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Gerhard Loibelsberger: MORPHIUM, MOKKA, MÖRDERGESCHICHTEN

20.08.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Gerhard Loibelsberger:
MORPHIUM, MOKKA, MÖRDERGESCHICHTEN
Wien zur Zeit Joseph Maria Nechybas
284 Seiten, Gmeiner Verlag, 2019

Vor zehn Jahren schickte Autor Gerhard Loibelsberger den Wiener Polizisten Joseph Maria Nechyba in das Wien der sterbenden Monarchie – und schuf, wie man es so nennt: Kult. Dieser scheinbar gemütliche, aber unendlich pfiffige echte Wiener (selbstverständlich böhmischer Herkunft), verfressen wie kaum ein Zweiter, in seiner Ausdrucksweise angepasst, ob er sich mit dem Abschaum der Gesellschaft oder der höheren Beamtenschaft auseinander zu setzen hat, bot immer beste Krimi-Unterhaltung. Dabei hat der Autor auch immer die Epoche, in der er sich bewegte, überzeugend eingefangen – historische Krimis, wie sie sein sollen.

Dabei ging Loibelsberger, der den Nechyba auch mit einer prächtigen Köchin verheiratet hat, die nicht nur für ihre Herrschaft, sondern auch für ihn Wunderbares auf den Teller bringt, sukzessive Jahr für Jahr weiter. Und war mit Krimi Nr. 6., dem „Schönbrunner Finale“ (als Nechyba Kaiser Karl aus Schönbrunn abholt) eigentlich am Ende. Monarchie aus, Nechyba aus? Das muss jede Menge Leser-Proteste ergeben haben. Andererseits – das Nach-der-Monarchie-Österreich hat schon eine Menge Ermittler krimimäßig unterwegs. Was also tun?

Die Filmbranche kennt das Problem, wenn man an einem natürlichen Ende angelangt ist, aber nicht aufhören will. Und sie haben sich da etwas ausgedacht: Das „Prequel“, die Vorgeschichte. Viele Erfolgsautoren sind daneben auch schon auf die Idee gekommen, ihre Helden nicht nur in Romanen, sondern auch in Bänden von Kurzgeschichten weiter auszuquetschen. Also – Nechyba ist wieder da, in 13 Erzählungen, wo man ihm vom 13jährigen Rotzbuben in Mauer bis noch einmal in die Zeit des Ersten Weltkriegs begleiten kann.

Dazu hat der Autor ein Verzeichnis der historischen Persönlichkeiten an den Beginn gestellt, die in den Geschichten vorkommen. Das wirkt allerdings ein bisserl aufgeblasen, denn die zahlreichen Mitglieder der Familie Habsburg, die da angeführt werden, sitzen oft nur funktionslos in einer Theaterloge. Und andere Berühmtheiten, Semper und Hasenauer beispielsweise, kommen nur auf Umwegen vor. Freilich, den Sigmund Freud befragt der Nechyba persönlich, als es um das Kokain-Milieu geht (Freud war bekanntlich selbst konsumierender Fachmann zu dem Thema) – später, in den Romanen, sollen die beiden auch miteinander Karten spielen…

Besonders witzig ist die erste Erzählung, die uns den neugierigen Nechyba-Buben zeigt, der begeistert Mordgeschichten hört. Als man ihm allerdings einreden will, die Lanner Oma sei ermordet worden, regt sich sein schon damals kritischer Geist. Es ist fast gruselig, wenn er sich in der Kirche die Erlaubnis holt, die aufgebahrte Tote noch einmal anschauen zu dürfen, und ihr die Bluse aufknöpft, um nachzuschauen, ob sie wirklich erwürgt worden ist…

Der junge Nechyba wird zum Begleiter des Prinzen of Wales abgestellt, als dieser auf Wien-Besuch ist, aber als im Wiener Burgtheater ein leidenschaftlicher Semper-Mitarbeiter den Hasenauer erschießen will (was Nechyba verhindert), wird dergleichen natürlich unter den Tisch gekehrt.

Egal, Karriere macht er trotzdem, alte Bekannte (der Journalist Goldblatt) tauchen natürlich auf, manchmal gestehen auch Mörder dem Nechyba beim Plaudern im Wirtshaus all ihre Schandtaten. Kurz, man folgt ihm durchs Wiener Leben, wie es sich in der Unterschicht abspielt, aber manchmal sogar bis Maria Taferl oder zu einem steirischen Schloß (selbst im „Urlaub“, bei einer „Kuranwendung“, wird er von Verbrechen gestört).

Und immer löst unser Nechyba die Fälle quasi mit der linken Hand, während sich seine wichtigere Gehirnhälfte damit auseinandersetzt, was er wo am besten essen kann. Wie immer in diesen Loibelsberger-Romanen spielt das Essen eine überbordende Rolle (manchmal lernt auch der Wiener Leser etwas Neues, denn eine „Panadlsuppe“ ist eigentlich nicht mehr allgemeines Wissen: Da muss man froh sein, dass für die nicht-österreichischen Leser erklärende Fußnoten zu Wiener Ausdrücken, die reichlich vorkommen, geboten werden).

Darum ist auch eine Erzählung, die nur von den Alpträumen des Nechyba handelt, dass man ihm sein Gabelfrühstück und sonstige Köstlichkeiten verweigert, die wohl komischste. Dass die Versorgungslage für Gourmands wie ihn im Krieg schlimm geworden ist, erzählt uns der Autor ohnedies immer wieder (mit Details darüber, wie sich die Köchinnen zu helfen wussten). Loibelsberger hat es mit dem historischen Ambiente, und das ist neben der originellen Persönlichkeit des Nechyba wohl der große Gewinn dieser Krimis.

Renate Wagner

 

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