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GIESSEN: DER MISSLUNGENE BRAUTWECHSEL ODER RICCARDO I. von Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel

22.05.2015 | Allgemein, Oper

Besondere Opernrarität in Gießen:

„Der misslungene Brautwechsel oder Riccardo I.“ von Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel (Vorstellung: 21. 5. 2015)

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In der Kneipe trank das Sängerensemble nicht nur, es tanzte auch (Foto: Rolf K. Wegst)

 Mit einer besonderen Opernrarität wartete das Stadttheater Gießen auf: „Der misslungene Brautwechsel oder „Riccardo I.“ von Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel. Die beiden Komponisten waren seinerzeit beste Freunde, die sich Briefe schrieben und sogar musikalische Themen des anderen in ihren eigenen Werken zitierten.

 Als Leiter des Hamburger Opernhauses am Gänsemarkt setzte Telemann des Öfteren Werke seines Freundes Händel auf den Spielplan, die er dann höchstpersönlich einrichtete. Im Jahr 1729 wählte Telemann Händels „Riccardo Primo“ aus und bearbeitete die Oper, die 1727 in London uraufgeführt worden war, für die Hamburger Bühne. Er ergänzte Händels Arien mit neuen effektvollen Solopassagen und fügte in deutscher Sprache verfasste Rezitative und eine stets alles besser wissende Figur mit dem Namen Gelasius hinzu. Diese Oper wurde schließlich unter dem Namen „Der misslungene Brautwechsel“ in Hamburg uraufgeführt.

 In Gießen entschied man sich, die Rolle des Gelasius, der sich immer wieder frech in die Handlung einmischte, dem aus Film und Fernsehen bekannten Kabarettisten MartinMaddin“ Schneider zu übertragen, der seine Texte in Hessisch rezitierte (drei Beispiele: „Da will ich ein‘ druff lasse“, „‘s Leben is nu‘ mal kei Zuckerschleckel“, „Chef! Der Kasper aus England iss wieder da und will mir dir spresche“).  

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Der Kabarettist Maddin Schneider in der Rolle des Gelasius als Barkeeper (Foto: Rolf K. Wegst)

 Der Handlung der Oper, deren Libretto von Christoph Gottlieb Wend und Paolo Antonio Rolli  stammt, und in Gießen in deutscher und italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln aufgeführt wurde, ist von Irrungen und Wirrungen geprägt und ist eine der Episoden aus dem Leben des legendären König Richard Löwenherz. Bevor er sich nach Jerusalem begibt, will er auf Zypern seine ihm unbekannte Braut Berengera heiraten. Doch auch der dortige Herrscher Isacius hat ein Auge auf sie geworfen und jubelt ihm seine eigene Tochter Formosa unter. Diese ist allerdings schon vergeben und hat sich auch schon mit Berengera befreundet. Nach vielen Verwechslungen und Intrigen kommt es schließlich zum typischen Barock-Happyend.

 Der ungarische Regisseur Balázs Kovalik inszenierte das Werk sehr schmissig und humorvoll, wobei er die Handlung in einer Kneipe spielen lässt, wo die Darsteller reichlich dem Alkohol zusprechen und auch getanzt wird (Bühne und Kostüme: Angelika Höckner). Als Barkeeper fungiert Gelasius in der Gestalt des hessischen Kabarettisten Maddin Schneider, der seine Rolle lustvoll ausspielt. Er agierte wie ein Schlangenmensch und bot  zum Gaudium des Publikums eine komödiantische Meisterleistung, wenngleich manches Wort einem Wiener Ohr unverständlich blieb.

 Das junge internationale Sängerensemble war mit großer Spielfreude am Werk und konnte sowohl stimmlich wie schauspielerisch überzeugen. An seiner Spitze der fesche Brünner Bassbariton Tomáš Král als Richard Löwenherz, der durch seine elegante Erscheinung und starke Bühnenpräsenz punktete und wohl auch so manche Frauenherzen im Publikum betörte. Auf der Bühne waren es die spanische Sopranistin Naroa Intxausti in der Rolle der Berengera und die griechische Sopranistin Alexandra Samouilidou in der Rolle der Formosa, die beide um die Gunst Richards buhlten.

 Als Isacius, Herrscher von Zypern, wurde der aus Guadeloupe stammende Bassbariton Yannis François aufgeboten, der seine Karriere als Tänzer begann, was man an seinen geschmeidigen Körperbewegungen ablesen konnte. Das Sängerensemble komplettierten der polnische Countertenor  Jakub  Józef Orliński, der als Philippus, Begleiter von Berengera, vorwiegend sportlich agierte, und der sudanische Countertenor Magid El-Bushra, der als abtrünniger Orontes durch seine Spitzentöne zu brillieren verstand. 

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Am Schluss durchbricht ein Schiffsbug die Bühnenrückwand und Richard Löwenherz (Tomáš Král) holt seine Berengera in „Traumschiff“-Uniform ab (Foto: Rolf K. Wegst)

 Das Philharmonische Orchester Gießen, durch viele Aufführungen „barockmusikerprobt“, hätte von Jan Hoffmann geleitet werden sollen, doch wurde der Dirigent zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung mit Verdacht auf Blinddarmentzündung ins Spital eingeliefert. Retter der Vorstellung wurde der Cembalist Markus Stein, der sich spontan bereiterklärte, das Orchester zu dirigieren. Er tat es mit großem Einfühlungsvermögen und wurde am Schluss der Vorstellung vom Publikum verdientermaßen bejubelt, aber auch von den Sängerinnen und Sängern mit Beifall überschüttet und mit einem Blumenstrauß bedankt. 

 Udo Pacolt

 

 

 

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