Graupa/Lohengrinhaus: CHRISTINE SCHORNSHEIM MIT RICHARD WAGNERS MUSIKALISCHEN „WURZELN“ – CEMBALOMUSIK DES 17./18. JH. – 1.12.2013
Barocke Cembalomusik im Wagner-Museum, dem Haus, wo Richard Wagner Erholung suchte und am „Lohengrin“ arbeitete?
Ja, warum nicht? So sehr weit liegen diese beiden Welten nicht auseinander. Schließlich hat Wagners kompositorisches Schaffen seine soliden Wurzeln in der deutschen Barockmusik – letztendlich auch seine großen Opern.
Christian Theodor Weinlig, zunächst Kreuzkantor in Dresden, dann Thomaskantor in Leipzig vermittelte, dem jungen Wagner solide kompositorische Kenntnisse durch die strenge Form des Kontrapunktes. Wagner war bis dahin im Wesentlichen von Frauen umgeben gewesen, denn seine „beiden Väter“ waren früh verstorben. Weinlig war der 1. Mann, der dem jungen, ungestümen Wagner etwas zu sagen hatte und ihm Grenzen setzte. Er war übrigens auch der Lehrer von Clara Schumann, die nach dem Willen ihres Vaters eine strenge, fundierte Ausbildung erhalten sollte. Der Unterricht bei Weinlig mit seiner Vermittlung solider kompositorischer Grundlagen schuf schließlich die Voraussetzungen auch für Wagners späteres Schaffen.
Christine Schornsheim, eine der besten Interpreten auf Cembalo und Hammerklavier, Solistin renommierter Ensembles, Spezialistin Alter Musik und Liedbegleiterin von Peter Schreier, machte nun die Wagnerfreunde mit Kompositionen von Johann Sebastian Bach (1685-1750), von dem sie am Anfang die „Toccata d‑Moll“ (BWV 913) und am Ende die „Toccata D‑Dur (BWV 912) spielte, und dessen Zeitgenossen, die alle in etwa die gleichen Lebensdaten aufweisen wie Bach und als die bedeutenden Vertreter der Barockmusik galten und noch immer gelten, bekannt. Zwischen den einzelnen Stücken erläuterte sie die direkten oder auch nur mittelbaren Beziehungen zu Bach und vermittelte damit musikalisches Grundwissen, das Wagner in Leipzig kennenlernte.
Georg Friedrich Kauffmann (1679-1735), von dem „Nun komm, der Heiden Heiland“ erklang, hatte sich zur gleichen Zeit wie Bach um das Thomaskantorat beworben und hätte aufgrund seines größeren Bekanntheitsgrades wahrscheinlich auch die größeren Chancen gehabt. Wäre er nicht zugunsten von J. C. Graupner (1683–1760), den sein Dienstherr jedoch nicht freigab, zurückgetreten, wäre Bach nicht Thomaskantor geworden und es gäbe wahrscheinlich keine Matthäuspassion, keine hohe Messe, keine Johannespassion und nicht die vielen Kirchenkantaten.
Von Johann Caspar Ferdinand Fischer (1656-1746) war eine „Suite in F‑Dur“ zu hören. Da vor allem seine Orchesterwerke vom Einfluss Lullys geprägt sind, wird angenommen, dass er in Paris studiert hat. Die typisch französischen Elemente in seiner Musik, eine große Menge von Ornamenten, könnten bei Bachs „Französischen Suiten“ eine Rolle gespielt haben).
Georg Böhm (1661-1733) stammte aus Thüringen – wie J. S. Bach. Er studierte in Jena und ging später einige Jahre nach Hamburg und danach als Organist nach Lüneburg. Er war mit „Präludium g‑Moll“ vertreten. Als Bach Schüler des Lüneburger Michaelis-Klosters war und als Diskantist im Mettenchor sang, lernte er dort die Orgelwerke Georg Böhms kennen. Wenn es auch nicht belegt werden kann, ist doch stilkritisch Böhms Einfluss in Bachs frühen Orgelwerken und Klaviersuiten zu erkennen. 2006 wurden in der Weimarer Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek Abschriften von Orgelwerken auf Papier mit Böhms Wasserzeichen entdeckt, die vermuten lassen, dass sie Bach als Fünfzehnjähriger für den Orgelunterricht bei Böhm angefertigt hat.
Zu Dietrich Buxtehude (1637–1707), dem berühmtesten Vertreter der Norddeutschen Orgelschule, wanderte Bach 1705 mehr als 400 Kilometer zu Fuß von Arnstadt (Thüringen) nach Lübeck, um sein musikalisches Vorbild zu hören und vermutlich auch Unterricht bei ihm zu nehmen, wobei er seinen „Bildungsurlaub“ bekanntlich eigenmächtig weit überzog. Obwohl Buxtehude von Bach sehr angetan war, wollte Bach nicht sein Nachfolger werden, um nicht dessen Tochter heiraten zu müssen, die zudem noch 10 Jahre älter war als er selbst.
Die Nähe zu Buxtehudes kompositorischem Schaffen ist in Bachs frühen, wahrscheinlich in der Weimarer Zeit entstandenen, Orgelkompositionen, zu erkennen. Buxtehude diente ihm auch später noch als Vorbild. Von seiner, für das Konzert ausgewählter „Aria La Capricciosa (BuxWV 250), ein Thema mit Variationen, bei dem das Thema, das Volkslied „Kraut und Rüben haben mich vertrieben“ in vielen Variationen, aber nicht wie „Kraut und Rüben“, sondern streng geordnet, im damaligen Kompositionsstil abgehandelt wird, ließ sich Bach bei seinen Goldberg-Variationen inspirieren, z. B. ist die vorletzte der 32 Variationen wie bei Buxtehude eine „Trillervariation“ mit zahlreichen Trillern in der rechten Hand.
Mit völlig ungekünsteltem, natürlich wirkendem Spiel, temperamentvoll und virtuos, in zuweilen faszinierender Schnelligkeit, aber auch Einfühlungsvermögen und Verstand in den langsamen Sätzen brachte Christine Schornsheim all diese kleinen, feinen Kompositionen mit traumwandlerischer Sicherheit auf einem neueren Cembalo (erbaut 1999 von Martin-Christian Schmidt, Rostock) zum Klingen. Unter ihren Händen entwickelte das Instrument einen wunderbar warmen, volltönenden Klang. Mit ihrem nuancenreichen Anschlag entlockte sie dem Instrumente eine ungeahnte Klangfülle und breite Palette an Klangfarben. Die Klarheit ihres Spiels ließ die mit-, gegen- und ineinander laufenden Linien des barocken Kompositionsstils sehr deutlich erkennen.
Es war ein anregender, sehr kurzweiliger Nachmittag, bei dem sie mit der „Aria“ aus den „Goldberg-Variationen“ als Zugabe noch einmal eine Brücke von Bach zu Buxtehude schlug.
Ingrid Gerk