GOHRISCH/ KONZERTSCHEUNE: SCHOSTAKOWITSCH-TAGE
vom 22.- 25.6.2023
Die Konzertscheune. Foto: Robert Quitta
Schostakowitsch? Gut, den kennt man ein wenig wegen seiner Geschichten mit Stalin, seinen Symphonien, seinen Filmmusiken, seinen Streichquartetten usw. – auch wenn er in unseren Breiten nicht extrem populär ist. Aber G o h r i s c h? Nie gehört. Was soll denn das sein ? Nun, Gohrisch ist ein Kurort in der Nähe von Dresden, idyllisch in der Sächsischen Schweiz gelegen.
Okay. Schostakowitsch, check. Gohrisch, check. Aber was um Himmels willen hat Schostakowitsch mit Gohrisch zu tun, und warum findet dort, Kurort hin oder her, alljährlich ein Festival zu seinen Ehren statt ?
Tja, das ist eine mehr als berechtigte Frage. Ich habe die Zusammenhänge natürlich auch nicht gekannt, aber ich habe sie mir erklären lassen: also der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch weilte zweimal auf Einladung der DDR-Führung zur Erholung im Kurort Gohrisch – und zwar im Gästehaus des Ministerrats (vormals „Haus der Intelligenz“). Und daselbst schrieb er auch sein 8.Streichquartett, das allgemein als sein persönlichstes angesehen wird, sozusagen als „Nachruf auf sich selbst“.
Diese historische Tatsache nahm 2010 eine Gruppe von begeisterten Gohrischer und Dresdner Musikfreunden zum Anlass, um hier die Internationalen Schostakowitsch-Tage zu gründen, die seither alljährlich stattfinden. In Ermangelung eines bereits existierenden Veranstaltungssaals überredete das Organisationskomitee einen einheimischen Grossbauern, ihnen dazu für ein paar Tage lang seine geräumige Scheune zur Verfügung zu stellen. Die darin befindlichen Strohballen werden für die Dauer des Festivals auf den Vorplatz ausgelagert – was allein schon eine spezielle Atmosphäre schafft. Aber nicht nur die Strohballen machen die Schostakowitsch-Tage zu einer ziemlich einzigartigen Veranstaltung (vielleicht nur mit Lockenhaus zu vergleichen), es ist das Gesamtpaket, das den Ausschlag gibt. Die nüchterne Scheune selbst ist schon einmal eine gute Basis dafür, dass die Versuchung zur Mondänitat an diesem Ort gar nicht erst aufkommt. Also keine Urologen aus Bad Nauheim oder Kartonagefabrikanten aus Hannover, die hier – wie in Salzburg – ihre weißen Dinner-Jackets ausführen, keine Werbung für den neuesten Audi-600PS-SUV. Das Programm tut ein Übriges, denn als Unterhaltungsmusik kann man die Werke von Schostakowitsch und seinen Freunden und Zeitgenossen ja nun wirklich nicht bezeichnen. Und die Künstler spielen aufgrund der finanziellen Situation (wenige Subventionen, einige wenige mittelständische Sponsoren wie die Manufaktur Schmees, die Druckerei Union oder der Juwelier Hilscher) ohne Gage. Nach Gohrisch kommt man also wirklich nur dieser Art von Musik wegen, und das schafft dieses besondere Gefühl von familiärer Atmosphäre einer verschworenen Gemeinschaft, das sich auch am Ende des Tages in den angeregten Gesprächen zwischen einander vorher Unbekannten an der „Schostakowitsch-Bar“ im traumhaft an der unendlich beruhigend dahinfliessenden Elbe gelegenen Hotel Elbresidenz zeigt.
Das Mriya_Quartett. Foto: Oliver Killig
Die Konzerte selbst waren alle von allerhöchster Qualität. Von Schostakowitsch hörte man die Streichquartette Nr.4 und Nr.13 – wobei vor allem letzteres mit seiner Mischung aus Angst,Trauer und Verzweiflung aufs atemloseste beeindruckte. Todesahnung, Todesdüsternis, Totentanz. Nicht umsonst nennt man dieses Werk ein „Requiem für Streichquartett“.
Weiters erklangen sein Opus ohne Opuszahl „Murzilka“, die Klavierbearbeitung seines Streichquartetts Nr.3, die Suite für Jazzorchester und seine Kammersymphonie.
Die endlosen 24 Präludien der jungen Komponistin Lera Auerbach enttäuschten leider ziemlich.
Dafür interessierte man sich sehr für die Klaviersonate von Schostakowitsch-Freund Myczyslaw Weinberg und von allen aufgeführten Werken (Klavierquintett, Sonate für Violoncello und Klavier, Suite im alten Stil) des immer noch total unterschätzten und viiiel zu wenig gespielten Alfred Schnittke war man überhaupt über die Massen begeistert. Diese unerhörten Töne, diese Meisterschaft in der Rhythmik, dieses Unterminieren unserer Erwartungshaltungen…
Vielleicht sollten die Organisatoren überlegen, als Spin-off der Schostakowitsch-Tage auch Alfred-Schnittke-Tage zu veranstalten. Würde sich lohnen ! Denn das Publikum dafür wäre, wenn man die abendlichen Diskussionen verfolgt hat, bereits durchaus vorhanden…
Robert Quitta, Gohrisch