Giacomo Meyerbeer: Dinorah, Theater Görlitz, Premiere: 16.11.2019
Die Oper mit der Ziege
Die französische Oper habe es im internationalen Klassikbetrieb nach wie vor schwer, ist im Artikel über den Tenor Benjamin Bernheim in der Süddeutschen Zeitung von diesem Wochenende zu lesen. Im ersten Moment könnte der geneigte Leser denken, dass das auch auf Giacomo Meyerbeer zutrifft.
Grund dafür, dass Meyerbeer lange Zeit nicht mehr gespielt wurde und erst in jüngster Zeit wiederentdeckt wird, ist aber Meyerbeers «Internationalismus» und sein Glaubensbekenntnis. Meyerbeer hat deutsche Singspiele, romantische italienische Opern, Opéras comiques und Grand opéras komponiert, hat in Mannheim mit Carl Maria von Weber studiert, in Wien von Altmeister Salieri den Ratschlag bekommen nach Italien zu gehen und ist in Venedig eingetroffen, als das Rossini-Fieber nach «Tancredi» auf dem Höhepunkt war. An der Spandauer Strasse in Berlin aufgewachsen hatte er seinen Lebensmittelpunkt nach Paris verlegt, wo er nicht nur eine ihm behagliche Atmosphäre sondern mit Eugène Scribe auch den idealen Librettisten gefunden hatte. Als königlicher Generalmusikdirektor in Berlin arrangierte er dann für die Hofkonzerte Musik der Komponisten, die für die Oper die Zukunft bedeuteten: Richard Wagner und Giuseppe Verdi. Meyerbeer hat seine Werke von Anfang an auch auf internationale Verwendbarkeit getrimmt, sei es durch grössere Umarbeitungen («Ein Feldlager in Schlesien») oder wie im Falle der «Dinorah» durch eigenhändiges Erstellen einer Rezitativ-Fassung. Dieser internationale Komponist war im Zeitalter des aufkeimenden Nationalismus natürlich schwerlich einer Schule zuzuordnen. Mit einem europäischen Komponisten konnte man nichts anfangen. Und wo Nationalismus ist, ist Antisemitismus nicht weit. In jüngster Zeit wird Meyerbeer wieder entdeckt und es ist nun eine Meyerbeer-Renaissance zu beobachten, der sich das Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz erfolgreich angeschlossen hat.
Foto: Marlies Kross
Als das Görlitzer Haus 1851 eröffnet wurde, war Meyerbeer schon ein internationaler Komponist und so hat ein Medaillon von ihm den Weg an die Decke des Zuschauerraums gefunden (von Verdi und Wagner sprach damals noch niemand). Über 100 Jahre nach der letzten Meyerbeer-Produktion hat das Haus entschieden wieder Meyerbeer zu spielen und sich für seine letzte Oper, deren Aufführungen er noch miterleben konnte, die Opéra comique «Dinorah», entschieden. Und hier dann für die Fassung, in der die Oper damals um die Welt ging, also der zweiten, für eine Londoner Aufführung entstandenen Fassung, die statt der Dialoge auskomponierte Rezitative enthält. Gezeigt wird die Oper in deutscher Sprache und einer sorgsam mit glücklicher Hand auf zweieinhalb (statt vier) Stunden gekürzten Fassung.
Foto: Marlies Kross
Regisseurin Geertje Boeden erforscht in ihrer Inszenierung die Gründe des Wahnsinns der Dinorah und die Wirkung der Urkatastrophe dieses Stücks, des Unwetters, das da in der Vorgeschichte stattfindend nicht gezeigt wird und die Meierei von Dinorahs Eltern total zerstört, auf die Protagonisten. Das Ausstattungsteam Olga von Wahl und Carl-Christian Andresen hat ihr dazu eine „moderne“ Ruine auf die Bühne gebracht (und verhilft so dem örtlichen Wertstoffhof zu einer Dankesbekundung im Programmheft). Eine Höhle der Ruine ist die Behausung Correntins. Unter der Urkatastrophe des Stücks leiden alle: Dinorah, denn sie verliert nicht nur ihre Eltern und ihr Elternhaus sondern auch den Bräutigam, Hoël, denn er verliert die sicher geglaubte Zukunft und muss für ein Jahr der Gemeinschaft entsagen, da er dem Zauberer folgt um den Schatz zu finden und auch Correntin, der sich von Geistern und Kobolden verfolgt fühlt. So führt Boeden für jeden Protagonisten den entsprechenden „Schatten“ als Symbol für sein Trauma ein: für Dinorah ihre Ziege Bella, für Hoël den Zauberer Tonyk und für Correntin einen Kobold. Diese Schatten sind während des Stücks als lebendige Schattenrisse zu sehen und ermöglichen Kommunikation. Das kommt besonders Dinorah in ihrer Schattenarie zu Gute. In Kombination mit stimmigen Naturaufnahmen und gezeichneten Bildern (Video: Aaron Kitzig) gelingt es Boeden die Geschichte schlüssig und werkgetreu zu erzählen bis am Schluss bei der alljährlichen Wallfahrt doch noch Hochzeit gefeiert werden kann. Die Oper hat aber kein Happy-End, denn innerhalb dieses einen Jahres zwischen den beiden Wallfahrten ist viel passiert: Dinorah hat sich in den Wahnsinn geflüchtet, Hoël hat seine Braut verstossen und einen falschen Schatz gesucht. Hoël macht eine Entwicklung zum Positiven durch, wohingegen Dinorah „nur“ wieder zu sich kommt und von Hoël und den Anderen darin bestärkt wird, es sei alles nur ein Traum gewesen. Ob das für die Zukunft hält?
Die Solisten des Abends konnten einen persönlichen Triumph feiern. Jenifer Lary sang mit kristallklarem und absolut höhensicherem Sopran eine perfekte Dinorah. Mit hervorragender Technik und intensiver, aber nie aufdringlicher Bühnenpräsenz war sie mit ihrer schlicht sensationellen Leistung zu Recht der Mittelpunkt des Abends. Ji-Su Park sang den Hoël stilsicher mit prächtigem Bariton. Er war seiner Dinorah ein ebenbürtiger Partner. Thembi Nkosi war mit seinem hellen Tenor ein wunderbarer Correntin und hatte so gar nichts von einem Dorftrottel. Eindrücklich verkörperten Nami Miwa, Harrison Claxton und Lorenzo Rispolano die Schatten von Dinorah (Bella), Hoël (Tonyk) und Correntin (Kobold). Hervorragend fügte sich klangstark der von Albert Seidl vorbereitete Opernchor ins Geschehen ein.
Eine hervorragende Leistung bot auch die Neue Lausitzer Philharmonie unter der Leitung der Generalmusikdirektorin Ewa Strusińska. Hier wurde französische Oper mit der gebotenen Leichtigkeit gespielt und die liedartigen Stücke trotz der Rezitativ-Fassung wunderbar herausgearbeitet. In den marschartigen Stücken wurde dann aber auch entsprechend aufgedreht.
Absolute Empfehlung: eine Rarität des Spielplans szenisch wie musikalisch mustergültig umgesetzt!
Weitere Aufführungen:
Samstag, 23.11.2019 19:30 Uhr; Sonntag, 24.11.2019 15:00 Uhr; Freitag, 29.11.2019 19:30 Uhr; Freitag, 06.12.2019 19:30 Uhr; Sonntag, 19.01.2020 19:00 Uhr; Freitag, 10.04.2020 19:30 Uhr.
16.11.2019, Jan Krobot/Zürich