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Glorvigen Trio: EL ARTE DE LA FUGA Y DEL TANGO

06.11.2016 | cd, CD/DVD/BUCH/Apps

CD Bach Tango

Glorvigen Trio:
EL ARTE DE LA FUGA Y DEL TANGO
ballhorn records CD

J. S. Bach und der Tango:
Eine Liebesgeschichte erzählt vom Glorvigen Trio

Selten ist eine Programm-CD sinnvoller und spannender gelungen als der Versuch von Per Arne Glorvigen am Bandoneon und seinen verwegenen Mitstreitern Daniela Braun (Violine) und Arnulf Ballhorn (Kontrabass), Tango-Musik mit Ausschnitten aus der Kunst der Fuge von J. S Bach zu koppeln. Von der ersten Sekunde („La Muerte del Angel“ – Piazzola) an geben die Musiker die Kadenz und einen ganz eigentümlichen Klangsinn vor, der aufhorchen lässt, ja spontan mitreisst.

Die Kombination aus Bandoneon, einem Handziehinstrument mit quadratischem Querschnitt aus deutschen Landen (Erfinder war der Krefelder Musiklehrer Heinrich Band, der das Instrument als Ersatz für die Kirchenorgel konzipierte) mit Geige (Daniela Braun wechselt zwischen modern und Barock) und Kontrabass (für Bach verwendet Ballhorn einen Barockbogen) mag wohl dem Tango geschuldet sein. Aber auch Bach profitiert ganz außerordentlich von dieser Besetzung, so modern und sinnlich frisch hat man die Kunst der Fuge wohl noch nie gehört. Ausgewählt wurden die Stücke nach passenden Tonarten: Alle sechs Titel der Kunst der Fuge stehen in D-Moll, die acht Tangos in D und F, nur einer ist in h-Moll notiert.

Was haben nun Bach und Tango gemein? Argentinische Tangos sind ganz große Kunstmusik und auf jeden Fall Tanzmusik. Viele davon sind melancholisch bzw. nachdenklich. Barockmusik ist per se schon vom Stil her großteils tänzerisch inspiriert, das memento mori immer dicht auf den Fersen. Eine weitere Parallele findet sich laut Arne Glorvigen im barocken Basso-Continuo Spiel. Die Tangos haben oft eine Melodielinie, entlang der ornamentiert und phrasiert wird. Man muss die Normen des Stils kennen, gleichzeitig wird genau den Noten gefolgt. Unter der solistischen Linie liegt dabei etwas, das einem „tango continuo“ ähnelt, gespielt vom Kontrabass und der linken Hand am Piano. Diese haben genau dieselbe Funktion wie das Cembalo und das Barock-Continuo.

Weiters sind Fuge als auch Tango sind so richtig strenge Formen, unter deren Haut sich jedoch jede Menge an Emotion und spielerischer Lust verbergen kann. Man höre sich nur an, wie beschwingt und in die Beine fahrend die Drei vom Glorvigen Trio den Contrapunctus 13 – Rectus von Bach (Track 7) interpretieren, und wie verzweifelt traurig der anschließenden Coral von Piazzola klingt. Die großartigen Musiker lassen ihre musikalische Eingebung permeabel fundieren, die Fugen geraten in den Sog des Tangos und Bach fließt in den Tango wie Milch in den Kaffee. Dabei sind die Spannungsbögen dicht ineinander verwoben. Es ist, als ob man Tänzer bei ihrem Tun durch ein buntes Kirchenfenster beobachtet bzw. in einer Winternacht sehnsuchtsvoll ein kerzenerleuchtetes Kirchenschiff von außen sieht.

Das musikalische Erlebnis ist atemberaubend. Erstens sind die drei Musiker auf ihren Instrumenten Virtuosen. Und dann war das ja so, dass, wie Glorvigen weiß, viele Bandoneonisten in Buenos Aires sich mit Bach beschäftigen. Führt das Trio nun einfach diese Tradition fort? Oder ist es eher so, dass Glorviger trotz norwegischer Herkunft selbst als größter Tango-Musiker diesseits des Atlantiks und sein Trio ihre ganze Seele in dieses Projekt gelegt haben und dabei eine einzigartige goldene Hochzeit entstanden ist. Das Hintereinander von Fuge und Tango und Fuge und wieder Tango ist wie eine große lächelnde Umarmung, zumal die Musiker auch ihren Diablito (Track 13) gehörig rauslassen. Das kleine „Teufelchen“ gehört zum Tango wie die zerrissenen Strümpfe zu den Tangotänzerinnen auf der Strasse. Zum Abschluss erklingt passend die Fuga Y Misterio von A. Piazzolla, ein Meisterwerk des Kontrapunkts und des Kunsttangos zugleich, an dem auch J.S. Bach seine Riesenfreud gehabt hätte. Anhören!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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