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Gerhard Jelinek: EINE FRAGE DER HERKUNFT

23.01.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Gerhard Jelinek:
EINE FRAGE DER HERKUNFT
FAMILIEN, DIE GESCHICHTE MACHTEN
256 Seiten, Amalthea Verlag, 2022

Es gibt so etwas wie den „Zufall der Geburt“, über den man zwar hadern, gegen den man aber nichts tun kann. Allerdings ist es auch keine Garantie für ein glückliches, gelungenes Leben, wenn man mit dem sogenannten silbernen Löffel im Mund geboren wurde, sprich, Angehöriger einer potenten Familie ist, in der entweder materielle Güter oder auch Talente vererbt werden, Traditionen und Werte nicht zu vergessen. Was nicht nur Privileg, sondern vielfach auch Verpflichtung bedeuten kann.  In „Eine Frage der Herkunft“ erzählt der Historiker Gerhard Jelinek nun Geschichten vom frühen Mittelalter bis heute, und neben berühmten Namen gibt es auch weniger bekannte. Ein gewisser  Österreich-Schwerpunkt versteht sich bei einem österreichischen Verlag von selbst.

Wer waren die Eppensteiner? Schon das erste Kapitel verwirrt, denn das Wissen über sie ist vermutlich bestenfalls  in Kärnten verankert. Sie haben als Familie auch nicht viel mehr als ein Jahrhundert (das elfte) existiert, damals aber als mächtige Herren in Kärnten, Steiermark und  Friaul, reich geworden durch die Wegerechte. Ihr Besitz ging nach ihrem Aussterben auf Umwegen an die Babenberger über, und Jelinek wählt die Eppensteiner, weil das Rot-Weiß-Rot des österreichischen Wappens möglicherweise auf sie zurückgeht (und nicht auf die Babenberger-Legende von den Kreuzzügen). Es ist übrigens die einzige Adelsfamilie des Buches, die der Autor behandelt, weil Adel durch Besitz, Privilegien und Heiratsbündnisse die Chance  hatte, sich Jahrhunderte zu halten, während die von ihm erzählten Familiengeschichten oft nicht mehr als drei Generationen währten.

Das zeigt sich bei den Beispielen, die er zum Thema „Talent“ wählte – Vater Leopold Mozart, Sohn Wolfgang Amadeus, dessen beiden überlebende Söhne (die dann keine Nachkommen mehr hatten). Großvater und Enkel sehr begabte Musiker, dazwischen ein Genie, an das keiner herankam. Wie drückend die Last von des Vaters übermächtigem Schatten war, kann man sich vorstellen – Franz Grillparzer hat diesbezüglich dem Sohn Franz Xaver Mozart (der nur wenige Monate vor des Vaters Tod geboren war, ihn also nie gekannt hat) sogar ein Gedicht geschrieben…

Ähnliches geschah bei der Malerfamilie Bruegel –  Pieter Bruegel, den man später zur Unterscheidung von seinem ältesten Sohn „der Ältere“ nannte, war das Genie seiner Zeit (und auch für die Nachwelt). Er war zwar erst 40, als er starb, aber er hinterließ eine „Werkstatt“, die seine Frau führte, bis die Söhne Pieter und Jan sich dort betätigen konnten. Sie malten gut, aber nicht so sensationell und innovativ wie der Vater, und wenn auch die Nachkommen von Jan wieder Maler wurden, Überragendes war nicht mehr dabei. Künstler waren auch die italienischen Steinschneider Miseroni, die vier Generationen lang die Lust der Habsburger an raffiniert-kostbaren Kunstkammer-Gegenständen befriedigten.

Die Ansätze für die von Jelinek ausgewählten Familiengeschichten sind verschieden und werden auch verschieden erzählt. Bei den Fuggern beginnt er nicht im Mittelalter und arbeitet sich bis zur Renaissance vor, wo sie als Financiers der Habsburger die wichtigste Gelddynastie Deutschlands wurden, sondern Jelinek widmet sich erst der Fürstin Nora Fugger, der berühmten Salondame und Chronistin der Monarchie, und geht dann in die Geschichte zurück. Hier floß das Geld durch viele Generationen.

