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Graz/Opernhaus: „Sag’ beim Abschied leise Servus“ – . Abschlusskonzert der Intendanz von Nora Schmid)

Graz: „Sag’ beim Abschied leise Servus“ –  Opernhaus, 24.6.2023

(Abschlusskonzert der Intendanz von Nora Schmid)

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Foto: Fotowerk Werner Kmetitsch

 Nachdem ich in den letzten acht Jahren sämtliche Opern-, Operetten- und Musicalproduktionen an der Grazer Oper gesehen habe, war es für mich auch eine Selbstverständlichkeit zur großen Abschlussgala anzureisen. Am Vorabend hatte ich Gelegenheit, die sensationelle Produktion von Nino Rotas „Der Florentiner Hut“ noch einmal sehen zu können. Mir hat die letzte Aufführung dieser Oper sogar noch besser gefallen als die Premiere (siehe mein Premierenbericht: https://onlinemerker.com/graz-opernhaus-der-florentiner-hut-von-nino-rota-premiere/). In der Zwischenzeit hat es ein Foto dieser Aufführung sogar auf das Cover der Zeitschrift „Opernwelt“ geschafft. Meiner Meinung nach würde diese Produktion das Prädikat „Opernaufführung des Jahres verdienen.

Doch nun zurück zur großen Abschlussgala. Wer Nora Schmid in den letzten Jahren ein wenig kennengelernt hat, der hat schon vermutet, dass diese Veranstaltung keineswegs ein Konzert in herkömmlicher Art sein wird. Die ebenfalls scheidende Ballettdirektorin Beate Vollack hat im großartigen Bühnenbild der Erfolgsproduktion von Jaromir Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ eine umwerfende Show inszeniert/choreographiert. Ausschnitte aus ausgewählten Produktionen der letzten acht Jahre, in denen Nora Schmid und ihr Team das Grazer Opernhaus auf ein künstlerisches Höchstniveau gehoben haben, wurden in dieses regieliche Gesamtkonzept eingebettet.

Chefdirigent Roland Kluttig und die grandios aufspielenden Grazer Philharmoniker bewiesen wieder einmal ihre unglaubliche Vielfältigkeit. Eröffnet wurde mit der Ouvertüre zu Bernsteins „Candide“, zu der im Schnelldurchlauf Fotos aus den Produktionen der letzten acht Jahre gezeigt wurden.  

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Foto: Fotowerk Werner Kmetitsch

Mit dem Couplet des Orlofsky aus der „Fledermaus“ („Ich lade gern mir Gäste ein“), gesungen von Mareike Jankowski, begann dieses szenische Konzert dann so richtig. Nora Schmid hat es sich nicht nehmen lassen, diesen Abschiedsabend selbst zu moderieren. Sie tat dies, z.T. auch in Kostümen aus Erfolgsproduktionen (als Glamourgirl, als Pinguin oder im Wolkenwagen über die Bühne schwebend), mit jener charmanten Professionalität, mit der sie auch immer die Dankesreden bei den Premierenfeiern gehalten hat, zu der übrigens immer das gesamte Premierenpublikum eingeladen wurde (da kann sich der amtierende Staatsoperndirektor ein Beispiel nehmen!).

Bereits ihrer Einstandspremiere im September 2015 war ein sensationeller Erfolg beschieden: „Der ferne Klang“ von Franz Schreker, dessen Opern man seit mehr als 30 Jahren vergeblich auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper sucht. Markus Butter erinnerte mit der Ballade des Grafen an diese Erfolgsproduktion. 

Mit dem „Regina coeli“ aus „Cavalleria rusticana“ haben der Chor und der Extrachor der Oper Graz eindrucksvoll bewiesen, dass sie zu den besten Opernchören gehören. Mit innigem Ausdruck sang Mareike Jankowski die Santuzza.

Mit klangvollem Tenor und starkem Ausdruck begeisterte Aldo di Toro mit der Arie des Canio aus „Pagliacci“ („Vesti la giubba“) und schlug damit seinen Tenorkollegen, der diese Partie derzeit an der Wiener Staatsoper singt, um Längen.

