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GRAZ: TURANDOT. Premiere

19.01.2014 | KRITIKEN, Oper

GRAZ: TURANDOT . Premiere – am 18.1.2014
(Helmut Chrisian Mayer)

 „In questa reggia“ – Schon mit ihrer Auftrittsarie sorgt Mlada Khudoley am Grazer Opernhaus für Furore: Die schwierige Partie der  stolzen, „eisumgürteten“ Prinzessin mit wagnerischen Anforderungen und mit ihren tödlichen Rätseln werden von ihrem kraftvollen Sopran packend und mit allen Spitzentönen mühelos bewältigt. Aber auch ihre Pianokultur wie auch die Wandlung zur liebenden Frau ist ergreifend und glaubhaft. Aber auch sonst ist bei dieser „Turandot“ von Giacomo Puccini von einem hohen sängerischen Niveau zu berichten. Ihr liebenswertes Gegenstück ist beinahe der Idealfall einer Liù, der einzigen wirklich sympathischen Figur dieser Oper: Ergreifende Innigkeit zeigt Gal James bei einem der typischen fragilen Frauenporträts Puccinis. Nur hat man sie leider in ein schrecklich unförmiges Kostüm gesteckt. Auch der Tenor James Lee kann sich hören lassen: Der junge Südkoreaner singt den Calaf mit betörend schönem Schmelz und reißt das Publikum nach seiner makellos gesungenen Paradearie „Nessun dorma“ mit nicht endenwollenden Höhen zu spontanen, lautstarken Begeisterungsstürmen hin. Nur sollte er nicht so überzogen schmachten. Konstantin Sfiris hingegen ist ein grober und ungehobelter Timur.

Die drei Minister Ping, Pang und Pong sind bei den Ensemblekräften des Hauses mit Ivan Orescanin, Taylan Reinhard und Martin Fournier in den besten Händen. Ihre Szenen sind voll feiner (Selbst)Ironie und ideenreicher Agilität. Manuel von Senden singt den Kaiser Altoum tatsächlich wie einen uralten Mann. Kompakt klingt David McShane als Mandarin. Besonders zu erwähnen sind auch der durchschlagskräftige, ziemlich homogen singende Chor des Hauses (Einstudierung: Bernhard Schneider) und der Kinderchor des Opernhauses, die Singschul’ (Andrea Fournier), die fast immer mit dem Graben im Einklang sind.

Dort legt Domingo Hindoyan fallweise die Tempi recht breit an, sodass sich die Sänger nicht immer leicht tun. Aber dafür nimmt er, was die Dynamik betrifft, immer auf ihre Durchhörbarkeit und auf die feinen, subtilen Klangwirkungen wie auch auf die reichen Farben bedacht. Dabei hätte man sich trotzdem den einen oder anderen effektvolleren Akzent gewünscht. Die Steigerungen werden jedoch packend ausgelotet.

Dass bei  Marco Arturo Marelli die optische Ästhetik wichtig ist, weiß man. Auch diesmal ist der Regisseur und Bühnenbilder wieder seiner Linie und seinem Stil treu geblieben und hat einen blauen Einheitsraum mit chinesischen Bemalungen auf einer Seite, dessen Wirkung durch raffinierte Lichtstimmungen noch verstärkt wird,  kreiert. Dessen Wände und dessen Boden sind schief und veränderbar, wodurch immer wieder traumhafte Momente entstehen. Hier lässt er das gewöhnliche Volk, wie bei einer Opernaufführung auf nummerierten Theatersesseln in geschmackvoller Abendgarderobe (Kostüme: Dagmar Niefind-Marelli) Platz nehmen und das dargebotene Geschehen beobachten. Geboten werden atemberaubende Akrobatik,  spannende Rätselszenen aber auch Hinrichtungen der erfolglosen Bewerber der kalten Prinzessin. Mit bunten Kostümen und Masken sind die Minister Ping, Pang und Pong ausgestattet, die im 2. Akt in einem pathologischen Institut den letzten abgeschlagenen Kopf in ein mit Formalin gefülltes Gefäß geben und in die makabre Vitrinen-Galerie aller ehemaliger, erfolgloser Verehrer stellen. Calaf ist anfänglich Puccini selbst, der um den Abschluss seiner Oper ringt, denn bekanntlich hat es der Komponist nie geschafft, seine letzte Oper zu vervollständigen, möglicherweise, weil er nie eine befriedigende Lösung für den Schluss gefunden hat. Erst nach seinem Tod wurde der letzte Akt, das Schlussduett und das Finale, von seinen Schüler Franco Alfano nach Puccinis Skizzen vollendet. In dieser Form wird das Musikdrama heute üblicherweise aufgeführt, so auch am Grazer Opernhaus, eine Koproduktion mit dem Opernhaus in Stockholm, wo die Produktion schon letzten Februar gezeigt wurde. Nach Graz wandern die Bühnenbilder  nach Oslo.

Ein Highlight der Inszenierung ist zweifellos der geschmackvoll arrangierte, sehr einnehmende Mondchor mit einem durchscheinenden Tuch, auf dem Wolken und letztlich der riesige Mond aufgeht und wo dahinter Figuren mit großen Laternen vorbeiziehen. Zum Schluss gibt es dann noch eine Massenhochzeit, bei der der gesamte Chor wie auch Turandot nun in symbolhaftem, reinen Weiß und Calaf in Hochzeitgewändern samt Brautschleier auftreten.

All dies ist sorgsam durchdacht und fein gearbeitet, auch wenn es nicht die übliche beeindruckende, visuelle Ästhetik erzeugt, die man sonst von Marelli gewohnt ist.

Großer, uneingeschränkter Jubel!

Helmut Christian Mayer

 

 

 

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