Giessen, Stadttheater: Giovanni Pacini: MARIA TUDOR, 28.4.2012
Das Stadttheater Giessen wagt sich mindestens einmal pro Spielzeit an eine Ausgrabung. Mit meist überregionalem Erfolg. So gab es letztes Jahr Carlos Gomez nie gespielten „Lo sciavo“ und dieses Jahr die völlig unbekannte Pacini-Oper Maria Tudor oder Maria Regina d´Inghliterra. Giovanni Pacini hat Bellini, ebenfalls Sizilianer kompositorisch fortgeführt und musste dann dem jungen, erfolgreichen Verdi weichen, der es besser verstand, seinen Bühnenfiguren auch musikalisch psychologisches Profil zu geben. So wirkt seine Musik zwar reichhaltig, teilweise aber verspielt und nicht die Situationen wirklich charakterisierend. Trotzdem gibt es eine Menge musikalischer Leckerbissen,voakl allerdings auch höchste Ansprüche fordernd. Die Handlung ist nach Viktor Hugo und beschreibt einen typischen Opernplot. Relativ einfach gestrickt mit eifersüchtigem Bariton, lebenslustigem Tenor, zwei sich zeitweise bestens vertragende Frauenrollen und einem intrigant-väterlichem Bass. Ob es sich historisch um Maria Tudor so zugetragen haben mag, muss bezweifelt werden.
Regisseur JOACHIM RATHKE , schon beim brasilianischen „Verdi“: Gomez engagiert, nimmt die Handlung dann auch nicht allzu ernst und persifliert die Personen. Dabei geht er aber die Gefahr ein, dass man die Spannungen der Handlung als belanglos betrachten muss. Und so stellt sich bald ein harmloses Geplänkel um Liebe, Macht und Eifersucht ohne Tragweite ein. Da die Musik auch häufig in diese Verniedlichung triftet, bleibt der Abend seltsam mau. Auch die Sängerriege kann dem hier Geforderten nur sehr bedingt zureichen. GIUSEPPINA PIUNTI in der Titelrolle besitzt zwar eine kraftvolle Mezzostimme, die zum jedoch Vordergründigen neigt und sich in der Höhe doch strapaziert. Gefasster und künstlerisch feingliedriger singt MARIA CHULKOVA die Clotilde. Ihr slawisch timbrierter Sopran wird in den teils von ihren Partnern grob gestalteten Duetten an die Grenzen gefordert.
Einen sehr guten Eindruck hinterlässt der uruguayanische lyrische Tenor LEONARDO FERRANDO als Fennimore. Mit feiner Stimmführung, mühelos in den Höhen und seinem lockeren Spiel nimmt er am meisten für sich ein. ADIRAN GANS als Malcolm hingegen kann nur im Fortissimo einschüchternde Gewalt und tönende Potenz herstellen. Wenn er hingegen einfach singen sollte, zeichnen sich bei dieser jungen Stimme bereits jetzt Korrosionsschäden ab. Indiskutabel der italienische Gast-Bassist RICCARDO FERRARI, dessen Stimmreste allenfalls einen nicht mehr fahrfähigen Trabant bezeichnen. Wenig zur stimmlichen Geltung kommt auch ODILIA VANDERCRUYSSE in der undankbaren Pagenrolle, die sie allerdings szenisch aufwertet.
ERALDO SALMIERI als Dirigent fordert seine Musiker bis an die Leistungsgrenzen. Öfter werden die großen Ensembles einfach nur dicklich und laut. Delikatesse, die hier gefragt wäre, liefern nur gelegentliche Einzelsoli (Flöte, Klarinette).
Vielleicht hat sich Giessen diesmal zu viel vorgenommen. Den Rezensenten konnte die Oper, aber auch das realisierte Ergebnis nicht wirklich überzeugen, allerdings feierten das heimische Publikum und die lokale Presse die Aufführung.
Damian Kern