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Gerhard Loibelsberger: ALLES GELD DER WELT

10.06.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Gerhard Loibelsberger
ALLES GELD DER WELT
Ein Roman aus Wien im Jahr 1873
348 Seiten, Verlag Gmeiner, 2020

Wer in den letzten Jahren zu den Werken von Gerhard Loibelsberger gegriffen hat, konnte erwarten, seinem urigen Polizeikommissar Nechyba zu begegnen und mit ihm im Wien der ausklingenden Monarchie auf Verbrecherjagd zu gehen. Aber mit dem Jahr 1918 hat der Autor offenbar mit Nechyba abgeschlossen – und ist mit seinem neuen Buch zwar in der Kaiserzeit geblieben, aber von Mord und Totschlag abgerückt. Dennoch könnte man sagen, dass es auch in „Alles Geld der Welt“ um Verbrechen geht – denn die Geschäfte, die rund um die Weltausstellung und den Börsenkrach von 1873 gemacht wurden, waren alles andere als lupenrein.

Wie so oft bei Loibelsberger marschieren auch historische Persönlichkeiten durch das Geschehen, aber die zentrale Geschichte des Bankhauses Strauch ist erfunden, wenn auch absolut typisch für die damalige Epoche. Der Vater, der noch Aaron Rosenstrauch hieß und sich nach dem Wiener Kongress als Geldverleiher der Adeligen etablierte, ist zu Beginn des Buches, das vom Jänner bis zum Juli 1873 handelt (mit einem Epilog darüber hinaus), tot. Durch Taufe und grenzenlose Bemühungen hat er sich in einen Antonius von Strauch verwandelt, und sein Sohn, „der Herr Baron“, Heinrich von Strauch, ist Held der Geschichte, in der es um viel Geld und schmutzige Geschäfte geht.

Man befindet sich in der überhitzten Ringstraßen-Epoche, wo auch der kleine Mann durch Aktiengeschäfte reich werden will und er den Banken sein bisschen Geld geradezu aufdrängt. Dass dann Leute, die – wie es in unserer Welt der berüchtigte Bernie Madoff tat – alles versprechen, nur einstreichen und letztendlich nicht mehr zahlen können, die großen Geschäfte machen, das mutet an dieser Geschichte ungemein vertraut an. Auch Heinrich von Strauch ist kein ehrenwerter Geschäftsmann, gründet eine Firma nach der anderen, mehr oder minder als Luftgeschäft, und wirft die Aktien, deren scheinbarer Wert durch Manipulationen hoch getrieben wird, teuer auf den Markt. Aber die Leidenschaft, Geld zu machen, ist bei ihm im Grunde schon abgestorben – seine Lust am Reichtum besteht darin, das Geld lieber auszugeben…

Heinrich von Strauch ist die zentrale Figur des Romans, sein Autor malt dessen Leben ausführlich aus. Unglücklich verheiratet mit einer arischen Erbin, die mit ihm verbunden wurde, um die marode Fabrik ihres Vaters zu sanieren, lebt er in seinem Barockpalais durch ein Stockwerk getrennt von Frau und Kindern, von denen er nichts wissen will, und gibt sich ausschließlich seinem Vergnügen hin.

Wie man es auch in den Nechyba-Romanen gewohnt war, ist viel vom Essen die Rede, und es gibt viele appetitanregende Schilderungen von Mahlzeiten und auch von deren Zubereitung. Noch ausführlicher aber geht es um Strauchs Sexualleben, für das er sich ein Dienstmädchen hält, das auch für seine persönliche Sauberkeit zu sorgen hat (ja so), weiters ein „süßes Mädel“, das er in der Josefstadt aushält, und wenn halbseidene Damen ihn ins Visier nehmen (und machen sie es noch so direkt, dass der Leser nur den Kopf schütteln kann), widersteht er auch nicht. All das kostet – Geld und auch Zeit. Dass Loibelsberger immer wieder die grimmigen Gedanken eines wie ein Sklave gehaltenen Kammerdieners ins Geschehen flicht, reflektiert, wie diese Menschenklasse von den unteren Ständen gesehen – und gehasst wurde.

Seine Geschäfte überlässt Heinrich von Strauch, arbeitsscheu, wie er ist, seinem getreuen Mitarbeiter, der immer mehr Macht akkumuliert und dann doch nicht so treu ist, wie man glauben sollte. Und so rast der Herr Baron in sein Unglück, während man rund um ihn mit Zeitereignissen versorgt wird (zahlreich sind die zitierten zeitgenössischen Zeitungsberichte), vor allem mit der großen Weltausstellung, an der er (unglücklicherweise) finanziell beteiligt ist. Dass das alles – samt Börsenkrach – für Heinrich von Strauch nicht gut ausgehen kann… man erfährt es ausführlich.

Eine richtig große Familiensaga im Bankiersmilieu ist es nicht geworden, aber ein Roman, der sich nicht nur mit dem Untergang einer gewissenlosen großbürgerlichen Gesellschaft, sondern auch ausführlich mit Geschäften befasst. Je mehr der Leser davon versteht, umso interessanter wird er die Schilderung der Spekulationsaktionen vermutlich verfolgen…

Das einzige, was absolut nicht zu dem Buch passt, ist der Schutzumschlag, der Klimts „Kuss“ zeigt und gar nichts mit dem Werk zu tun hat. Aber das mindert das Vergnügen (und auch den Erkenntniswert) der Lektüre gar nicht.

Renate Wagner

 

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