Georg Schmidt
DURCH SCHÖNHEIT ZUR FREIHEIT:
DIE WELT VON WEIMAR-JENA UM 1800
384 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2022
Goethes Weimar, Schillers Jena – das erweckt im deutschen Bildungsbürger, so es ihn noch gibt, angenehme Assoziationen. Der Musenhof der Anna Amalia. Goethes Bemühung, aus Carl August einen gewissenhaften Regenten zu machen, und Schillers Kampf um der Menschheit Würde… kurz gesagt, der Versuch des Ministers und des Professors, ihre gegenwärtige Welt geistig und real zu verbessern. Dazu die vielen großen Namen über die Jahrzehnte, von Herder und Wieland bis zu den vergleichsweise wilden Romantikern. Und ein gewisses erotisches Prickeln, von der Frau von Stein bis zu Christiane…
Ganz so einfach war es nicht, sagt uns Georg Schmidt, emeritierter Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der sein zentrales Forschungsgebiet, den Dreißigjährigen Krieg, hier verlassen hat, um Klassik und ihre Klischees zu hinterfragen. Dabei ist „Die Welt von Weimar-Jena um 1800“ (1800 – als die Französische Revolution in Europa bereits alles von oben nach unten gekehrt hatte) , zeitlich weit zu nehmen – von den frühen 1770er Jahren, als erst Wieland und Herder nach Weimar kamen, bis zu Goethes Tod.
Hier baut der Autor nun eine Geistesgeschichte auf, ein Netzwerk aus Ideen, Künsten und Politik, das sich an den einzelnen Menschen der Epoche orientiert, wobei natürlich Goethe in Weimar im Zentrum steht, gemeinsam mit Herzog Carl August (während Anna Amalia sich quasi abgeschoben sah). Schiller tritt in dem Buch erst gut 130 Seiten später auf, logischerweise, hat sich die legendäre Dichter- und Mensch-Beziehung der beiden schließlich erst an die 20 Jahre nach Goethes Eintreffen in Weimar gefestigt, wird aber dann vom Autor als extrem positiv interpretiert (was in der Literatur nicht durchgehend der Fall ist).
Es ist nicht nur von geistigen Höhenflügen und künstlerischen Ansprüchen die Rede, sondern viel vom Alltag, wobei allerdings auffällt, dass der Autor streng beim Thema bleibt und Privates fast ausblendet. Goethes Christiane und die Frau von Stein kommen nur am Rande vor, Schillers Familie gar nicht. Später wird auf den Lebensstil des Schlegel-Kreises eingegangen, aber auch vordringlich in Bezug auf ihre gesellschaftliche Wirkung.
Dass Weimar / Jena durch Goethe und Schiller (der allerdings, obzwar zehn Jahre jünger als Goethe, 1805 sehr früh starb), schon zu deren Lebzeiten als geistiges Zentrum deutscher Kultur quasi „magisch“ wirkte, wird hervorgehoben – und auch, wie schwer es Goethe fiel, sich im Lauf seines Alterns als „aus der Zeit gefallen“ zu begreifen (Heine bezeichnete ihn damals als „Zeitablehnungsgenie“, was sicherlich von vielen geteilt wurde). Die Idee, „durch Schönheit zur Freiheit“ zu gelangen, war damals längst in Blut ertrunken.
Nebenbei und durchaus vordringlich geht es nicht nur um Ideen und schöne Künste, sondern auch um Politik – jene Realpolitik, der sich Goethe durch ungezählte Akten und Sitzungen hindurch widmete, um das Leben der Untertanen zu regulieren, Es geht um die tiefstgreifenden Umwälzungen durch die Französische Revolution und die Person Napoleons, den Goethe bewunderte, und um die Entwicklung eines relativ kleinen Herzogtums zu einem nach dem Wiener Kongress aufgewerteten Großherzogtum, dessen Fürst sich der gesamtdeutschen Sache verschrieb. Dennoch kann man die ideologische Schlußwendung des Autors nicht völlig nachvollziehen, der der Weimarer Klassik quasi zumindest eine Teilschuld daran zusprechen will, vom Nationalsozialismus dermaßen missbraucht worden zu sein…
Alles in allem ist man, trotz vieler komplexer, erst beim zweiten Lesen zu rezipierenden sprachlichen und gedanklichen Wendungen des Autors, in eine spannende Zeitepoche eingestiegen, die hier stark aus ihren Menschen heraus begriffen wird.
Renate Wagner