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GIESSEN: IDOMENEO. Premiere

20.01.2014 | KRITIKEN, Oper

Gießen: GroßartigerIDOMENEO“Premiere 18.1.2014

 „Idomeneo“ war Mozarts höchstpersönliche Lieblingsoper und in seinen Augen sein bestes Werk. Dennoch kann man es nicht häufig auf den Theaterbühnen erleben. Die Erklärung liegt wohl in den vielen Musikumschreibungen, Textänderungen, sogar Neufassungen, z.B. von Richard Strauss. Erst ab 1972 näherte man sich der Urfassung von 1781 wieder, deren Originalpartitur in der bayerischen Staatsbibliothek in München liegt.

Für diese Urfassung hatte man sich am Stadttheater Gießen entschieden. Der Schwierigkeitsgrad bei dieser Originalfassung liegt in unglaublichen Koloraturarien, nicht nur für die weiblich besetzten Partien, sondern besonders auch für die beiden Tenorrollen sowie die Countertenorpartie. Alle Protagonisten werden extrem gefordert. Dass ein kleines Stadttheater dieser Herausforderung gerecht wurde, war das große Ereignis des Abends. Man wartete mit einem Sängerensemble auf, das Weltniveau hatte!

Demgegenüber standen eine eher schlichte Bühnenkulisse und einfache Kostüme. Das hat Regisseur Nigel Lowery sicherlich bewusst gemacht, denn er selbst zeichnete verantwortlich für Bühne und Inszenierung und setzte vor allem die Personenregie sehr ästhetisch in den Vordergrund. Lediglich der Chor, der als Priestergruppe agierte und den Bettina Munzer in antike Kostüme mit langen, dunkelblauen Gewändern gesteckt und traditionelle Hüte aufgesetzt hatte, war herausstechend. Übergroße Masken mit Furcht erregenden Augen und langen Bärten unterstrichen diese Auffälligkeit. Die Priester waren die eigentlichen Herrscher, nicht der König. Aber ein König muss Kriege führen, töten. Folge: seine Gefühle stumpfen ab, er wird zum Machthaber, der seine Grenzen nicht mehr erkennt. Damit fordert er auch die Götter heraus, die ihn mit der Opferung seines eigenen Sohnes bestrafen und ihm somit die Achtung vor den Menschen wieder vor Augen führen wollen.

Schon im Alten Testament gab es Vorlagen zu Opferungen. Dieses Thema steht bei Lowerys Inszenierung im Mittelpunkt. Wiederholt lässt er  die Opferrituale in bedrückenden Szenen einspielen.  Die Prozedur beginnt damit, dass die Priester ein riesiges Buch aufstellen, hinter dem die Opfer dann getötet und verbrannt werden. Das Buch symbolisiert das Gesetz – so war es immer, so ist es Brauch. Erst als Idomeneo begnadigt wird, er das Gesetz abschafft, schafft man auch das Buch ab.

Die Bühne wird nur von zwei Bildern beherrscht, die je nach Szene im Wechsel zu sehen sind. Auf ihnen sieht man Stillleben. Das eine zeigt eine große Vase mit einem Blumengesteck, daneben eine nackte Glühbirne. Geht diese aus, wird es dunkel. In dieser intimen Beleuchtung besingen die Darsteller ihre Probleme, offenbaren ihre Seele, gestehen sich ihre Liebe, lassen den Gefühlen ihren Lauf. Im gleißenden Licht wird man mit der Gegenwart konfrontiert mit all ihren Spannungen, Problemen, Widersprüchen, Verkennungen. Das zweite Bild zeigt  antike Motive, in dem jeder Gegenstand einen Bezug zur Innenwelt der Figuren hat. Dieses Bild erscheint immer, wenn die Priester ihren Göttern ihre Opfer darbieten. Chor und Extrachor des Stadttheaters haben hier ihre großen Auftritte, die sie in gesanglicher Hinsicht und auch darstellerisch mit Bravour meisterten. Die Chorleitung hatte Jan Hoffmann.

