Giovanni Boccaccio
VON BERÜHMTEN FRAUEN
Ausgewählt und neu übersetzt von Martin Hallmannsecker.
Mit einem Nachwort von Kia Vahland.
160 Seiten, Verllag C.H.Beck´, 2021
Der Verhaltenskodex für die Frau im 14. Jahrhundert besagte, dass sie nur zum Kirchgang außer Haus gehen darf und immer den Blick gesenkt zu halten hat – bloß keinem Mann ins Gesicht sehen! Nun, wie man weiß, haben sich Frauen damals und auch davor über die von Männern gemachten Vorschriften hinweggesetzt. Und es war Giovanni Boccaccio, der sich für ihre Schicksale interessierte.
Wer von Boccaccio nur das „Decamerone“ kennt, greift zu kurz. Allerdings ist die Fülle seiner weiteren Werke außerhalb des italienischen Sprachraums nie auch nur annähernd so berühmt geworden, wie sein Hauptwerk. Gut, dass Verlage manchmal Nachhilfeunterricht geben.
Hätte man gewusst, dass Giovanni Boccaccio (1313-1375) sich in seinen späteren Jahren speziell für Frauen interessierte? Während Kollege Petrarca sich 1351 mit Männerschicksalen befasste („De viris illustribus“), fokusierte Boccaccio sich auf „De mulieribus claris“. An den 106 hier gesammelten Porträts arbeitete er bis zu seinem Tod.
Martin Hallmannsecker, der das Buch neu übersetzt hat, wählte von den originalen Texten 31 aus, was nicht allzu viel ist, aber das Buch erscheint in einer bibliophilen Reihe des Beck-Verlags, die wohl auch als anspruchsvolles Geschenk gedacht ist. Dabei hat der Herausgeber die erste (Eva) und letzte (Johanna, Königin von Jerusalem) Dame der Reihe behalten und dazwischen, wie er versichert, die „unterhaltsamsten, kuriosesten und berührendsten“ Schicksale ausgesucht. Entschieden zum bibliophilen Reiz des Buches trägt bei, dass man in den Text Holzschnitte der ersten deutschen Ausgabe (1473) eingefügt hat, was dem Ganzen einen mittelalterlichen „Look“ gibt.
Welche Frauen konnte ein Dichter des 14. Jahrhunderts für seine Kurz-Porträts (eine bis fünf Seiten) wählen? Er lässt die Muttergottes Maria aus, wie Kia Vahland im Nachwort vermerkt (die Gefahr, sich mit der Kirche anzulegen, bestand immer), aber mit Eva steht die erste Menschenmutter (und erste Sünderin) an der Spitze. Sie ist so wenig eine historische Figur wie viele andere auch, die aus der Welt des Götterkosmos (Minerva), der Mythen und Dichtungen (Medea, Helena, Penelope) kommen, und etliche Damen aus der römischen Geschichte sind auch dabei (allerdings nicht die berühmt-berüchtigten).
Und dennoch finden sich historische Gestalten, meist verbürgte Königinnen – Semiramis, Königin der Assyrer, Olympias, Mutter von Alexander dem Großen und Königin von Makedonien, Dido oder Elissa, Königin der Karthager, Nikaula, Königin der Äthiopier, Drypetrua, Königin von Laodikeia, Kleopatra, Königin der Ägypter, Zenobia, Königin von Palmyra. Da kennt man einige, nicht alle.
Und mit Johanna, Königin von Jerusalem und Sizilien, landete Boccaccio in seiner eigenen Gegenwart, denn Johanna von Anjou (1326-1382) war noch am Leben, als er über sie schrieb, ja, sie überlebte den Dichter sogar.
Wie schreibt man damals in Florenz über eine mächtige Dame, die von Neapel bis Sizilien und sogar noch in der Provence herrscht? Bewundernd. Man führt ihre Ahnenlinie bis Jupiter zurück (!), man beschreibt das nicht nur für damalige Verhältnisse riesige Reich, das ihr untertan ist, rühmt ihre guten Eigenschaften, wobei Boccaccio gar nicht genug finden kann: Tugendhaftigkeit und Tatkraft, Scharfsinnigkeit und Freigiebigkeit, Schönheit und Redegewandtheit. Und nur nebenbei ist vom „grimmigen Verhalten“ ihrer Ehemänner die Rede, und gar nicht davon, dass sie sogar angeklagt war, ihren ungarischen Gatten ermordet zu haben… Ja, man musste auf der Hut sein.
Die anderen Damen seiner Sammlung waren tot (oder haben nie gelebt), da war es einfacher, über sie zu schreiben. Wobei Boccaccio lieber lobte als tadelte, Evas besondere „Vortrefflichkeit“ rühmte, bevor er leise den „Leichtsinn“ anmerkte, den Verlockungen des „Feindes“ nachgegeben zu haben, und fast bedauernd schildert der Dichter, wie schwer unser aller Urmutter dafür bezahlen musste.
Doch Boccaccio konnte sich auch in „böse“ Schicksale vergraben wie etwa jenes von Olympias, der Gattin von Philipp von Makedonien, die den „Verlockungen des Ehebruchs“ erlag und deren Leben ja auch wirklich zu wild war, um es zu beschönigen. Da schwelgt er in Untaten, bewundert aber ihre Stärke. Dass sie mit Schlangen schlief, erwähnt er nicht, ebenso wenig wie zur Sprache käme, was man Sappho (außer ihrer vergeblichen Liebe zu einem Jüngling) sonst noch nachsagte.
Jede der Geschichten ist, zumal, wenn man die Frauen kennt (was durchaus nicht bei allen der Fall ist – Leaina, eine Prostituierte?), ein Leseabenteuer darüber, wie ein Dichter vor knapp 700 Jahren die Frauen sah. Dass sie ihn so interessierten, dass er sie in seiner Männerwelt in den Fokus rückte, macht dieses Buch (egal, wie „mäandernd“ manches erzählt ist, wie kurios uns dies oder jenes vorkommt) für uns interessant und wichtig.
Renate Wagner