Peter Kellner (Figaro), Tetiana Miyus. Copytight: Werner Kmetisch
Graz: „Le nozze di Figaro“ – 18.3.2018 – Ein Mozart‘sches Gesamtkunstwerk
Eine derart musikalische Inszenierng muss man erst einmal suchen! Wo man sie sonst noch findet, kann ich nicht zuverlässig sagen, denn es gibt weltweit hunderte Aufführungen der Mozart-Oper. Nachdem bereits unser Mitarbeiter Walter Nowotny begeistert über die Premiere (2.11.2017) berichtet hatte, steuerte ich nun zum Kennenlernen der Produktion eine Vorstellung an, für die Sieglinde Feldhofer, für mich ein echter Star der Grazer Oper, als Susanna angesetzt war. Aber sie musste in der Wiener Volksoper im „Opernball“ einspringen, um die Vorstellung zu retten, sodass in Graz wieder die Premierensängerin zum Einsatz kam. Auch andere interessante Alternativen waren im EInssatz. Zu den Sängern sei vorweg gesagt, dass sie stimmlich alle gut waren, teilweise noch mit Entwicklungspotential, wie es sich für „Provinz“-Bühnen ziemt, aber jeder einzeln und alle zusammen ein derartiges Feuerwerk an Spielleidenschaft und perfekter Rollenzeichnung abbrennen ließen, dass ich aus dem Staunen und Supervergnügen 3 ¼ Stunden lang nicht herauskam. Dem heimischen Publikum ging es sichtlich und hörbar genau so. Es herrschte eine äußerst positive Stimmung im Haus.
Solch ein Erfolg ist nicht von szenischer, sängerischer oder musikalischer Seite allein zu erzielen, sondern nur, wenn alles zusammenstimmt. Obwohl ich sicher nicht als einzige Opernfreundin illustrierten Ouvertüren eher skeptisch gegenüber stehe, machte es Spaß, die Vorbereitungen für den „tollen Tag“ ablaufen zu sehen, die sich der Regisseur Maximilian von Mayenburg hat einfallen lasse, vom Hahnenschrei um 6 Uhr früh, über die Avancen des Conte Almaviva an die ihn bekleidenden Dienstmädchen bis zu Figaros Kistentransport zur künftigen Wohnstelle …Wunderbar, dass sich dabei die Bühne drehte (wie unzählige Male an diesem Abend) und nah und nach alle Räumlichkeiten des gräflichen Schlosses zeigte…Aber das eigentliche „Wunder“ ging von zwei Instanzen aus, die perfekt harmonierten, dem Dirigenten und dem offenbar grundmusikalischen Regisseur. Bei ersterem wunderte es mich nicht wenig, denn Marcus Merkel hatte nicht die Premiere geleitet, da er aber ohne Partitur vor Augen das musikalische Geschehen souverän steuerte, war ihm die Bühne offenbar genauso wichtig wie das klangliche Ergebnis aus dem Graben. Ich würde sagen: es war alles in allem eine gegenseitige Handreichung, nicht nur von Szene zu Szene, sondern von Phrase zu Phrase, zwischen Wort und Ton, Schritt für Schritt und Gesicht zu Gesicht. Es wurde alles gleichsam greifbar, was Mozart und da Ponte in ihr Meisterwerk hineingezaubert haben. Und sogar, dass im Hintergrund die Französische Revolution droht, während der Herr Graf seinen sexuellen Gelüsten nachgeht, die kleine Barbarina ihren Cherubino findet und die klugen Damen samt dem klugen Figaro am Ende die Welt noch einmal zurecht zu biegen versuchen, als schon Mord und Tod im Hintergrund drohen und den sich allmächtig dünkenden Conte in Schreck versetzen.
Marcus Merkel macht aus der Ouvertüre kein Prestissimo, das ja von Mozart auch nicht vorgesehen ist. Der erste presto/pp Takt gibt das Wesentliche vor: Streicher und Fagott amüsieren sich, geheime Umtriebe sind in Vorbereitung, Spiel im Spiel. Nach entscheidenden Einsätzen weiß Merkel genau, wo er laufen lassen kann. Das beherrscht er perfekt. Aber auch, wie Spannung zu erzielen ist, wie man Generalpausen hiezu einsetzt, wie die vom Hammerklavier begleiteten Rezitative vor allem den verbalen Mitteilungen oder dem Fortgang der Handlung dienen, aber doch auch emotional Interesse erwecken. Ein steter Wechsel, wie natürlich von Mozart vorgesehen, zwischen markanten Aussagen (seitens der Bühne, textlich und gesanglich) und Hingabe an große Gefühle befriedigt Geist und Seele. Vor allem aber beglückte mich, dass der Orchesterklang – ein großes Lob auch dem Grazer Philharmonischen Orchester! – immer rund und schön sein durfte, vom ersten bis zum letzten Takt der Oper. Das ist und bleibt die Basis für Mozarts Erfolge seit Anbeginn. Trotz der „Gesellschaftkritik“, die er zeitlebens übte, und der Zeichnung keineswegs nur positiver Charaktere. Er war, wie auch Lorenzo da Ponte, ein Theatermensch. Und wenn es seine gegenwärtigen Interpreten – im ästhetischen Rahmen – auch sind, dann stimmt eben alles.
