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GRAZ / Stefaniensaal des Musikvereins: Mozarts DON GIOVANNI

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Vorne (von lnks nach rechts)Anastasia Michailidi (Donna Elvira), Niklas Mayer (Don Ottavio), Risa Matsushima (Donna Anna), dahinter Jongmin Kim (Leporello), Diana Alexe (Zerlina), Jinxin Chen (Don Giovanni) und Peter Dolinbsek (Masetto). Alle Fotos: Musikverein Graz / Michael Nemeth

GRAZ: Stefaniensaal des Musikvereins: Mozarts DON GIOVANNI

22. Feber 2021 (Premiere bzw. Aufzeichnung für späteres Streaming)

Von Manfred A. Schmid

Seit sechs Jahren kümmert sich Michael Nemeth, der Generalsekretär und Künstlerischer Leiter des Musikverein Graz, darum, dass der besonders für den Liedgesang hochgeschätzte Stefaniensaal mindestens einmal pro Jahr auch für ein musikdramatisches Projekt genützt wird. Begonnen hatte man zunächst mit der Aufführung von Kammeropern. Bei der ersten Premiere – Rossinis Il Signor Bruschino – stand u.a. die damals noch weitgehend unbekannte Olga Peretyatko auf der Bühne. In den letzten Saisonen wurde die Zielsetzung, bei diesen Produktionen vor allem jungen Sängerinnen, Sängern und Orchestermusikern die Möglichkeit zu bieten, in szenischen Aufführungen wichtige Erfahrungen zu sammeln und zu reifen, noch weiter ausgebaut. In Zusammenarbeit mit der MozartOPER.Wien, der Angelika-Prokopp-Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, der MUK Privatuniversität der Stadt Wien und dem Musikverein für Steiermark wurde für vergangenen Herbst die Realisierung von Mozarts Don Giovanni angepeilt. Eine künstlerische Herausforderung von Format. Rund 140 junge Studierende aus aller Welt wurden eingeladen sich dafür zu bewerben. Acht vielversprechende Talente wurden ausgewählt. Corona bedingt konnte das Projekt allerdings erst jetzt – als Aufzeichnung für ein späteres Online-Streaming – einer kleinen Besucherschar vorgestellt werden. Schön, dass man gerade jungen Künstlern, allen Widrigkeiten zum Trotz, die Chance bietet, sich zu bewähren: „Die Wiener Staatsoper,“ war tags zuvor im Abspann der Liveübertragung der Carmen im ORF zu lesen, „die Wiener Staatsoper spielt für Österreich.“ Graz – so könnte man sagen – spielt für die Zukunft!

Den Bühnenraum bilden zwei parallele Querstreifen in der Mitte des leergeräumten Saales, die durch einen Steg verbunden sind. Links und rechts des Steges ist das Orchester untergebracht. Die Bühne für die Sänger ist zwar etwas erhöht, dennoch befinden sich die Akteure wie auch die Musiker fast auf Augenhöhe. Die nicht leichte Aufgabe, hier die rechte Balance zwischen Gesang und Orchester zu finden, wird von Andreas Alessandrini, dem Leiter der musikalischen Aufführung, der auch die Rezitative selbst begleitet, geschickt gemeistert. Unterstützt wird er dabei von einem feinen Klangkörper, der sich aus Absolventen der Angelika-Prokopp-Sommerakademie der Wiener Philharmoniker zusammensetzt. Sie beweisen durch ihr Zusammenspiel, dass das Ziel der Sommersakademie, die Klangkultur der Wiener Philharmoniker und den Wiener Klangstil an die junge Generation weiterzugeben, kein leeres Wunschdenken ist, sondern schöne Früchte trägt. Und das nicht zum ersten Mal, sondern in Kontinuität: Sie sind schon seit 2016 in Graz dabei und haben so ihren Wiener Mozartstil in halbszenischen Aufführungen von Cosi fan tutte, Le Nozze di Figaro, La Clemenza di Tito und La Finta giardiniera erarbeiten und weiter festigen können. Nur in wenigen Momenten vermeint man zu starken Blech-Einsatz zu vernehmen. Nicht unerwähnt sei, dass die sechs Holzbläser allesamt Holzbläserinnen sind.

