Gerd Krumeich:
JEANNE D’ARC
Seherin, Kriegerin, Heilige
Eine Biographie
400 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2021
Es gibt Persönlichkeiten in der Geschichte, die so „besonders“ sind, dass das Interesse der Nachwelt nie erlischt. Stets neue Bücher über oft behandelte Themen versprechen den „neuen Blick“. Und je rätselhafter eine Figur trotz Jahrhunderte langer Forschungen geblieben ist, desto ergiebiger ist die Aufgabe für jeden neuen Biographen.
Und gar Jeanne d’Arc – wie steht man zu ihren religiösen Erleuchtungen? Entschied sie über ihr Schicksal oder war sie Spielball der Politik – ein halbes Kind, mit 19 Jahren auf den Scheiterhaufen geschleppt? Und was hat es mit den immer wieder geäußerten Vermutungen an sich, sie sei vielleicht ein Mann gewesen?
Gerd Krumeich ist Professor em. für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er hat bereits seine Habilitationsschrift über Jeanne d’Arc verfasst, im Beck Verlag gibt es in der Reihe der schmalen „Wissen“-Taschenbücher von ihm schon eine Darstellung dieses unglaublichen Schicksals. Nun liegt die Biographie in aller Ausführlichkeit vor und stellt den Autor vor die Aufgabe, den Leser in eine mehr als wirre Zeit zu führen. Immerhin betrachtet er es, wie im Vorwort dargelegt, als seine Aufgabe, einen Menschen aus seiner Zeit zu begreifen.
Also, zurück in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, wo der später so genannte „Hundertjährige Krieg“ zwischen England und Frankreich (gegen Englands Ansprüche, auch auf französischem Boden zu herrschen) schon seit vielen Jahrzehnten tobte. Darüber hinaus hatte das Herrscherhaus der Valois noch ein innerfranzösisches Problem, dass nämlich das Herzogtum Burgund, einst einem jüngeren Sohn von König Johann II. übertragen, sich nicht mit dem Vasallentum abgeben, sondern unabhängig sein wollte (selbst den Aufstieg zum ersehnten Königtum im Auge). König Karl V. von Frankreich, der regierte, als Jeanne d’Arc in Doremy, einem kleinen Ort in Lothringen zur Welt kam, befand sich mitten im politischen Trubel. Heute heißt der Ort übrigens zu Ehren von Jeanne Domrémy-la-Pucelle und ist der Pilgerort zur populärsten Heiligen von Frankreich (das Geburtshaus steht noch).
Dass sich der Autor, wie er sagt, zuerst jahrelang mit Jeannes „Mythologisierung“ befasst hat, ein 600 Jahre langes Nachleben der Interpretationen und Spekulationen, hat ihn selbst nüchtern gemacht. Jeannes Heimat nicht: So hat Frankreich, nur um sie zu feiern, der Jeanne, deren genauen Geburtstag niemand kennt, einfach einen solchen (mit dem 6. Jänner 1412) zugeteilt, um 2012 mit allem Aufwand den 600. Jahrestag zu feiern…
Ein Historiker ist kein Apologet, er geht auf die Fakten zurück und sucht dort nach der echten Jeanne Immerhin ist die Quellenlage hervorragender (man kennt vermutlich das allermeiste, was es an zeitgenössischen Dokumenten und Aussagen über sie gibt), man hat sie selbst beim Prozeß ausführlich über ihr Leben befragt, weiß vieles also aus erster Hand, wie es die Dokumente überliefern. Dazu kommen die Augenzeugen, so dass der Autor (und er macht reichlich Gebrauch davon) vieles an Hand der Zeugnisse von damals schildern kann. Und doch – die wahre Jeanne? Historiker ergehen sich nicht in Spekulationen.
Man muss sich mit der Zeit vertraut machen, in der „die Handlung spielt“. Muss wissen, dass im 15. Jahrhundert die „Allgegenwärtigkeit Gottes“ nicht angezweifelt wurde. Dass es viele gab wie Jeanne, die „Stimmen“ hörten und sich von Gott erleuchtet wähnten, nur zogen sich die meisten von ihnen in die Einsamkeit zurück. Jeanne ist der einzige bekannte Fall, wo jemand – von einer damals nicht angezweifelten „höheren Kraft“ getrieben – zur Tat schritt. Das macht dieses Bauernmädchen, das so unglaublich jung war und so Erstaunliches erreicht hat, zu diesem ewigen Enigma.