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Foto: Fotowerk Werner Kmetitsch

Was Nora Schmid wohl auch auszeichnet, ist die Tatsache, dass sie jedem Mitarbeiter Achtung und Respekt entgegenbringt. So war es auch eine wunderschöne Geste von ihr, dass sie zu den Klängen der Zwischenaktmusik aus dem 1. Akt der Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ sämtliche Mitarbeiter, die hinter der Bühne, in den Werkstätten oder im Büro arbeiten und die das Opernpublikum normalerweise nicht oder nur selten zu sehen bekommt, in einem wirklich komischen Videofilm präsentierte.

Mit einem witzig inszenierten Sextett aus „Don Giovanni“ („Sola, sola in buoi loco“) haben Tetiana Miyus (Donna Anna), Mario Lerchenberger (Don Ottavio), Anna Brull (Donna Elvira), Neven Crnić (Leporello), Daeho Kim (Masetto) und Sieglinde Feldhofer (Zerlina) den Beweis erbracht, über welch herrliches Mozart-Ensemble die Grazer Oper verfügt.

Der nächste Opernausschnitt erinnerte an die großartige, preisgekrönte Produktion von Bohuslav Martinůs „Die griechische Passion“. Als Nora Schmid dieses Werk, in dem es u.a. auch um die Flüchtlingsproblematik geht, auf den Spielplan gesetzt hat, konnte sie nicht wissen, dass die Wirklichkeit sie einholen wird. Als diese Produktion zur Premiere kam, wurde (nicht nur) Österreich von einer großen Flüchtlingswelle überrollt und so erhielt diese Aufführung eine ungeahnte Aktualität. In der Szene „Lord! Lord!“ sangen Mareike Jankowski die Katarina, Markus Butter den Fotis, Matthias Koziorowski den Manolios, Martin Fournier den Michelis und Wilfried Zelinka den alten Mann (sowie die Stimme hinter der Bühne).

Aber auch einige Sänger, die von Graz aus internationale Karriere gemacht haben, kamen extra für diesen Galaabend noch einmal nach Graz zurück. Wie z.B. Aurelia Florian, die mit „Son giunta! … Madre, pietosa vergine“ an ihren großen Erfolg in der Premiere von Verdis „Die Macht des Schicksals“ im Oktober 2021 erinnerte. Oder der Tenor Pavel Petrov, der von Graz aus die großen Opernhäuser der Welt von Paris bis Chicago eroberte. Er sang die Arie des Lenski aus „Eugen Onegin“ und die Arie des Edgardo aus „Lucia di Lammermoor“. Mit beiden Partien hatte er an der Grazer Oper glänzende Erfolge gefeiert.

Einer der Höhepunkte in der Ära Nora Schmid war die Wiederentdeckung der Operette „Polnische Hochzeit“ des jüdischen Komponisten Joseph Beer, der zwar den Holocaust überlebt hat, aber dafür gänzlich in Vergessenheit geriet. In der Zwischenzeit wird das Werk auch von anderen Bühnen nachgespielt, nur die Wiener Volksoper verschläft wieder einmal ein wirklich wichtiges Werk des Genres Operette. Mareike Jankowski und Ivan Oreščanin brachten, wie schon  in der Premiere im Dezember 2018, mit dem Duett „Katzenaugen“ das Publikum zum Toben.

Nicht weniger stürmischen Applaus erntete die spanische Mezzosopranistin Anna Brull für „Yo soy Maria“ aus der Tango-Operita „Maria de Buenos Aires“ von Astor Piazzolla.

In der schmissigen „Havanna“-Szene aus dem Musical „Guys and Dolls“ brillierten nicht nur Corina Koller und Ivan Oreščanin, sondern auch das Ballett der Oper Graz.

Nach der Pause folgte zunächst der Beginn des 1. Aktes der Oper „König Roger“ von Karol Szymanowski mit Wilfried Zelinka und Markus Murke.

Nach der bereits erwähnten Arie des Edgardo aus „Lucia di Lammermoor“ folgte die Arie „Chi il bel sogno di Doretta“ aus Puccinis „La Rondine“, betörend schön vorgetragen von Tetiana Miyus.

