Thomas Sandkühler / Angelika Epple / Jürgen Zimmerer (Hg.)
GESCHICHTSKULTUR DURCH RESTITUTION?
Ein Kunst-Historikerstreit
456 Seiten, Verlag Böhlau, Reihe: Beiträge zur Geschichtskultur, Band 40, 2021
Natürlich geht es um Nofretete bzw. ihren wunderschönen Kopf, Glanzstück und Anziehungspunkt der Berliner Museumsinsel, von der sich die Deutschen nicht trennen wollen, obwohl es gerade bei ihnen eine starke Bewegung gibt, die Forderung Ägyptens nach einer Rückgabe anzuerkennen. Natürlich geht es um die Elgin Marbles im Britischen Museum, die abmontierten Teile aus dem griechischen Pantheon, die die Engländer entschlossen nie zurück geben werden. Zum signalhaften Markenzeichen der gegenwärtigen, breit aufgestellten Restitutions-Diskussion (die auch Wien betrifft) sind die berühmten Köpfe aus Benin geworden, von denen einer diesen Band ziert.
In dem neu errichteten Stadtschloß in Berlin ist das „Hunboldt Forum“ eingezogen, mit Universität und mehreren Museen, die u.a. die ethnographischen Bestände der Stadt vereinigen (werden) – gut 75.000 Objekte aus der Welt und der Zeit der deutschen Kolonien. Und diese stehen spätestens seit Anfang des Jahrtausends im Zentrum heftigster Diskussion, die im Zusammenhang mit Schuldfragen zur vergangenen Kolonialgeschichte steht – das betrifft Deutschland ebenso wie die Franzosen, die Briten, die Belgier, die Holländer und andere mehr.
Nicht alle lassen sich in gleicher Weise auf die Fragestellung und ihre Konsequenzen (Rückgabe „erbeuteter“ Kulturgüter) ein. Deutschland jedenfalls in vorderster Front. Der Band „Geschichtskultur durch Restitution?: Ein Kunst-Historikerstreit“, erschienen in der Reihe Beiträge zur Geschichtskultur, Band 40, des Böhlau Verlags, wurde vom Humboldt-Forum heraus gegeben und umfasst eine beachtliche Anzahl von Einzelbeiträgen (einige auch in Englisch), alle von renommierten Wissenschaftlern verfasst.
Vorausgeschickt – Forderungen nach Rückgabe gab es schon länger, wurden aber im allgemeinen abgeschlagen: Ein immer wieder vorgebrachtes (und nicht gänzlich zu leugnendes) Argument lautete, dass Werke, die heute in europäischen und amerikanischen Museen bewundert werden, in ihren Ursprungsländern möglicherweise nicht mehr existieren würden. Auch wird erklärt, dass die Dinge nach den damaligen Gesetzen rechtens abgelaufen seien. Jeder Jus-Student lernt im Römischen Recht den Begriff von „Nulla poena sine lege“ – dass es keine Strafe für etwas geben kann, wofür damals kein Gesetz existierte.
Das Bewusstsein hat sich geändert (in einem Beitrag wird sogar erklärt, dass Deutschland sich mittlerweile als „Einwanderungsland“ begreift, ist doch schon ein Viertel der Bevölkerung des Landes nicht-deutscher Herkunft). Man betrachtet die Kolonialzeit nach heutiger Definition als ein auf Gewalt, Unterdrückung, Vernichtung und Ausbeutung beruhendes System (wenn auch anno dazumal möglicherweise ein wenig Idealismus dahinter stand, die Vermittlung von Religion und Zivilisation, was wir heute als fehlgeleitet betrachten).
Am weitesten ist im gegenwärtigen Umdenken, das den Ländern vor allem Afrikas und Ozeaniens „ihre“ Kunstwerke zugesteht, Frankreichs Präsident Macron gegangen. Nachdem er eine diesbezügliche Studie in Auftrag gegeben hatte, erklärte er in einer viel beachteten Rede dass grundsätzlich alle Kulturgüter aus Afrika zurück gegeben werden würden, egal ob sie von Expeditionen, Strafexpeditionen, von Sammlern, Forschern oder Händlern stammten. Der französische Stadtpunkt besagt, dass es keine „Rechtmäßigkeit“ des Erwerbs geben kann. (Hinzugefügt sei, dass nach Macrons Rede faktisch diesbezüglich noch nicht viel geschehen sein soll.)
Viele Artikel behandeln viele Aspekte. Tatsache ist, und das bereichert das Buch enorm, dass einzelne Autoren ideologisch ganz verschiedene Standpunkte einnehmen dürfen, dass das „Audiatur et altera pars“ hier praktiziert wird, wenn auch der Großteil der Beiträge die gegenwärtige Mainstream-Meinung eines gewandelten Bewusstseins vertritt, die mit Taten – u.a. der Restitution von Kunstwerken vor allem aus Afrika, die als „Raubkunst“ und Beute als „kolonialen Verbrechen“ bezeichnet werden – Hand in Hand gehen sollen. Man bezeichnet die Rückgabe nicht nur als Rechtsakt, sondern als moralische Wiedergutmachung.
Zwei Professorinnen aus Göttingen dürfen Einwände vorbringen, vorsichtigere Positionen einnehmen. So ist Brigitta Hauser-Schäublin gegen pauschale Rückgabe, erinnert auch gelegentlich an einen Kontext, der gerne übersehen wird – dass die Benin-Bronzen nicht nur von den Briten „geraubt“ wurden, sondern ihrerseits im Zusammenhang mit dem königlichen Ahnenkult standen, dass für diese Kunstobjekte Menschen gemartert, verstümmelt und getötet wurden, dass man die Bronzeköpfe mit Menschenblut bestrichen hat…
Obwohl, wie in einem anderen Beitrag versichert wird, in „Benin City“ in Nigeria ein eigenes Museum geplant ist, falls die in aller Welt verstreuten Bronzen (Wien hat ein paar wunderschöne Stücke) endlich heimkehren, warnt die Wissenschaftlerin doch davor, dass die restituierten Werke ohne Kontrolle in dem Privatbesitz von Potentaten (und von da wieder im illegalen Kunsthandel) verschwinden könnten.
Rebekka Habermas wiederum tritt zur Ehrenrettung jener Männer an, die angesichts von „Kolonien“ nicht nur Gewalt und Bereicherung im Sinn hatten, sondern Forschertrieb und Sammlerfreude. Und selbst wenn man (leider bis in die Nazi-Zeit) verschiedene Rassen „vermessen“ hat, geschah es nicht immer nur, um die Minderwertigkeit der Farbigen gegenüber den Weißen zu bestätigen, sondern aus echten Forscherinteresse. Sammler, die im Auftrag des Kolonialamts oder aus persönlicher Intention los zogen, taten es oft, um Dinge zu retten, die verloren gegangen wären – auch ein Gesichtspunkt, der heutzutage so gut wie nicht mehr berücksichtigt wird. „Rettet! Rettet! Ehe es zu spät ist!“ soll Adolf Bastian, der Begründer des Berliner Völkerkundemuseums gesagt haben. Gibt es Anerkennung dafür? Die pauschale Verurteilung fällt leichter.
Jeder Artikel beginnt sein Thema für sich neu, aber es ist natürlich unvermeidlich, dass es immer wieder zu Wiederholungen kommt – wenn auch verschiedene Blickpunkte dann wieder bereichernd sind. Fakten wie Argumente werden in aller Breite dargelegt. Die Diskussion wird noch lange, lange nicht zu Ende sein.
Renate Wagner