Gerd Krumeich bleibt so nahe an Jeanne, wie er kann, erzählt von ihrer Jugend, Eltern (sie schrieben sich noch „Darc“), Geschwistern, Leben im unmittelbaren Grenzgebiet zum Heiligen Römischen Reich, dauernde Kriegshandlungen. Seit ihrem 14. Lebensjahr bedrängen Jeanne ihre Visionen. Zweierlei zeichnete sie aus, was die Umwelt nach und nach beunruhigte: eine, man könnte sagen übertriebene Religiosität (hinter die man sich auch verbarrikadieren konnte), verbunden mit einer Selbstsicherheit, die von einer Frau, einer sehr jungen Frau kommend, auf die Männerwelt nur provozierend wirkten konnte. Aber zu Beginn ihres Auftretens war etwas entscheidend: In einer Welt des immer drückenderen Krieges und des erwachenden Nationalismus sowie der sich schärfenden England-Feindseligkeit, stand sie mit ihrer Bereitschaft zum Kampf für die französische Sache. Patriotismus. Sie verfasste einen Brief an die bösen Engländer, sich zurück zu ziehen. Und das bedeutete schon damals etwas.
Zumal diese Jeanne nicht nur von besonderer Überzeugungskraft gewesen sein muss, getragen von der eigenen Sicherheit ihrer Berufung, wobei sie auch die Gabe hatte, Aufmerksamkeit zu erregen und Menschen zu bewegen. Hoch zu Roß (eine Siebzehnjährige in Männerkleidung!), mit einer Begleitung, die ihr der militärische Kommandant von Vaucouleurs zur Verfügung gestellt hatte, ritt sie tagelang durch das Land zu jener tausendfach erzählten und ausgeschmückten Begegnung mit dem französischen König. Es ist ihr ebenso gelungen, ihm einzureden, sie sei von Gott gesandt, die Engländer zu vertreiben, wie sie dann auch tatsächlich in den Krieg zog und in allen Schlachten persönlich mitkämpfte. Im Grunde unvorstellbar.
Die Stadt Orleans war von einem englisch-burgundischen Heer eingeschlossen, und dieser „Sieg“, der zweifellos mit ihrem Charisma zusammen hing, machte sie zur „Johanna von Orleans“, zur selbstbewussten (vielleicht auch selbstherrlichen, wie der Autor in den Raum stellt) Kriegsherrin, die, wie es hieß, auch scharfe Umgangsformen annahm (und das alles ein – Teenager in unserer Sicht). Als Karl VII. in Reims gekrönt wurde (was als ihr Werk galt), stand sie mit Rüstung und Fahne am Altar, und sie hat es auch in der Folge nicht versäumt, sich zu „inszenieren“.
Ihr Glück war allerdings bereits am Ende – das belagerte Paris von den Feinden zu befreien, gelang ihr nicht, und interessanterweise machte man nicht das Heer, die Heerführer oder den König dafür verantwortlich, sondern sie. Und in dem Moment, wo es schien, dass Gottes Gunst und Gnade nicht mehr funktionierten, verlor auch der französische König sein Interesse. Als Jeanne von den Burgundern und Engländern gefangen wurde, rührte er keinen Finger zu ihrer Befreiung.
Gefangenschaft (wo man sie elend behandelte), der Prozeß in Rouen, den die Kirche übernahm und dessen Ende feststand, der Tod am Scheiterhaufen (wo man der Erstickten angeblich noch die Kleiderfetzen vom Leib riß und die Tote der gaffenden Menge nackt zeigt, um jedes Gerücht, sie sei keine Frau, zu beenden), das alles ist immer wieder dargestellt worden, was nicht heißt, dass man es in der besonderen Ausführlichkeit dieser Biographie nicht mit grausiger Faszination wieder liest.
Zur Nachgeschichte gehört eine „falsche Jeanne“ (falsche Königssöhne gab es immer, warum nicht jemanden, der in der damaligen Gegenwart eine solche „Berühmtheit“ besaß), die Revision des Prozesses, den Karl VII. nach seinem Sieg über alle Gegner brauchte, denn sonst hätte er sich ja mit einer Hexe eingelassen, während er wieder die Hilfe Gottes benötigte.
Nachdem sie in den folgenden Jahrhunderten in Vergessenheit geraten wurde, holte man die Figur der Jeanne d’Arc ab der Französischen Revolution wieder hervor, die Romantik und Schiller taten das Ihre, die Heiligsprechung (ein kolossaler Akt der Verbiegung der Katholischen Kirche, die sie als Ketzerin den Flammen übergeben hatte) im Jahr 1920 etablierte dann die Nationalheldin als Heilige vollends.
Und was war sie wirklich? Vielleicht würde die Psychopathologie sie als Hysterikerin bezeichnen, die aus ihrer Glaubensüberzeugung Kräfte gewann, die kein junger Mensch ihres Alters hätte aufbringen könnte. Aber ihre Taten sind Fakten, und von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schreitet das Bauernmädchen, reitet die Kriegerin, leidet das verlassene Opfer brutaler Machtpolitik ein spannendes Buch lang vor unseren Augen.
Renate Wagner