wohlfühlen würde. Das ist der Vorteil des Alters, einer immerhin 40jährigen Karriere, dass man den Luxus hat, sich die Dinge aussuchen zu können. Was Puccini betrifft, so ist die Rolle, die mir noch fehlt, der Cavaradossi, und ich halte immer wieder Ausschau nach einem passenden Angebot…
Herr Kunde, wie kommt ein amerikanischer Junge aus Kankakee in Illinois dazu, Opernsänger zu werden?
Es hat damit begonnen, dass ich 1968, im Alter von 14 Jahren, in den Chor der High School kam. Und von da an wusste ich, Musik ist das einzige, womit ich mein Leben verbringen will. Da schien Chordirigent im ländlichen Amerika eine gute Möglichkeit.
Dass Sie kein Chordirigent, sondern Opernsänger wurden – daran ist auch die Wiener Staatsoper schuld?
Ja, ich war mit Kollegen 1973, also 19jährig, für einen zweiwöchigen Workshop bei Helmuth Rilling in Wien, und da habe ich an der Wiener Staatsoper zum ersten Mal in meinem Leben eine Opernaufführung erlebt. Das war „Salome“ mit Leonie Rysanek. Ich war vollkommen überwältigt, es war wie eine Offenbarung. Ich bin gleich am nächsten Abend wieder gegangen, das war „Carmen“, und von da an stand für mich fest, dass ich mehr über diese Welt der Oper wissen wollte. Und ich entschied mich, dass Singen und nicht Chorleitung mein künftiger Weg sein sollte. 1993 durfte ich bei einer Audition für Ioan Holender erstmals auf die Bühne der Staatsoper, und ich war so überaus ergriffen, hier zu stehen und zu denken, dass ich dort drüben, am Stehplatz, meine erste Oper gesehen hatte…
Und nun kommen Sie nach einer längeren Pause wieder. Wie fühlt man sich da?
Wunderbar erwartungsvoll, ich kenne die Rolle des Andrea Chenier, ich habe sie in Rom und Bilbao gesungen, und sie ist ja mit ihren prachtvollen Arien und den großen Duetten überaus dankbar. In meinen Augen ist diese Oper überhaupt ein Meisterwerk. Und außerdem gibt es Wiedersehen und Begegnungen, auf die ich mich freue. Frédéric Chaslin war schon der Dirigent, als ich vor mehr als 20 Jahren hier in den „Puritani“ debutiert habe, von Tatiana Serjan habe ich so viel Gutes gehört, dass ich mich sehr auf die Zusammenarbeit freue. Und Luca Salsi und ich haben überhaupt eine ganz lange Geschichte miteinander, das geht noch in unsere Belcanto-Zeiten zurück, als er im „Barbiere“ die Titelrolle sang und ich den Almaviva… Im übrigen sehe ich mir von Produktionen, in denen ich noch nicht gesungen habe, die Videos an, damit man sich voraus über das Szenische orientieren kann und nicht zu viel Zeit bei den Proben verliert.
Apropos „Barbiere“: Sie haben diese Oper im Sommer 2018 im Teatro la Fenice dirigiert. Und reihen sich damit unter Kollegen wie Placido Domingo, Peter Schreier, José Cura, die auch den Taktstock schwingen. Warum?
Vergessen Sie nicht Dmitry Korchak oder Giuseppe Sabbatini, die dirigieren auch – das scheint so eine Tenor-Sache zu sein, nicht wahr? „Barbiere“ war nicht mein erstes Auftreten als Operndirigent, ich habe schon 2011 beim Donizetti-Festival in Bergamo die „Maria di Rohan“ dirigiert – vergessen Sie nicht, ich bin als Chordirigent ausgebildet, ich mache das nicht als Hobby. Ich glaube, dass ich in meinen Jahrzehnten als Belcanto-Tenor so viel über die Schwierigkeiten, Tücken und Schönheiten dieser Art zu singen gelernt habe, dass ich das einfach an junge Sänger weitergeben will. Ich habe zu dem Thema wirklich viel zu sagen. Ob das eine „zweite Karriere“ nach dem Singen wird, daran denke ich im Moment noch nicht. Ich glaube auch nicht, dass ich einmal Gesangslehrer sein möchte, denn ich bin kein Techniker. Aber ich halte gerne Meisterklassen, denn was ich wirklich kann und will, ist junge Sänger zu coachen.
Überblickt man die Liste Ihrer Auftritte, eben noch Venedig und Madrid, jetzt Wien, dann Dallas und Monte Carlo, sehr viele Häuser in Spanien und Italien, denen Sie verbunden sind, auch Frankreich und Deutschland, hin- und herspringend zwischen Tokio und Sao Paulo – das ist eine klassische Opernsänger-Karriere. Wo bleibt da die Familie?
Ja, es ist wirklich schwer. Der Job als Opernsänger ist bei weitem nicht so glamourös, wie er von außen aussieht. Man arbeitet wie verrückt – und dann sitzt man allein in Hotelzimmern. Oder mit Kollegen zusammen und versucht, einander zu trösten, weil viele dieselben Probleme haben. Dabei ist für die meisten von uns die Familie am wichtigsten. Meine Frau war auch Sängerin, bevor sie sich dann entschlossen hat, nur noch die „Gattin des Tenors“ zu sein, aber auf diese Art weiß sie viel von meinem Beruf und hat Verständnis. Meine Tochter Isabella wird demnächst 17 und liebt noch Musicals. Wann immer es möglich ist, fahre ich nach Hause oder nehme meine Familie zu meinen Engagements mit – wie jetzt in Wien.
Lieber Herr Kunde, wir freuen uns auf Ihren Andrea Chenier und Radames und wünschen weiterhin viel Erfolg!