Jelinek findet Familien, an die man nicht gedacht hätte: Dass die „Sterne“ im Haar von Kaiserin Elisabeth (unsterblich geworden durch das Gemälde von Franz Xaver Winterhalter) vom Hofjuwelier Köchert stammen, hat sich herumgesprochen, dass bis heute das Geschäft in sechster Generation in der Familie ist, weniger, ebenso wenig wie man den Zauner-Stollen mit einer ganzen Zuckerbäcker-Familie in Zusammenhang gebracht hätte. Ja, und drei Generationen Steiner machten in Wien Populärkultur.

Mit den deutschen Quandts und den halb österreichischen Porsches begibt man sich in die Industrie, bei den Wittgensteins zeigt sich, dass Söhne (Ludwig, der Philosoph, Paul, der einarmige Pianist) nicht unbedingt am Geld des Vaters interessiert sind,  die Trapps bewegen sich, trotz ihrer klebrigen „Edelweiß“-Popularität auf der kulturellen Ebene.

Der größte, weltweit populärste Name, den das Buch (neben den Mozarts natürlich) zu bieten hat, sind die Kennedys, die auch das Titelbild zieren – allerdings nicht das „Königspaar“ John & Jackie, sondern Robert und Ethel, die inmitten ihrer Kinderschar zeigen, dass auch bei Bürgerlichen der Begriff „Familie“ oft mit möglichst zahlreichem Nachwuchs verbunden ist. Diesem Prinzip huldigten schon Joseph P. Kennedy. Nachfolger irischer Einwanderer, der durch Bankgeschäfte, Immobilien und Medien reich und mächtig wurde, und seine Gattin Rose, die neun Kinder hatten, was ihr Sohn Robert mit seiner Gattin Ethel und elf Kindern noch überbot.

Jelinek, ganz Journalist, beginnt die Kennedy-Geschichte allerdings mit dem größten Skandal, der sich an die Familie knüpft – der nie geklärte, möglicherweise nicht ganz freiwillige Tod von Marilyn Monroe, die sowohl mit Präsident John F. Kennedy wie mit Robert Kennedy ein Verhältnis hatte und der politischen Karriere beider sehr gefährlich hätte werden können… Etwas enttäuschend ist, dass (es geht schließlich  um die „Familie“) die Generation nach „Camelot“ (so nennt man die John / Jackie / Robert-Glanzzeit im Weißen Haus) eigentlich nur sehr kursorisch behandelt wird.

Nach 14 halb historischen, halb noch gegenwärtigen Fällen (wobei Jelinek zuletzt die Salzburgische Wirtsfamilie des Krimmler Tauernhauses würdigt ) lädt der Autor den Leser ein, sich noch eine Geschichte anzuhören – wenn er will: nämlich die seiner eigenen Vorfahren. Da war der Vater ein „Böhm’“, wie man in Wien zu den eingewanderten Tschechen sagte, die Familie der Mutter kam aus dem Sudetenland (und diese Ehe ging gut, obwohl die Nationalitäten einander ziemlich spinnefeind waren), man lebte in Favoriten, alle kamen mit etwas Geschick und viel Glück durch den Zweiten Weltkrieg (die Familie der Mutter hatte wie durch ein Wunder einen Bombenangriff überlebt, der ihr Haus traf, Franz Jelinek sprang von dem Wagen, mit dem ihn die Russen in die Gefangenschaft deportieren wollten,). Die Eltern arbeiteten unermüdlich und brachten es bis zu einem bürgerlichen Statuszeichen wie einem Mercedes, der kleine Junge Gerhard las Karl May und fühlte sich in der Obhut der beiden Omas sehr wohl… Leider erzählt Gerhard Jelinek nicht weiter von sich und seinen Kindern, was auch zu einer Familiengeschichte gehören würde. Aber vermutlich will er sagen, dass eine kleinbürgerliche Herkunft aus Favoriten niemanden hindert zu studieren und ein erfolgreicher Journalist und Buchautor zu werden…

Renate Wagner

 

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