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GRAZ / Oper: Mozarts LE NOZZE DI FIGARO – Wiederaufnahme

Ein toller Tag - eine tolle Aufführung - ein tolles Ensemble

figaro ensemble

Im Zentrum Graf Almaviva (Dariusz Perczak), Figaro (Neven Crnic), Susanna (Tetiana Miyus) und Ensemble. Alle Fotos: Oper Graz / Werner Kmetitsch

GRAZ / Oper: Wiederaufnahme von Mozarts LE NOZZE DI FIGARO

30. Mai 2021

Von Manfred A. Schmid

Die Inszenierung Maximilian von Mayenburgs, 2017/18 vom Publikum geliebt und von der Kritik einhellig gelobt, hat eine Wiederaufnahme (szenische Einstudierung Florian Kutej) mehr als verdient. Unter den vielen Produktionen von Le nozze di Figaro, die in den letzten Jahren an verschiedensten Häusern zu sehen waren, sticht diese als die vermutlich unterhaltsamste hervor. Selten vergehen drei Stunden tatsächlich so wie im Fluge, selten hat man so viel Anlass zum Schmunzeln. Stellenweise muss sogar lauthals gelacht werden. Gehört sich das überhaupt in einem Opernhaus? Natürlich! Besonders dann, wenn es sich um eine Opera buffa handelt, noch dazu um die wohl trefflichste der gesamten Opernliteratur, was neben der Musik Mozarts auch dem kongenialen Libretto von Lorenzo da Ponte sowie der köstlichen Vorlage Molieres geschuldet ist.

Was hier geboten wird, ist eine gelungene Mischung aus heiteren Momenten und tragischen Abgründen. Und das ist das Geheimnis wahrer Komik. Gerade hat man sich noch über die urkomische Reaktion auf die Aufdeckung der wahren Abstammung Figaros erheitert – das immer wieder verwundert, überrascht, ungläubig und verstört wiederholte „sua madre…!?“ und „sua padre…!!?“, schon hört man die melancholische Klage „E Susanna non vien! … Dove sono i bei momenti“ der Gräfin Almaviva, in der sie die Untreue ihres Gatten thematisiert und dennoch ihre Liebe zu ihm bekräftigt.

Mayenburg setzt komische Akzente, doch er vermeidet den Fehler, den Fortgang der ohnehin turbulenten Handlung mit Gags zu überfrachten. Indem er sie gekonnt und sparsam einsetzt, entfalten sie ihre Wirkung. Als etwa der Graf versucht, sich gewaltsam Zutritt in einen Raum zu verschaffen, in dem er einen Nebenbuhler vermutet, nachdem er darin das Rauschen einer Klospülung vernommen hat, rückt er mit einer Motorsäge an. Als Figaro der Aufforderung nachkommt, seinen Vater Don Bartolo zu umarmen, überreicht ihm dieser einen Teddybären aus seiner Kindheit, den er aus einem Koffer hervorkramt. Dem Teddy wird in der Hektik der Vorgänge der alsbald Kopf abgerissen, von Bartolo aber an Ort und Stelle wieder angenäht. Als sich anschließend die Mitglieder der unvermutet wieder zusammengefundenen Familie einander bei der Hand nehmen, gehört auch der Teddy, mit weißem Notverband um den Hals geschlungen, dazu.

Die Bühne von Stephan Prattes stellt einen verspielt und irgendwie merkwürdig anmutenden weißen Palast – mit geschwungenen Treppchen und Türmchen – in den Mittelpunkt. Er wirkt wie ein aus bei IKEA erstandenen Modulen – überall im Raum stehen riesige Kartons herum – zusammengebautes Gebäude. Unecht und vermutlich nur aus Plastik: Playmobil-Architektur mit Rokoko-Touch. Wie selbstverständlich steht im Eingangsbereich ein moderner Kühlschrank: Die Zeit ist aus den Fugen geraten, die Autorität des rücksichtlosen Grafen, dem, wie mehrmals zu sehen ist, die Anliegen seiner ausgebeuteten Dienerschaft und der hungernden Bevölkerung ewgal sind – einmal wirft er der bettelnden Menge, ihr den Rücken zugewandt, Brotkrümel über die Schultern zu – wird nicht mehr anerkannt. Im Laufe der vier Akte fehlen am Gebäude, fast unmerklich noch, bereits einzelne Elemente. Der Palast zerbröckelt wie die Zeit, in der die Handlung angesiedelt ist. Am Schluss, beim vermutlich ziemlich verlogenen Happyend, nachdem die Eiersucht der Männer von den Frauen ad absurdum geführt worden ist und vorübergehend wieder Eintracht herrscht, tauchen hinter dem Grafen urplötzlich Leute mit Jakobinermützen (Köstüme Gabriele Jaenecken) auf. Das Ende naht. Der fein balancierten Regie Mayenburgs ist es aber zu verdanken, dass dieser politische und gesellschaftliche Hintergrund von Molieres Der tollste Tag zwar sichtbar gemacht wird, aber nicht in den Vordergrund rückt und so den Buffocharakter der Handlung nicht unterminiert. Wie ihm das gelingt, ist geradezu geheimnisvoll. Vermutlich ist es das Augenzwinkern, mit dem er an diese komplexen Zusammenhänge, mit leichter, kundiger Hand und viel Gespür, herangeht.

