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Gernot Trausmuth: ADELHEID POPP – ICH FÜRCHTE NIEMANDEN

19.04.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Gernot Trausmuth:
„ICH FÜRCHTE NIEMANDEN“
Adelheid Popp und der Kampf für das Frauenwahlrecht
304 Seiten, Mandelbaum Verlag, 2019

Adelheid Popp (1869-1939) war eine der großen Persönlichkeiten des „Roten Wiens“, das man nun vielfach in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt (2019 kann als eine Art „hundertster Geburtstag“ gefeiert werden) – und sie war eigentlich nie vergessen. Unter den Frauen, die in Österreich politisch Großes leisteten, stand sie immer in der ersten Reihe. 150.Geburtstag und 80. Todestag sind äußere Anlässe, ihr ein Buch zu widmen: Dabei stellt Autor Gernot Trausmuth nicht ihr privates Leben, sondern ihre politische Arbeit in den Vordergrund. Dass seine Geschichte, die viel mehr umfasst als nur ihren Kampf für das Frauenwahlrecht, eher abrupt beginnt und 1919 (immerhin 20 Jahre vor ihrem Tod) abrupt endet, wird mit nötiger Begrenzung durch die Fülle des vorhandenen Materials gerechtfertigt.

Ein kleines Mädchen arbeitet sechs Tage in der Woche zwölf Stunden täglich in einer Fabrik – heute unvorstellbar, in der nach außen so glanzvollen „Gründerzeit“ an der Tagesordnung, von Adelheid Popp später in ihrem Buch „Jugend einer Arbeiterin“ beklemmend beschrieben. Man muss gar nicht die heutigen Begriffe „Migrationshintergrund“ (schließlich zog sie ja nur von Inzersdorf nach Wien) oder „bildungsferne Schicht“ betonen, schließlich benützte Adelheid die Sonntage dazu, um zu lesen, zu lesen, zu lesen. Es ist bekannt, wie früh sich ihr Bewusstsein nicht nur für ihre Situation schärfte – nicht nur Kinderarbeit, Frauenausbeutung, Ungleichheit der Geschlechter waren anzuklagen, sondern das ganze kapitalistische System. Adelheid Popp war faktisch für die Politik geboren.

Und sie hatte das „Glück“, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Wie das Buch ausführlich schildert, war die Arbeiterschaft in Bewegung, man organisierte sich, gab Zeitungen heraus, aktivierte die Genossen in zahlreichen flammenden Reden. Und man hatte in Victor Adler eine gewaltige Führungspersönlichkeit – uneitel, empathisch, trotz Sprachfehlers ein großer Redner, der die Theorie gleichsam praktisch darzustellen wusste. Der gütigste und großzügigste Mensch, wie ihn jene nannten, die ihn kannten, wurde auch für Adelheid Popp entscheidend, die ihm dafür mit unerschütterlicher Loyalität anhing.

Als man in den Reihen der Sozialisten – durchaus der „Gender-Problematik“ bewusst – für die Frauen eine eigene „Arbeiterinnen Zeitung“ schuf, wurde Adelheid erst 23jährig verantwortliche Redakteurin. Gleichberechtigung und volle Menschenwürde der Frauen standen auf ihrem Banner. Bald war Adelheid (der Autor nennt sie so in einem Zwischentitel) „der Liebling der Partei“, der sie aber auch tatsächlich ihr ganzes Leben widmete.

1892 von der Fabriksarbeit befreit und von der Partei angestellt, geht die Schilderung von Adelheid Popp parallel mit den Ereignissen der sozialistischen Bewegung aus weiblicher Sicht – was der 1. Mai bedeutete, Arbeiterinnen-Streiks, Kampf für die Rechte der Dienstmädchen, der Druck, der auf Heimarbeiterinnen lastete, die Probleme der „Tschick-Weiber“ in der Tabakindustrie, die Möglichkeit der Scheidung … die Liste der Themen war schier endlos. Und aus der Sicht der Nachwelt sind die sozialen Verhältnisse, die damals herrschten, erschütternd.

Adelheid Popp nahm an Sozialistenkongressen teil (damals lernte sie auch Friedrich Engels kennen, der mit ihr kokettierte), und ihr Leben veränderte sich privat, als Julius Popp in ihr Leben trat, die rechte Hand von Victor Adler, der zwar 20 Jahre älter war als sie, den sie 1893 heiratete, der sie stets unterstützte und mit dem sie glücklich, aber in ständiger Armut lebte… Julius Popp starb schon 1902 und ließ seine Frau mit zwei Kindern zurück.

Es ist zu erzählen, dass Adelheid Popp oft vor Gericht stand (etwa als die Arbeiterinnen Zeitung freie Liebe forderte), und auch die Randfelder wie Prostitution rückte sie ins Zentrum der Betrachtung, immer die Härten im Leben der Frauen im Fokus. Adelheid Popp kämpfte für Sozialversicherung und Mutterschutz. Dazu kam die Kinderarbeit (in der Folge die „Kinderfreunde“). Und die Erziehung und Bildung junger Mädchen war eines ihrer Hauptanliegen. Natürlich waren die Sozialisten nicht die Einzigen, die an den gesellschaftlichen Veränderungen arbeiteten, aber es gab keine Zusammenarbeit etwa mit den christlich-sozialen Frauen, die beispielsweise eine Abkoppelung von Rom und Religion nicht anstreben konnten.

Der Kampf um das Wahlrecht stand zentral in der Arbeit der Sozialistischen Partei, es herrschte damals noch nicht einmal allgemeines Wahlrecht für Männer (das wurde erst 1907 eingeführt), an Frauen wurde von Staats wegen diesbezüglich noch gar nicht gedacht. Der Erste Weltkrieg musste zu Ende gehen, das Habsburger Reich zusammen brechen, damit auch für die Frauen per Gesetz vom November 1918 das allgemeine Wahrrecht errungen werden konnte. Dieser Krieg hatte die größten Opfer gefordert (Adelheid Popp verlor einen ihrer Söhne) – aber nach der Revolution endet das Buch mit ihrem Einzug ins Parlament.

Der Autor hat einen Kampf nachgezeichnet, in dem Adelheid Popp nie nachließ. Dass sie für ihre Arbeit nicht nur Schmähungen und Widerstände, sondern auch viel Anerkennung erntete und im Rahmen ihres Wirkens auch „Karriere“ machte, war hoch verdient – aber sicher nicht ihr Ziel. Viel wichtiger dürfte ihr gewesen sein, dass heute die meisten Forderungen, die sie an den Staat hatte, erfüllt sind.

Renate Wagner

 

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