Die Regie von Wolfgang Gratschmaier und Stephanie Schimmer legt ihr Augenmerk offensichtlich auf eine präzise Personenführung und akzentuiert dabei vor allem das turbulente erotische Geschehen. Mozart hat seine Oper, nach einem Libretto von Lorenzo da Ponte, bekanntlich als „Dramma giocoso“ bezeichnet. Im vorliegenden Fall ist es vor allem der im Begriff „giocoso“ enthaltene Fun-Faktor, der vorherrscht. Die tragischen Aspekte sind weniger stark herausgearbeitet. Auch die abschließende Höllenfahrt des Titelhelden geschieht nicht ohne Komik, was auch daran liegt, dass der Komtur rotgewandet auftritt und so eher als Teufel in Erscheinung und nicht als mahnend nach Vergeltung sinnender Vater einer entehrten Tochter. Die Handlung vollzieht sich dennoch zügig und abwechslungsreich, was – neben der Choreographie von Wolfgang Hurler – vor allem am exzellent motivierten Ensemble liegt, das sich zu Beginn der beiden Akte jeweils mit kurzen gruppendynamischen Übungen fit macht.

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Das Gesangsensemble

Der chinesische Tenor Jinxin Chen, der trotz seiner Jugend schon ein beachtliches Mozart- und Händel-Repertoire erarbeitet hat, verleiht mit seinem modulationsfähigen Bariton der Titelpartie eine starke, auch stimmstarke persönliche Note. Die Donna Anna ist eine perfekte Rolle für die aus Tokio stammende Risa Matsushima. Die anspruchsvolle Rachearie gelingt ihr überzeugend, aber auch in den wehmütig, leisen Stellen nimmt sich ihr heller, warmer Sopran sehr expressiv aus.  Eine paar gelegentlich vernehmbare schärfere Spitzentöne sind noch abzurunden, und einer beachtlichen Karriere steht nichts mehr im Wege.

Der deutsche Tenor Niklas Mayer hat als Don Ottavio einen feinen lyrischen Tenor vorzuweisen, der in allen Stimmlagen sehr ausgewogen klingt und auch Schmelz aufzuweisen hat. Als Donna Elvira tritt die in Moskau geborene Sopranistin Anastasia Michailidi darstellerisch mit großer Bühnenpräsenz in Erscheinung. Sie ist allerdings als indisponiert angekündigt und muss sich in einigen Arien dementsprechend schone. Was man aber von ihr zu hören bekommt, zeigt, warum sie nicht ohne Grund  bereits in der Grazer La Finta giardiniera 2019 positiv aufgefallen ist und wieder eingeladen wurde. Und: Keine Bange, für die Aufzeichnung der Produktion sind noch zwei weitere Tage anberaumt. Diese Elvira wird sich gewiss noch voll einbringen können.

Der Bariton Jongmin Kim, der in seinem Heimatland Südkorea ein Gesangsstudium absolviert hat und derzeit Musikdramatische Darstellung an der Musikuniversität Wien studiert, ist als übermütiger Leporello ein guter Diener und Nacheiferer seines Herrn. Die Registerarie hätte freilich etwas mehr Pep vertragen können. Aus Deutschland kommt der Bass Alexander Fritze, der die herausfordernde Partie des Il Commendatore mit Anstand bewältigt. Seine Stimme tendiert wohl eher in Richtung Bassbariton. Kein Wunder daher, dass er eben erst ein Vorsingen in der Schweiz als Leporello gewonnen hat.

Für die komische Note in dieser ohnehin eher heiter angelegten Inszenierung sorgen Diana Alexe als Zerlina und Peter Dolinsek als Masetto. Die gebürtige Rumänin Alexe ist eine quirlige, darstellerisch höchst ausdrucksstarke und auch gesanglich hervorragende Besetzung für die Zerlina, die in ihrem frivolen Flirt mit dem Grafen bis an die Grenzen geht. Peter Dolinsek, aus Slowenien gebürtig, verleiht dem behäbigen Bauernburschen Masetto die gebotene Drolligkeit und stimmliche Grundierung-

Eine beachtliche Leistung, was man hier in Graz, inmitten widriger Umstände, auf die Bühne gebracht hat. Und ein ermutigendes Signal: Der Kulturbetrieb lässt sich auf Dauer weder entmutigen noch verbieten. Erfindungsreich, couragiert und engagiert arbeiten kreative Persönlichkeiten, Institutionen und Förderer an Wegen, das „Werkel“ irgendwie wieder zum Gehen zu bringen. Große Namen helfen dabei gewiss, wie Graz im Sommer mit dem überraschend angekündigten Fidelio mit Bryn Terfel im Schlossberg bestätigt hat. Aber in eben diesem Graz wird gerade vorgeführt, dass man dabei vor allem auf den Nachwuchs, auf die noch nicht so Bekannten, keinesfalls vergessen werden darf.

 

 

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