Die Titelfigur war mit Bernhard Berchtold hochkarätig besetzt, denn er hat eine ausgesprochen schöne lyrische Tenorstimme, die im Mozartfach zu Hause ist, die sich inzwischen aber auch gekräftigt hat. So gelingen ihm die weichen, zarten Passagen spielerisch, die dramatischen Szenen bewältigt er mühelos und seine Stimmreserven, besonders in den äußerst schwierigen Koloraturen, kennen keine Grenzen. Intonationssicher und doch mit schönen, schmeichlerischen Spitzentönen verkörpert er mit großartiger Darstellung den leidenden Vater, der seinen Sohn Idamante dem Gott Neptun opfern muss, so wie es das Orakel bestimmt hat. Idamante wurde nicht, wie meist üblich, von einem Mezzosopran gesungen, sondern war mit dem koreanisch-amerikanischen Countertenor  Kangmin Justin Kim besetzt. Das war eine sehr gute Entscheidung, denn er bestach nicht nur durch seine Jugend, die ideal zu der Rolle passte, sondern erfüllte sie mit glanzvollen Höhen, die die lyrischen sowie dynamischen Klangfolgen gleichermaßen bewältigten. Sein inniges Spiel, sei es in Szenen mit dem Vater oder mit seiner Geliebten Ilia, ging zu Herzen. Er überzeugte derart, dass man mit ihm litt, ihm seinen Seelenkampf, der in seiner Brust tobte, völlig abnahm. Zu Recht wurde er am Schluss der Aufführung bejubelt.

Ilia wurde von Naroa Intxausti gesungen. Auch sie begeisterte mit wunderbarer Koloraturfähigkeit und sängerischen Ausdrucksimpulsen, die vielfältige Klangfarben aufwiesen, ebenso wie mit authentischer Darstellung. Als eifersüchtige Nebenbuhlerin der Ilia hatte man Kirsten Blaise engagiert. Sie hat sich zu einer Spezialistin im Barockfach entwickelt. Werke von Bach, Haydn, Mozart, Händel, aber auch Brahms, Schubert und Mendelssohn stehen auf ihrem Repertoire. So lag ihr die Rolleder Elettra im Blut. Ihre Stimme steigerte sich im Laufe des Abends von ausgewogener Mittellage bis hin zu profunden Höhen. Auch ihre schauspielerische Leistung war überzeugend.

Ein großes Lob gebührt Andreas Karasiak, der den Arbace, Idomeneos Vertrauten, verkörperte. Auch er hat viele Koloraturen zu singen, was ihm ohne Schwierigkeiten gelang. Christian Richter als Gran Sacerdote und Calin Valentin Cozma, die Stimme, trugen zu dieser abgerundeten Besetzung bei. In jeder Hinsicht, selbst die Typenwahl für die Rollen , stimmte alles in dieser Inszenierung.

Die Spannung, die der Regisseur da auf die Bühne gebracht hatte, die Konfliktsituationen, die er mit pantomimischen, intimen Bewegungen und innigen Gesten à la Tanztheater Pina Bausch sichtbar machte, überdeckten kleine Ungereimtheiten, die sich leider auch beim Philharmonischen Orchester Gießen unter ihrem Leiter Michael Hofstetter manchmal eingeschlichen hatten. Mit einem großen Schlussballett, das vom Chor und Extrachor ohne Masken und Kostüme gesungen wurde, endete die Aufführung. Leider zeigt die Gestaltung der letzten Szenen, die Mozart so wunderbar komponiert hat, einige Schwächen auf. Die Tanzpaare schoben plötzlich Kinderwagen und den Bühnenrand schmückten viele Babypuppen. Auf diese Zurschaustellung hätte man verzichten können, denn auch so hatte man verstanden, dass das Leben weiter geht, es immer eine Zukunft gibt.

 Dennoch war es ein Glanzabend für jeden Opernliebhaber. Das hatte wohl auch das Premierenpublikum so empfunden, denn unter Begeisterungsstürmen und Riesenapplaus wurden die Protagonisten gefeiert, der Beifall nahm kein Ende und das Gießener Theater kann eine weitere ereignisreiche, interessante Operninszenierung für sich verbuchen. Übrigens wird ein Live-Mitschnitt beim Label Oehms Classics herauskommen, für diejenigen ein Muss, die keine Gelegenheit haben, eine der Vorstellungen zu besucshen.

Weitere Termine: 23. 2., 6. und 16. 3. sowie 19. 4.und 27. 4. 2014.                                       .                                               

Inge Lore Tautz                                                                                                                                          

 

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