Als Graf Almaviva kam, nach Ausfall zweier weiterer Hausbesetzungen, ein Einspringer aus dem Ensemble zum Zug: Ivan Oreščanin. Er machte gute Figur und fügte sich bestens ins Gesamtgeschehen ein. Seinem Bariton würde man noch mehr Sonorität in der Tiefe wünschen und für die große Arie einen Zuwachs an Stimmkraft. Der einzige vorgesehene Titelrollensänger, Peter Kellner, ist ein reiner lyrischer Bariton, den er sehr pointiert einsetzt. Auch da wäre, und sei es nur für Stellen wie „Tutto a tranqillo e placido“ (4.Akt) ewas mehr Tiefenpotential erwünscht. Aber den raffinierten, lausbübischen Drahtzieher glaubt man ihm allemal. Einen echten Bass brachte der Einspringer von der Wiener Volksoper, Yasushi Hirano, für den Dr. Bartolo mit.
Die Damenbesetzung zeichnete sich generell durch die unterschiedlichen Naturelle der Sängerinnen bzw. deren spezifische Charakterisierung ihrer Rollen aus. Schlau und regsam, mit klarem. hellem, beweglichem jungem Sopran, erfreute Tetiana Miyus als Susanna. Eine gereifte große Lyrische mit sehr schönem Sopran: Sonja Šarić als würdige und kluge Gräfin. Figaros Eltern: Die Chinesin Yuan Zhang, aufgemascherlt im silberglitzernden Gewand als jugendliche eheliche Aspirantin auf ihren (erst spät wiedererkannten) Sohn: köstlich anzuschauen und mit hübschem Mezzo, vom japanischen „padre“ im Spiel bestens unterstützt. Ein wahres Miststück als lebenssprühender Cherubino mit „bella voce“ : Anna Brull. Der langjährige Ex-Dresdner „Charaktertenor“ der Grazer Oper, Manuel von Senden, war mit seiner angenehmen Stimme und deren prägnantem Einsatz die geforderte zwiespältige Figur als Don Basilio, dem sich mit aufhorchen lassendem jungem lyrischem Tenor Albert Memeti als stotternder Don Curzio zugesellte. Den besoffenen Gärtner Antonio ließ David McShae lebendig werden und als wahre Charmebombe mit bezauberndem Sopran empfahl sich sein Bühnentöchterchen (aus Thailand) Lalit Worathepnitinan für weitere lohnende Aufgaben am Haus.
Was die Details des herzerfrischenden Bühnengeschehens im freundlichen Ambiente betrifft (in Stephan Prattens Szenerie) mit den originellen Kostümen (Gabriele Jaenecke), der trefflichen Beleuchtung (Michael Grundner), die alles Wesentliche hervorhebt und alles Unwesentliche im Dunkeln lässt, kann ich mich nur dem Rat des Premierenberichterstatters anschließen: Unbedingt anschauen! Keine noch so detaillierte Beschreibung kann das Original ersetzen…
Sieglinde Pfabigan
PS: Inzwischen habe ich über das Grazer Pressebüro auf meine Frage, wieviel Mozart Marcus Merkel schon dirigiert habe und welche Vorbereitungsmöglichkeiten er für diese Repertoirevorstellung hatte, vom Dirigenten persönlich folgende Auskunft erhalten:
„Den Figaro habe ich (nach einer Produktion an der Rostocker Musikhochschule mit 7 Vorstellungen) in Graz erstmals an einem Opernhaus dirigiert. Zu vier Vorstellungen hier in Graz gesellte sich ein Ausflug im Februar an die Oper Bonn mit ebendiesem Stück. Für die Reprisen konnte ich mich mit den Sängern auf Verständigungsproben im Klavierzimmer treffen, Bühnen- oder Orchesterproben hatten wir keine. Auf der Bühne dirigiert habe ich bisher nur den Figaro. Ohne weiteres könnte ich auch eine Zauberflöte oder, mit ein wenig Vorbereitung, eine Entführung übernehmen. Ansonsten freue ich mich auf jede weitere Mozart-Oper, die ich in den nächsten Jahren hoffentlich dirigieren darf!“
Wir würden es ihm und uns wünschen! S. Pf.