Mit einem witzig choreographierten Reise- & Buchstabenballett aus „Cinderella“ von Prokofjew verabschiedete sich auch die Ballettschule der Oper Graz von Nora Schmid.

Und noch einmal bewies das Ensemble seine hohe Kompetenz in Sachen Mozartgesang, diesmal mit dem Finale des 2. Aktes aus „Die Hochzeit des Figaro“: Dariusz Perczak als Graf Almaviva, Corina Koller als Gräfin, Tetiana Miyus als Susanna, Neven Crnić als Figaro, Mareike Jankowski als Marcellina, Wilfried Zelinka als Bartolo und Martin Fournier als Basilio.

Mit dem Flaschentanz aus dem Musical „Anatevka“ konnte das Ballett der Oper Graz noch einmal brillieren, das Hochzeitspaar wurde von Sieglinde Feldhofer und Matthias Koziorowski gesungen.

Unvergesslich ist auch die Premiere der Operette „Clivia“ von Nico Dostal am 30. Oktober 2021. Dem neu engagierten Tenor Matthias Koziorowski riss bei seinem ersten Auftritt die Achillessehne. Humpelnd (und wahrscheinlich mit Riesenschmerzen) sang er dennoch die Vorstellung zu Ende, bevor er sich ins Krankenhaus begab. Das Duett „Liebe ist kein Spiel“ vereinte noch einmal – aber diesmal hoffentlich ohne Schmerzen – Matthias Koziorowski und die bezaubernde Sieglinde Feldhofer.

Nachdem Ballett und Chor der Oper Graz mit dem „Ungewitter“ aus Joseph Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“ (in einer Ballettversion) eindrucksvoll die Naturgewalten vermittelten, langte man zum Schluss bei Richard Wagner an.

Zuerst sang – stimmschön wie in der Premiere im April 2022 – Mario Lerchenberger das Lied des Steuermanns aus „Der fliegende Holländer“. Und zum Schluss gab es noch den Walkürenritt mit Corina Koller (Gerhilde), Sieglinde Feldhofer (Ortlinde), Mareike Jankowski (Waltraute), Marijana Nikolić (Schwertleite), Tetiana Miyus (Helmwige), Andżelika Wiśniewska (Siegrune), Neira Muhić (Grimgerde) und Anna Brull (Rossweiße). Wie ich bereits damals bei der Grazer Erstaufführung der Loriot-Fassung des „Ring an einem Abend“ festgestellt habe: so stimmschön wie hier hört man den Walkürenritt auch an ersten Opernhäusern nur selten.

Als Zugabe gab es noch einen Song von ABBA: angeführt von Sieglinde Feldhofer sang das gesamte Ensemble „Thank You for the Music!“

Der Jubel wollte nicht enden. Als Ivan Oreščanin „Sag‘ beim Abschied leise Servus“ von Peter Kreuder angestimmt hat, sangen nicht nur auf der Bühne alle mit – auch einige Zuschauer. Und die in der Pause aufgelegten Tücher mit der vielfach aufgedruckten Zahl 8 wurden nicht nur zum Winken verwendet. So mancher Besucher (und wohl auch so mancher Mitwirkende) wird damit auch die eine oder andere Träne abgewischt haben.

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Foto: Fotowerk Werner Kmetitsch

Aber auch damit war alles noch nicht zu Ende. Das Ensemble brachte der scheidenden Intendantin noch ein Ständchen auf der Feststiege dar, wobei Wilfried Zelinka Nora Schmid auf seinen Händen die Treppe hinauftrug. Gefeiert wurde bis spät nach Mitternacht im ganzen Haus. Man kann bereits jetzt sagen, dass die Ära von Nora Schmid eine „Goldene Ära“ an der Oper Graz war. Und für Ihre zukünftige Tätigkeit an der Semperoper Dresden kann man ihr und ihrem Team nur toi, toi, toi wünschen.

Walter Nowotny

P.S.: Zur Erinnerung an die achtjährige Intendanz von Nora Schmid wurde ein Buch aufgelegt, das die vollständigen Besetzungslisten sämtlicher Produktionen mit vielen schönen Fotos enthält und an Interessenten gratis abgegeben wird.

 

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