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Gerhard J. Rekel: MONSIEUR ORIENT-EXPRESS

23.10.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch orientexpress

Gerhard J. Rekel
MONSIEUR ORIENT-EXPRESS
WIE ES GEORGES NAGELMACKERS GELANG, WELTEN ZU VERBINDEN
288 Seiten, Verlag Kremayr & Scheriau, 2022

Jeder kennt den Orient-Express, nicht zuletzt dank Agatha Christie, die ihn als Schauplatz eines spektakulären Mordes weltberühmt gemacht hat. Aber dass hinter diesem Orient-Express das schier unglaubliche Unternehmertum eines einzelnen Mannes steht, darüber haben sich wohl wenige den Kopf zerbrochen – wie man ja oft bei großen Unternehmungen nur diese kennt und nicht die Menschen, die dies geschaffen haben.

Der aus Graz stammende Autor Gerhard J. Rekel, der neben vielen anderen Aktivitäten („Tatort“-Drehbücher zum Beispiel) auch eine Terra X-Dokumentation über den Orient-Express gestaltet hat, schildert nun das Schicksal von Georges Nagelmackers in einer Biographie, die sich so spannend liest wie ein Wissenschafts-Krimi und in die „Aufbruchszeit“ des 19. Jahrhunderts zurück führt, wo noch mehr zu schaffen war als die nächste Smartphone-Generation…

In aller Ausführlichkeit wird die Lebensgeschichte des Belgiers Georges Nagelmackers erzählt, der 1845 in der Nähe von Lüttich in eine reiche Bankiersfamilie hineingeboren wurde. Dass er nicht ins väterliche „Geschäft“ einstieg, hat ihm der Vater nie verziehen, hat auch die Leistungen des Sohnes nie anerkannt. Dieser kam im Lauf seines Lebens in Geldangelegenheiten zwar manchmal ins Straucheln, hätte aber in einer Bank nie seinen innovativen Geist entfalten können.

Georges, von dem es heißt, dass er sich schon in seiner Kindheit gerne auf Bahnhöfen aufgehalten hat, war studierter Ingenieur, als er seine Familie schockierte. Er wollte seine um neun Jahre ältere Cousine ersten Grades (die Tochter von seines Vaters Bruder) heiraten. Ausgeschlossen, nicht nur in katholischen Kreisen. Der Sohn wurde zur Ablenkung in die USA verfrachtet, und das entschied sein Schicksal.

In New York bewunderte der junge Nagelmackers nicht nur die Central Station, sondern auch die Schlafwagenzüge des Herrn Pullman, die alles übertrafen, was man in Europa diesbezüglich versuchte. Von nun an war Georges Nagelmackers gewissermaßen davon besessen, Züge zu schaffen – Schlafwagen, Speisewagen, Salonwagen und schließlich den Zug der Züge, das Wunder des Luxus, den Orientexpress, der auch politische Traum eines Zuges, der durch so viele, teilweise verfeindete Länder Europas bis Konstantinopel fahren sollte…

Man ist in dieser spannenden Lebensgeschichte mitten drin in der Epoche, wo Neues noch möglich war und Menschen mit Innovation, Energie und waghalsigem Mut wie Nagelmackers riesige Projekte in Gang setzen konnten. An seine Cousine dachte er übrigens nicht mehr, aber die Frau, mit der er zusammenlebte, wurde von seiner Familie gleicherweise abgelehnt. Dass man ihn als einen der großen Geschäftsleute Europas zuhause nicht so schätze wie anderswo, damit musste Nagelmackers leben.

Lesend arbeitet man sich mit ihm in unverminderter Spannung von Projekt zu Projekt, von Rückschlägen zu Finanzierungsproblemen, von Schwierigkeiten mit Konkurrenten zu Erfolgen und neuen Unternehmungen. Immer wieder sind die großen Träume des Georges Nagelmackers mit der Wirklichkeit zusammen gestoßen, immer wieder hat er Neues begonnen.

Nachdem er den Orientexpress 1883 erstmals von Paris nach Konstantinopel geschickt hatte, größter Luxus verbunden mit gezielter Medienwirkung, war ihm klar, was noch alles in der Reisebranche steckte. Georges Nagelmackers eröffnete nicht nur Reisebüros, die alles buchten und besorgten, sondern baute auch Luxushotels allerorten. Es gab damals die reiche Klientel, der es auf den Preis nicht ankam, die aber auch in exotischen Ländern nicht schmutzig werden wollte – reisen, ohne möglicherweise an die Realität in fremden Ländern anzustreifen… Dass es nur schön, bunt und ungefährlich sei, mit den Zügen von Nagelmackers in die weite Welt zu reisen, machte er mit ausgefeilter Werbestrategie klar – die farbigen Plakate, im Buch abgebildet, würden heute noch Lust auf Reisen machen, wenn es denn noch so möglich wäre wie damals…

Das Buch von Gerhard J. Rekel bleibt ganz eng am Schicksal von „Monsieur Orient-Express“, das nicht wirklich gut ausgegangen ist. Schon beim Lesen hat man das Gefühl, dass sich dieser Mann im Schaffensrausch stets neuer Projekte übernommen hat, und so war es dann auch. Er erlebte zwar den Ersten Weltkrieg nicht mehr, aber bis zu seinem Tod 1905 im Alter von nur 60 Jahren gab es genügend Wirtschaftskrisen, die ihn hinab rissen – so dass man ihn selbst in seinen Unternehmungen „entthronte“.

Am Ende –  man trennt sich gar nicht gern von dieser Geschichte – hat man das Gefühl, dass hier ein österreichischer Autor eine wichtige, nötige Leistung vollbracht hat, einem Mann  dieser Größenordnung eine gewissenhaft recherchierte und immer lebendig erzählte, also wahrlich würdige Biographie zu widmen.

Renate Wagner

 

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