Auch musikalisch hat die Aufführung viel Erfreuliches zu bieten. Markus Merkel ist ein souveräner Dirigent, der die magische, geistvolle Partitur zu wirkungsmächtiger Entfaltung bringt und selbst einfühlsam und fein akzentuierend am Hammerklavier tätig ist. Die Grazer Philharmoniker blühen bei Mozart unter seiner Leitung richtig auf. Von der vierten Reihe aus, im wunderbaren Grazer Opernhaus, kann man sehen, wie hier im Orchestergraben vollkonzentriert und mit großer Freude und Spiellaune ans Werk gegangen wird. Wollte man eine Instrumentalgruppe besonders hervorheben, könnte man die stimmsicheren Hornisten erwähnen.

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Das Bild zeigt, wer hier die Fäden zieht. Susanne (Tetiana Miyus) und Figaro (Neven Crnic)

Die drei Paare im Mittelpunkt der Handlung sind sehr gut besetzt. Neven Crnic ist mit seinem kraftvollen, wandlungsfähigen Bariton ein wendiger, stets präsenter Figaro, Tetiana Miyus stimmlich und darstellerisch eine wahre Ohren- und Augenweide. Quirlig, entzückend, hellwach und mit einem frischen, anmutigen Sopran ausgestattet. Es ist in Wahrheit wohl sie, die hier im Hintergrund  die Fäden zieht, und nicht, wie sonst, ihr Bräutigam, der von ihr geschickt manipuliert wird, wie in einer Szene, wo sie ihn, tatsächlich mit an seinen Armen angelegten Fäden, wie eine Marionette steuert.

Dem nicht gerade sympathischen, egoistischen und gegenüber den realen Verhältnissen verblendeten Graf Almaviva verleiht Dariusz Perczak ein eigenes Profil an der Kippe zwischen Pose und Lächerlichkeit. Er ist nicht nur ein egoistischer, geiler Mann, sondern auch nicht besonders klug. Er ist es, der vom Lauf der Geschichte nichts mitbekommt, von den Geschehnissen letztlich überrannt wird und dann erstaunt fragen wird: „Ja dürfen S‘ denn das?“ In manchen Ensembleszenen – z.B. am Ende des 2. Aktes – nimmt er seinen sonoren Bariton zu sehr zurück, aber das lässt sich leicht ändern. Das nötige Material dazu hat er jedenfalls. Die lyrische Sopranistin Sonja Saric ist eine würdige Gräfin, Noblesse und Feinfühligkeit ausstrahlend. Wenn sie mit der ihre Stimmungslage beschwörenden Auftrittsarie „Porgi, amor, qualche ristoro“ im 2. Akt erstmals die Bühne betritt, hat sie, in der Höhenlage mit zartestem Pianissimo aufwartend, alle Sympathien auf ihrer Seite.

Mit Antonia Cosmina Stancu wird ein von der gewohnten Besetzungspraxis etwas abweichender Cherubino aufgeboten. Gerade dieser Überraschungseffekt eines pummeligen, unschuldsvoll naiven Unruhestifters sorgt aber für zusätzliche Aufmerksamkeit und komische Effekte. Stimmlich bewährt sich die junge rumänische Mezzosopranistin bestens.

Das ebenfalls für komödiantische Abwechslung zuständige Paar Marcellina und Bartolo ist mit dem bewährten Sänger/Darsteller Wilfried Zelinka und der überaus bühnenpräsenten Mezzosopranistin Mareike Jankowski luxuriös besetzt. Eine wahres Gustostück ist der Tenor Mario Lerchenberger, der den Musiklehrer Basilio als perfekte, bis in die Haarspitzen und Handhaltung fein einstudierte Parodie der Kabarettistin Lisa Eckhart in Erscheinung treten lässt. Chapeau!

Paulina Tuzinska erfüllt als Barbarina mit ihrer Cavatine von der Suche nach der verlorenen Nadel alle die diesem Auftritt verbundenen Erwartungen, Albert Memeti ist der gewohnt schusselige und stotternde Advokat Don Curzio, David McShane ein kurioser, schon etwas klapprig gewordener Gärtner Antonio.

Fazit: Graz ist immer eine Reise wert. Und wenn gerade wieder einmal  Mozarts Nozze auf den Programm der Grazer Oper stehen sollte, ganz besonders.

 

 

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